Die „Affäre“ war am Start der fünften Etappe in Rouen in aller Munde. Und weil die Fahrer auf dem Weg nach Saint-Quentin alles taten, um Langeweile aufkommen zu lassen, wurde sie auch im Pressesaal der „ville la plus sportive de France“ bis ins kleinste Detail analysiert und durchdiskutiert.
Lance Armstrong, das scheint jetzt fast sicher, kann seinen „Verfolgern“ kaum noch entkommen. Und das, weil angeblich mehrere frühere Gefolgsleute gegen ihn ausgesagt haben.
Ein „Hammer“
Für Armstrong muss es wohl wie ein Schlag mit der Keule auf den Kopf gewirkt haben, als er hörte, wer sich alles gegen ihn „verschworen“ hat. Da werden gleich vier aktuelle Tour-Fahrer und frühere Kumpels des Amerikaners genannt, und die haben Namen: George Hincapie, Christian Vande Velde, David Zabriskie und Levi Leipheimer. Sie alle hätten Doping gestanden und Armstrong schwer belastet.
Auch Garmin-Teamchef Jonathan Vaughters, der damals zur Truppe des siebenfachen Tour-Gewinners gehörte, soll gegen den früheren „Chef“ ausgesagt haben. Neben den fünf zitierten Personen dürften wohl auch Armstrongs frühere „Kollegen“ Floyd Landis und Tyler Hamilton, die längst des Dopings überführt sind, zu den zehn Zeugen gehören, welche die Usada zu dem Prozess vorladen will.
Laut der niederländischen Zeitung De Telegraaf hätte die amerikanische Anti-Doping-Agentur Hincapie, Vande Velde, Zabriskie und Leipheimer, die übrigens alle kurz nach dem Wiederaufflackern der „Affäre“ auf einen Olympia-Start in London verzichteten, einen Deal angeboten, der bei einem Doping-Geständnis und einer Aussage gegen Armstrong eine Sperre von nur sechs Monaten vorsieht.
Das ist ein „Hammer“, fast zu verrückt, um es zu glauben!
Ein Rückblick
Blenden wir zurück: Die Anti-Doping-Agentur wirft Armstrong, dessen Ex-Teamchef und derzeitigen RadioShack-Manager Johan Bruyneel sowie vier früheren Ärzten und Betreuern jahrelanges Doping und Handel mit illegalen Substanzen vor. In der in Englisch gehaltenen Anklageschrift, die dem Tageblatt vorliegt, wird Bruyneel als Erster genannt. In weiser Voraussicht, dass er für sein Team im Laufe der Tour zur Belastung werden könnte, verzichtete der Manager darauf, sich in Frankreich zu zeigen.
Welchen Weg diese „Affäre“ nun einschlagen und welche Nase sie bekommen wird, muss abgewartet werden. Spurlos kann sie aber auch nicht an der Tour de France vorübergehen.
So wurde am Donnerstag gemunkelt, Direktor Christian Prudhomme sei bereits in den Hotels der in Frage kommenden Personen vorstellig geworden. Es ist ja bekannt, dass der Tour-Chef nichts mit Fahrern oder Mannschaften zu tun haben will, die im Entferntesten in ein anhängiges Dopingverfahren verwickelt sind.
Kein Entkommen
Und was wird aus Johan Bruyneel? Wenn es stimmt, dass Hincapie, Vande Velde, Zabriskie und Leipheimer ein Doping-Geständnis abgeliefert haben, wird die Luft für den Belgier dünn.
Dann ist er als Manager kaum noch in einem Team wie RadioShack-Nissan tragbar, obwohl ja nach wie vor jeder als unschuldig zu gelten hat, bis er verurteilt ist.
Flavio Becca geht jedenfalls keinen ruhigen Zeiten entgegen. Er allein muss entscheiden, welches Image er seiner Mannschaft, die bei dieser Tour de France bisher hervorragend aufgetreten ist (Fabian Cancellara verteidigte am Donnerstag erneut das „Maillot jaune“), verpassen will.
Das gilt nicht allein in Sachen Johan Bruyneel. Aus taktischen Gründen ignoriert man zurzeit in der Chefetage den eventuell programmierten Wechsel der Schleck-Brüder in ein deutsches Team (das erst noch in die World Tour integriert werden muss), irgendwann aber hat das Versteckspiel ein Ende.
Die Schlecks haben einen Vertrag bis Ende 2014, der frühere Leopard-Teilhaber und Schleck-Rechtsanwalt Albert Wildgen aber will sie angeblich aus diesem Vertrag herauskaufen. Zu viel ist in der letzten Zeit über die „Drahtseilaktionen“ Wildgens in die Welt gesetzt worden, als dass Becca nicht reagieren müsste.
Auf Dauer kann er dem anderen das Feld nicht überlassen, ohne dabei selbst Schaden zu erleiden. Auch wenn es den deutschen Haarwasserkünstlern von Alpecin nicht gelingen sollte, das World-Tour-Team schon dieses Jahr, sondern erst zwölf Monate später auf die Beine zu stellen.
Bedauernswert und schlimm ist, dass all diese „Begleiterscheinungen“ während der Tour de France auftreten, wo man sich ja auf das rein Sportliche konzentrieren sollte.
Weil aber das Ganze nicht mehr aus der Welt zu räumen ist („aufgeschoben ist nicht aufgehoben“), wäre vielleicht ein anderes Sprichwort nicht fehl am Platz: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“
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