Gilles Muller schafft es jede Saison wieder, seine guten Leistungen aus dem Vorjahr noch einmal zu toppen. 2017 hat der Luxemburger das Kunststück fertiggebracht, gleich zwei ATP-Turniere (Sydney und ’s-Hertogenbosch) für sich zu entscheiden. Damit war aber noch nicht genug: Nach dem Sensationssieg gegen Rafael Nadal im Achtelfinale war für „Mulles“ erst in der Runde der letzten acht in Wimbledon Schluss.
Mitte September musste der 34-Jährige dann aufgrund einer Verletzung am Ellbogen eine fast zweimonatige Zwangspause einlegen. Doch wer den gebürtigen Schifflinger kennt, weiß, dass er sich davon nicht unterkriegen lässt. Der FLT-Spieler befindet sich seit Wochen bereits intensiv in der Vorbereitung auf die neue Saison. Im Tageblatt-Interview geht der Spora-Spieler noch einmal auf sein Wahnsinnsjahr ein.
Tageblatt: Gilles, du hast die beste Saison deiner Karriere hinter dir. Aufgrund deiner Verletzung musstest du dein Jahr jedoch frühzeitig beenden. Das hinterließ doch sicherlich einen faden Beigeschmack?
Gilles Muller: Es war eine schwere Zeit für mich. Im September überwog bei mir das Gefühl der Enttäuschung. Ich fiel in eine „Down“-Phase. Ich dachte nämlich zu diesem Zeitpunkt, dass ich eine schlechte Saison gespielt hätte. Das war schon merkwürdig. Ich hatte mir auch noch weitere Ziele für den Schluss der Saison gesetzt. Diese konnte ich dann nicht mehr erfüllen. Jetzt, wo ich ein wenig Zeit hatte, die Saison Revue passieren zu lassen, weiß ich, dass ich einfach nur ein richtig tolles Jahr gespielt habe. Ich stand insgesamt dreimal in einem ATP-Finale – und dies sogar auf drei verschiedenen Belägen. Das ist schon erstaunlich, dass ich mich beim Sandplatz-Turnier in Estoril bis ins Endspiel vorkämpfen konnte. Deshalb bin ich mir auch dessen bewusst, dass es sehr schwer werden wird, dieses Jahr noch einmal zu bestätigen.
Aufgrund deiner fantastischen Resultate wurdest du urplötzlich ein gefragter Mann in der ganzen Welt…
Das stimmt. In Luxemburg entstand eine wahre Euphorie nach meinen Sieg gegen Rafael Nadal in Wimbledon. Aber auch die internationale Presse prasselte in diesem Jahr förmlich auf mich ein. Die Leute und Spieler nahmen mich auch bei den Turnieren ganz anders wahr. In den Jahren zuvor trainierte ich, ohne im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen. Jetzt verfolgten urplötzlich Zuschauer mein Training. Ich habe mich vielleicht ein wenig zu viel von diesem ganzen Freudentaumel anstecken lassen und die Warnsignale meines Körpers dabei ein bisschen ignoriert. Vor allem während der Rasen-Saison habe ich richtig viele Matches bestritten. Quasi jeden Tag spielte ich eine Partie. Das war mental schon extrem anstrengend, aber ich ließ mich von der Euphoriewelle treiben. Dies war vermutlich auch eine der Ursachen, warum ich letztendlich die Saison früher beenden musste.
Es ist bestimmt nicht einfach dann, wenn man so viele Wünsche (Medien, Fans, Familie usw.) erfüllen muss…
Von einfach überall bekam ich Anfragen. Es hat mir phasenweise schon ein wenig Angst gemacht. Ich konnte z.B. nicht mehr normal mit meinen Jungs zum Spielplatz gehen. Das gleiche Szenario spielte sich ab, wenn ich ein Fußballspiel besuchte. Ich konnte mich ihnen nicht mehr so zuwenden wie vorher. Es war schon eine ungewohnte Situation für mich und ich musste lernen, damit umzugehen. In Zukunft weiß ich dies besser zu managen. Aber der ganze Rummel gehört zum Beruf dazu und ich stehe dem Ganzen auch keineswegs negativ gegenüber.
Nach einer anstrengenden Saison auf Rasen hast du nach nur kurzer Zeit gleich die US-Tournee in Angriff genommen. Hier blieben – abgesehen vom Halbfinale in Atlanta – die ganz großen Ergebnisse aus…
Ich habe viel zu schnell wieder angefangen, zu spielen. Im Nachhinein muss man sagen, dass dies totaler Quatsch war. Jeder Spieler, der in Wimbledon eine gute Leistung vollbracht hat, legt gewöhnlich eine kleine Auszeit ein. Ich reiste gleich wieder zu den nächsten Turnieren. Ich hätte mir die Zeit nehmen sollen, um dem Körper eine kleine Pause zu gönnen. Vielleicht hätte ich einfach eine Woche Urlaub mit der Familie machen sollen. So ging ich die US-Tournee in keinem guten Zustand an. Des Weiteren machte sich die Verletzung immer mehr bemerkbar.
Vor allem beim letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres hattest du dir sicherlich mehr erhofft.
Ich blicke schon ein wenig wehmütig auf dieses Turnier zurück. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich die US Open gerne noch einmal in einer besseren Verfassung spielen. Ich habe schon das Gefühl, dass mir hier eine große Chance durch die Lappen ging. Das hört sich schon ein wenig seltsam an, wenn man schon in der zweiten Runde die Segel streichen musste. Aber die Auslosung spielte mir eigentlich in die Karten. Zudem waren die großen Favoriten in meiner Hälfte des Tableaus schon früh ausgeschieden. Ein gutes Resultat wäre hier durchaus machbar gewesen. Der spätere Finalist Kevin Anderson hat nämlich diese Chance genutzt.
Siehst du die Viertelfinal-Niederlage gegen Marin Cilic in Wimbledon auch als eine verpasste Chance an, um einmal bei einem Grand-Slam-Turnier in einem Endspiel stehen zu können? Normalerweise denkst du ja immer von Spiel zu Spiel…
Natürlich spielte ich mit diesem Gedanken. In meiner damaligen Verfassung war es auch nicht utopisch, zu denken, dass ich das Finale beim größten Turnier der Welt erreichen könnte. Ich hatte beim Stand von 4:3 im zweiten Satz Breakmöglichkeiten. Bei einem Breakball hatte ich wirklich eine gute Gelegenheit, meinem Gegner den Aufschlag abzunehmen. Mein Vorhandschlag blieb aber leider an der Netzkante hängen. Kommt dieser Ball an, dann gehe ich mit 5:3 in Führung und hätte womöglich mit zwei Sätzen vorne liegen können. Ich glaube, das hätte mir bestimmt viel Selbstvertrauen gegeben. In einem möglichen Halbfinale hätte dann der US-Amerikaner Sam Querrey gewartet, den ich in Queen’s in zwei Sätzen bezwingen konnte.
Du hast in den letzten Jahren stets betont, dass du ein großes Vertrauen in deinen Körper hast. Dieser Glaube an den eigenen Körper hat dir immer eine gewisse Stärke gegeben. Jetzt musstest du aber zur Erkenntnis kommen, dass du verletzungsanfällig bist. Wie gehst du damit um?
Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass dies nicht einen kleinen Knacks bei mir hinterlassen hat. Aber ich habe bereits Mitte Oktober sehr intensiv an meiner Fitness gearbeitet. Tennis-technisch bin ich zwar noch nicht auf dem Level, das ich gerne haben möchte, aber das ist auch normal bei einer so langen Auszeit. Jedoch vertraue ich meinem Körper weiterhin, denn ich kenne die Gründe, warum diese Verletzung aufkam. Das hatte nichts mit meiner Fitness zu tun.
Mit welchen Zielen gehst du nun in die neue Saison hinein? Die Vorzeichen (Erwartungen und Verletzung) sind nämlich ein wenig anders als die Jahre zuvor …
Es ist klar, dass ich weitere Titel gewinnen möchte, aber eigentlich verfolge ich noch ganz andere Ziele. An sich sind diese auch ganz einfach: Ich will das Beste aus mir herausholen und hart an mir arbeiten.
Ich habe mir vorgenommen, einfach entspannter bei den Turnieren zu sein, schließlich habe ich mir meinen größten Traum von einem Turniersieg in diesem Jahr erfüllen können. Dieser Druck ist jetzt von meinen Schultern gefallen. Der Spaß am Tennisspielen soll im Vordergrund stehen. Die nächste Saison will ich einfach noch mehr genießen können. In der Vergangenheit habe ich fast immer nur darauf geachtet, unbedingt gute Resultate erzielen zu müssen. Ich versuchte zu oft, dass perfekte Spiel in einem Match zu zeigen.
Ist mir dies nicht gelungen, neigte ich manchmal dazu, mich deshalb ein wenig aus der Ruhe bringen zu lassen. Nach meinem Sieg in Sydney habe ich die Erwartungen an mich selbst auch noch einmal hochgeschraubt. Ich muss lernen, völlig gelassen in die jeweilige Partie hineinzugehen und nicht gleich in Panik zu verfallen. Denn ich habe gemerkt, dass ich nicht stets von Anfang an auf einem sehr hohen Niveau spielen muss, um einen Erfolg feiern zu können. Ich darf also nicht immer zu streng mit mir selbst sein.
Sydney top, US Open flop
Hinter Gilles Muller liegt eine Saison mit vielen Höhenpunkten. Um einen kleinen Überblick über das abgelaufene Jahr zu bieten, versucht der Luxemburger, uns auf verschiedene Stichwörter eine kurze Antwort zu geben.
Schönster Moment
„Ich schwanke hier zwischen zwei Ereignissen: Der Turniererfolg in Sydney und der Sieg gegen Rafael Nadal in Wimbledon fallen mir hier sofort ein. Ich würde aber sagen, dass Sydney für mich noch ein wenig emotionaler war. Ich hatte so lange auf diesen Moment gewartet. Nach so langer Zeit konnte ich endlich ein ATP-Turnier für mich entscheiden. Das Ganze vor den Augen meiner Familie. Zur Krönung verlieh mir auch noch Tennislegende Rod Laver den Siegerpokal. Das war die Kirsche auf dem Kuchen.“
Bestes Match
„Mein Halbfinale in ’s-Hertogenbosch gegen Top-10-Spieler Alexander Zverev war wohl vom spielerischen Niveau her meine beste Partie des Jahres. Hierbei denke ich vor allem an den zweiten Satz, in dem ich einfach perfekt gespielt habe. Ich ließ bei meinem eigenen Aufschlag nichts anbrennen und konnte die sich bietenden Breakmöglichkeiten eiskalt nutzen.“
Spezieller Punktgewinn
„Ich habe mich manchmal schon gefragt, wie meine Saison verlaufen wäre, wenn ich den Matchball von Alexander Dolgopolow in der ersten Runde in Sydney nicht abgewehrt hätte. Hätte mein Jahr sich in irgendeiner Form gleichermaßen abgespielt? Hätte ich dann einen Titel gewinnen können? Wären noch bessere Resultate möglich gewesen? Man weiß es nicht.“
Nächster Traum
„Meinen größten Traum (einen Turniersieg) konnte ich mir eigentlich schon in diesem Jahr erfüllen. Es wäre schön, wenn noch weitere Titel dazukommen würden. Vor allem will ich das Tennisspielen 2018 so richtig genießen können.“
Schlechtestes Match
„Spezifisch hier ein Spiel zu nennen, ist relativ schwer. Bei den US Open habe ich aber richtig schlecht gespielt. Obwohl ich noch eine Runde weitergekommen bin, erreichte ich nicht im Entferntesten mein normales Niveau.“
Nervösester Augenblick
„Im Allgemeinen fühlte ich mich in dieser Saison viel ruhiger auf dem Platz. Sogar bei meinen zwei Turniersiegen kam keine Nervosität auf. Nur beim letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres, den US Open, war die Entspanntheit nicht da – ich trug viel Ballast mit mir herum. Ich fühlte mich bereits müde, hatte schon Schmerzen im Ellbogen und machte mir schon einen gewissen Druck.“
Größtes Bedauern
„Ich habe mir für manche Dinge nicht genügend Zeit genommen. Vielleicht hätte mir manchmal eine längere Regenerationszeit gutgetan. Des Weiteren habe ich nicht einmal den größten Moment meiner Karriere kurz genießen können. Dass dies nicht am gleichen Abend meines Turniersiegs möglich war, erschien mir logisch. Schließlich stand zwei Tage später schon mein nächstes Match bei den Australian Open an. Doch etwas später hätte ich mir einen gemütlichen Abend mit der Familie und Freunden gönnen sollen, wo wir diesen Coup honoriert hätten. Aber an sich kann ich mich keineswegs beklagen, schließlich habe ich die beste Saison meiner Karriere gespielt.“
Peinlichster Moment
„Ein wirklich peinlicher Moment fällt mir jetzt nicht so direkt ein. Natürlich hätte ich z.B. auf das (humorvolle, Anm. d.R.) Video von Eurosport, das in den sozialen Medien die Runde gemacht hat, durchaus verzichten können. In diesem Ausschnitt wird gezeigt, wie ich mehrmals meinen Schläger zerhacke. Mein Verhalten hier war nicht gerade vorbildlich, auch in Hinblick auf meine Kinder. Ich schäme mich deswegen nicht, aber es hätte nicht unbedingt sein müssen.“
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können