Alexander Kristoff, für den Luca Paolini zuvor hervorragende Arbeit im Katusha-Team geleistet hatte, sprintete auf der Zielgeraden in eine Lücke hinein und ließ seinen rund 20 Mitstreitern keine Chance. Cancellara blieb nichts anderes übrig als seiner Enttäuschung mit einem Handschlag in die Luft Ausdruck zu verleihen. Zum dritten Mal wurde er Zweiter (2011, 2012, 2014), 2008 gewann er, letztes Jahr war er Dritter.
Von den Sprintern, die es bis auf die Zielgerade schafften, hatte Kristoff die meisten Reserven. Degenkolb war längst aus dem Rennen, Sagan hatte sich „einschließen“ lassen, Cavendish ging auf den letzten 50 m die Luft aus und der letztjährige Gewinner Ciolek konnte keinen Zahn mehr zulegen. „Dieser Sieg ist der Höhepunkt meiner Karriere, er rettet meine Laufbahn“, sagte der 26-jährige Kristoff (geb. am 5. Juli 1987 in Oslo), der in seinem Palmarès Etappensiege bei den Drei Tagen von La Panne, der Norwegen-Rundfahrt, der Tour de Suisse, der Dänemark-Rundfahrt oder der Tour of Oman stehen hat. Kristoff war zweimal norwegischer Meister (2007, 2011) und Bronzemedaillengewinner der Olympischen Spiele 2012 in London.
Wie alle andern Fahrer auch bedauerte der Sieger, dass Mailand-San Remo mit dem guten Wetter auf Kriegsfuß steht. Bei Schnee, Regen und Kälte kamen im letzten Jahr nur die Hartgesottensten ins Ziel. Am Sonntag, bei der 105. Auflage des längsten Klassikers des Radsportkalenders, war es nicht gerade so schlimm. Und doch wurden die 200 Fahrer aus 25 Mannschaften und 36 Nationen (darunter mit Laurent Didier und Bob Jungels auch zwei Luxemburger) gehörig gewaschen.
Regen und Hagel
Es regnete praktisch von Mailand bis nach San Remo, die Temperaturen erreichten keine zehn Grad, die Straßen waren glitschig und die Strecke damit äußerst gefährlich. In San Remo schien am Morgen bei strahlend blauem Himmel noch die Sonne, der „Aperitivo“ wurde auf der Terrasse genossen, doch je mehr die Rennkarawane sich dem Ziel näherte, desto schwärzer wurden die Wolken. Gegen 15 Uhr fiel Hagel vom Himmel, danach goss es zeitweise so in Strömen, dass Kehrfahrzeuge die Pfützen auf der Zielgeraden am Lungomare Italo Calvino entfernen mussten. Und vom Poggio wurde zu gleicher Zeit gemeldet, dass das Wasser die kurvenreiche Straße einem reißenden Fluss ähnlich hinunterschoss.
Mailand-San Remo begann wie üblich mit einer „échappée matinale“. Die „Glorreichen Sieben“, die es dieses Jahr vom Start weg versuchten, waren Matteo Bono (Lampre Merida), Nathan Haas (Garmin-Sharp), Nicola Boem (Bardiani), Antonio Parrinello (Androni Giocattoli), Maarten Tjallingii (Belkin), Jan Barta (Netapp-Endura) und Marc de Maar (UnitedHealthCare). Der maximale Vorsprung der Ausreißergruppe betrug rund elf Minuten.
Als Erster ließ Boem, danach Haas (Reifenschaden) und Parrinello locker, die anderen fuhren bis auf die Haut durchnässt weiter, in der Hoffnung, das Unmögliche möglich zu machen. Über die drei „Capi“ hinweg (Mele, Cervo, Berta) behielten die Ausreißer, die Jan Barta und Matteo Bono unterwegs „verloren“, vier Minuten Vorsprung, doch danach, beim Anstieg der „Cipressa“, ging alles ganz schnell. Peter Sagans grüne Garde blies zur Offensive, die Katusha-Truppe half, und auch die Trek-„Überlebenden“ um Fabian Cancellara versteckten sich nicht.
Rund 25 km vor dem Ziel attackierte Vincenzo Nibali, die Vorentscheidung war eingeleitet. Tjallingii und de Maar wurden noch vor dem Anstieg zum Poggio eingefangen und nach hinten durchgereicht. Nibalis Angriff aber hatte vor allem zur Folge, dass eine Reihe Sprinter in der Cipressa den Kontakt verloren und ihre Siegchancen begraben mussten. Der Italiener setzte seine Fahrt danach alleine fort und hatte bald 45 Sekunden Vorsprung auf die Verfolger, die sich nicht so richtig einig waren.
Im Anstieg zum Poggio aber war Nibali mit seinem Latein am Ende, als zuerst Grégory Rast, danach Enrico Battaglin konterte. Die beiden lockten Philippe Gilbert aus dem „Versteck“, er sorgte dafür, dass das Peloton die Abfahrt geschlossen in Angriff nahm. Die Entscheidung musste im Sprint fallen. Und hier setzte sich Kristoff auf überragende Art und Weise durch.
Auch die beiden Luxemburger Fahrer Laurent Didier und Bob Jungels sahen das Ziel in San Remo. Sie steckten nicht auf, nachdem sie ihre Arbeit für das Trek-Team und Leader Fabian Cancellara erledigt hatten. Bob Jungels lief mit einem 15-köpfigen Peloton als 87. auf 10’04» ein, Laurent Didier war als 111. im letzten Feld, das 17’59» Verspätung hatte. Insgesamt 114 Fahrer fuhren über den Zielstrich.
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