Wie kann man ein Flugzeug stehlen, damit in die Luft gehen und anschließend mutmaßlich Suizid verüben? Flugzeugexperte Jürgen Schelling über ein zum Glück nicht alltägliches Szenario.
Der Absturz einer gestohlenen Dash-8 bei Seattle wirft viele Fragen auf, denen nicht nur Polizei und Behörden des US-Flughafens Seattle-Tacoma sich stellen müssen, nachdem am 10. August ein Mann eine Maschine des Typs Dash-8 Q400 entwendete, damit gestartet und abgestürzt ist.
Der Mann, der wohl keine Pilotenlizenz hatte, flog eine Stunde mit der Maschine übers Meer und die Küste, bevor er über nahezu unbewohntem Gebiet abstürzte. Er kam dabei ums Leben, die Maschine brannte aus. Zwei US-Abfangjäger hatten den Flugzeugdieb zwar verfolgt, aber mit seinem Absturz anscheinend nichts zu tun.
Der 29-Jährige war entweder Mechaniker oder nach anderen Angaben Mitarbeiter des Bodenpersonals. Dadurch hatte er wohl offiziell Zugang zu der Maschine von Horizon Air, einer Tochtergesellschaft von Alaska Airlines, auf dem internationalen Flughafen Seattle-Tacoma im Bundesstaat Washington. Dieser zählt zu den 25 größten Airports in den USA.
Die Dash-8 Q400 ist ein weit verbreitetes und seit Mitte der 1980er Jahre in vielen Versionen im Dienst stehendes Passagierflugzeug. Die früher von de Havilland und später von Bombardier in Kanada gebaute Maschine wird von zwei Propellerturbinen angetrieben. Sie kann rund 80 Passagiere je nach Variante zwischen 1.300 und knapp 2.000 Kilometer weit befördern.
Insiderwissen ausgenutzt
Um die Motoren und die Systeme bedienen zu können, bedarf es allerdings Insiderwissen. Der Mann kannte sich anscheinend auch aus, wie die Treibstoffsysteme funktionieren und wie man die beiden Triebwerke in Betrieb nehmen kann. Einen „Zündschlüssel“ wie etwa beim Auto gibt es bei Airlinern nicht. Das Starten der Propellerturbinen geschieht üblicherweise durch die beiden Piloten, indem einer die Checkliste vorliest und der andere die Dinge in der Reihenfolge absolviert, wie sie dort vorgeschrieben ist. Eine auf einer Abstellposition geparkte Turboprop wie die Dash-8 rollt nach dem Lösen der Bremsen durch den Schub der Propeller genau wie jede kleine Cessna oder Piper.
Normalerweise muss sich der Pilot an einem Flughafen beim Tower eine Rollgenehmigung einholen, bevor er sich mit der Maschine überhaupt in Bewegung setzen darf. Das hat der 29-Jährige wohl nicht getan, sonst wäre er womöglich sofort aufgefallen. Dann hätten ihm womöglich Feuerwehr- oder Vorfeldfahrzeuge auf dem Taxiway beim Rollen in Richtung Startbahn den Weg abschneiden können. Das geschah nicht, und so konnte der alleine in der Dash-8 sitzende Mann unbehelligt bis zu einer der insgesamt drei Runways von Seattle-Tacoma rollen.
Waghalsige Manöver
Vor dem Start muss die Crew eigentlich ein ausgedehntes Prozedere absolvieren, um die Triebwerke, die Verstellmöglichkeit der beiden Propeller sowie alle Systeme an Bord zu testen. Außerdem werden die Landeklappen auf die Position zum Abheben ausgefahren. Das kann allerdings auch einer allein im Cockpit, wenn er die Schalter, Hebel, Systeme und die richtige Stellung der Landeklappen mithilfe der Checkliste bedienen kann.
Deshalb dürfen auch viele moderne Businessjets legal von einem Piloten allein geflogen werden, wenn sie nicht zu komplex oder groß sind und ein Autopilot den Flugzeugführer entlasten kann. Im Fachjargon heißt das Single-Pilot-Zulassung.
Ob der 29-Jährige an Flugsimulatoren geübt hat, steht derzeit nicht fest. Die gestohlene Dash-8 flog nach ihrem Start in niedriger Höhe und unter Sichtflugbedingungen. Allerdings beobachteten Augenzeugen, dass sie waghalsige Manöver vollführte, was auf mehreren Videos dokumentiert ist.
Kontakt zu Fluglotsen
Der Dieb muss sich mit dem Flugzeug jedenfalls ausgekannt haben. Denn er hatte auch die Funkanlage in Betrieb und Kontakt zu Fluglotsen. Diesen berichtete er anscheinend von eigenen psychischen Problemen und dass sich die Tanks schneller leeren würden, als er gedacht habe. Das könnte möglicherweise auch zu dem Absturz geführt haben. Luftfahrtmedien berichten von Problemen mit einem Triebwerk. Das könnte darauf hinweisen, dass eine Propellerturbine möglicherweise kein Kerosin mehr bekam.
Zwar ist die Dash-8 auch mit einem laufenden Triebwerk noch flugfähig, allerdings muss der Pilot schnell reagieren, um die zur Seite ziehende Maschine mit dem Seitenruder wieder auszutrimmen. Zudem muss der Propeller des stehenden Triebwerks rasch in die sogenannte Segelstellung versetzt werden, damit diese Luftschraube möglichst wenig Luftwiderstand erzeugt. Ob das der Grund für den Absturz war oder der 29-Jährige die Dash-8 tatsächlich in Suizidabsicht auf den Boden gesteuert hat, wird Grundlage nun angelaufener Untersuchungen der US-Luftfahrtbehörden und der Staatsanwaltschaft sein.
Extrem ungewöhnlich
Ein weiterer Flugzeugdiebstahl mit tragischem Ende geschah auch vor kurzem im US-Bundesstaat Utah: Ein Berufspilot stahl einen zweistrahligen Businessjet vom Typ Cessna Citation seines Arbeitgebers, startete und raste damit in sein eigenes Haus. Als Grund werden familiäre Probleme genannt. Der Mann kam dabei ums Leben, seine zur Zeit des Absturzes im Haus weilende Ehefrau und ein Kind blieben unverletzt.
Dass kleine einmotorige Propellermaschinen wie Cessna und Piper gestohlen werden, kommt hin und wieder vor. Dass aber ein zweimotoriges Passagierflugzeug entwendet und anschließend gestartet wird, ist in der Aviatik zwar extrem ungewöhnlich, kam aber schon vor.
So stahl etwa im Oktober 1999 ein wegen medizinischer Probleme vom Dienst suspendierter Pilot der Air Botswana am Flughafen Gaborone in Botswana ebenfalls ein zweimotoriges Turboprop-Passagierflugzeug des Typs ATR 42-320 und startete unerlaubt damit. Er kreiste zwei Stunden über dem Flughafen und drohte, sich auf das Abfertigungsgebäude der Fluggesellschaft, mit der er im Streit lag, zu stürzen. Als ihm der Sprit auszugehen drohte, crashte er die ATR auf zwei abgestellte Flugzeuge. Er kam ums Leben, am Boden gab es keine Verletzte. Im Gegensatz zu dem 29-Jährigen in Seattle hatte der Afrikaner aber eine Pilotenlizenz und war das Flugzeug zuvor bereits viele Stunden geflogen.
Zu Demaart
Danke für den Hinweis. Wir haben das korrigiert. - Ihre Redaktion
Ähm... so sieht die Hauptseite momentan bei mir aus: https://i.imgur.com/gb8HPA3.png 3x der gleiche Artikel, und oben im Premium-Kasten wird er noch ein viertes Mal beworben.