Auch im Privaten scheint die Punktlandung eher eine Utopie zu bleiben. Jost hat sich gerade getrennt, hat eine neue Wohnung bezogen und versucht nun über eine Dating-Plattform, eine Frau zu finden. Das alles beschreibt eine Welt, wie wir sie kennen oder vermuten, aber in Ute-Christine Krupps Roman „Punktlandung“ offenbart diese Welt eine brutale Kälte. Und das liegt weder an der Jahreszeit noch an den unterkühlten Büroräumen. Schon dem Vater konnte Paul Jost es nie recht machen, weder als Kind im Schwimmbad noch später beruflich. „Möchtest du nicht etwas mehr machen?“, fragt er seinen Sohn öfter. Das Gefühl des Nicht-Genügen-Könnens ist so zu einem Aspekt von Josts Leben geworden. Und auch der Vorgesetzte Giese ist eine leistungsorientierte „Vater“-Figur. Eine zeitweilige Wärme scheint nur den Chats auf der Dating-Plattform zu entspringen, aber die währt nicht lange.
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Ute-Christine Krupp unterstreicht diese Atmosphäre der Kälte durch schnörkellose, oft kurze, die alltägliche Hektik abbildende Sätze. Fast möchte man meinen, die Autorin beobachtet ihre Figur, wie diese die potenziellen Terroristen in ihren Wohnungen. Das ist geschickt gemacht, und die Leserin, der Leser wird selbst zu einem Teil einer abhörenden Sonderkommission, die sich mehr und mehr in die Psyche des Protagonisten gräbt. Deutlich wird so auch, wie gleitend der Übergang vom Politischen ins Private ist. Nicht nur, dass Jost keinen Schritt vor die Tür machen kann ohne sein Diensthandy, auch wir Lesenden erwischen uns bei der Frage, darf ich das alles über diesen Mann wissen? Dabei lesen wir „nur“ ein Buch. Der banale Alltag der Terrorbekämpfung, Berichte durchgehen, den halben Tag in Sitzungen verbringen und dann Entscheidungen treffen, die über ein ganzes Leben bestimmen, ereilt einen mit kalter Wucht.
Jost stellt sich angesichts seiner gescheiterten Beziehung die Frage, wie aus Liebe Abneigung werden konnte, wie es möglich war, irgendwo zu landen, wo man nie hinwollte, wie die eigene berufliche Überzeugung plötzlich hintanstehen kann. Eine Antwort findet er selbst nicht, aber der Roman vermittelt uns Lesenden ein Gefühl für den schleichenden Übergang vom Politischen ins Private und ist damit mehr als aktuell. Wie schnell könnten wir Teil eines solchen Prozesses werden als Beobachteter oder Beobachtender? GuH
Ute-Christine Krupp
„Punktlandung“.
Wallstein Verlag 2021
159 Seiten, 20 Euro
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