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Trend Slow FoodIss langsam und mit Genuss

Trend Slow Food / Iss langsam und mit Genuss
Die Bewegung, die ihren Namen aus den beiden englischen Wörtern „slow“ (langsam) und „food“ (Essen) entlehnt, plädiert nicht allein dafür, seine Mahlzeiten langsam und genussvoll einzunehmen. Dahinter steht eine ganze Philosophie der Übereinstimmung von Nahrungsanbau, Fertigung, Verkauf und Verzehr. Foto: Unsplash

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Das Wort des Jahres 2020 wird sicher Corona-Krise sein. Die Pandemie legte nahezu das ganze öffentliche und private Leben lahm. Nicht nur eine Bremse der Gesellschaft, sondern auch eine Chance zur Entschleunigung. Endlich einmal Zeit, auch Mahlzeiten langsam und mit Genuss zu sich zu nehmen. Wie es sich damit verhält und welche Rolle „Slow Food“ dabei einnimmt, dafür interessierte sich unsere Korrespondentin Elke Bunge.

„Iss nicht so schnell und kau nicht so große Brocken, sonst bekommst du einen Knoten in den Bauch“, mahnte meine Oma immer. Die betagte Dame hatte ihre Erfahrungen in zwei Weltkriegen und den darauffolgenden Krisenzeiten gemacht. Wann immer sie eine Mahlzeit zu sich nahm, kaute sie jeden Bissen mit Bedacht. Dies, so erklärte sie mir, erhöhe sowohl die Bekömmlichkeit der Mahlzeit als auch das Aufnehmen der Nährstoffe. Dabei verwendete Oma ausschließlich Lebensmittel aus der Region, in der sie wohnte, von ansässigen Bauern, dem Markt oder kleinen Lebensmittelläden. Als ich später die Heimat verließ, war während der Studienzeit kaum noch Muße, heimische Gerichte zuzubereiten und zu genießen. Neben aufgeschlagenen Büchern wurde schnell etwas Essbares zu sich genommen oder auch manchmal – entgegen dem großmütterlichen Rat – heruntergeschlungen. Das konnte auch mal eine Tiefkühlpizza, eine Currywurst oder gar ein Kurzbesuch in einer der vielen Fast-Food-Ketten sein – Genuss war anders.

Wie anders, das brachte der Italiener Carlo Petrini ans Licht der Weltöffentlichkeit. Der Soziologe aus dem ligurischen Bra schrieb bereits in den 70er Jahren über Essen und Trinken und deren Einfluss auf die Gesellschaft. Als heimischer Barolo-Rotwein mit Methanol verpanscht auf den Markt geworfen wurde und daran 19 Menschen starben, gründete er aus Protest die Vereinigung Freunde des Barolo. Petrini liebte und liebt die italienische Küche. Die Eröffnung einer McDonalds-Filiale an der ehrwürdigen römischen Piazza Navona brachte den Mitbegründer der Gourmet-Zeitschrift „Gambero Rosso“ auf die sprichwörtliche Palme. Er konterte nicht nur das Ereignis mit einem öffentlichen Spaghetti-Essen zu Füßen der Spanischen Treppe, sondern rief 1986 auch die Bewegung „Slow Food“ ins Leben. Der Erfolg der neuen Vereinigung nahm seinen Lauf, besonders als italienische Mediziner auf die Verbreitung von Fast-Food-Ketten mit einer ganzseitigen Zeitungsannonce reagierten: „Fast Food macht impotent!“. Das kam – vor allem bei den männlichen Italienern – an, schnell kehrte man zur heimischen Pasta und handgemachten Pizza zurück. Seither verschreiben sich viele Lebensmittelproduzenten, Weinbauern und Gastronomen der Vereinigung „Slow Food“ unter dem Markenzeichen der Weinbergschnecke.

Die Philosophie der Übereinstimmung

Die Bewegung, die ihren Namen aus den beiden englischen Wörtern „slow“ (langsam) und „food“ (Essen) entlehnt, plädiert nicht allein dafür, Mahlzeiten langsam und genussvoll einzunehmen. Dahinter steht eine ganze Philosophie der Übereinstimmung von Nahrungsanbau, Fertigung, Verkauf und Verzehr. „Slow Food“ ist in diesem Sinne nicht einfach nur das Gegenteil von „Fast Food“, billig hergestellten Lebensmitteln, die hastig heruntergeschlungen werden. Es geht der Bewegung um die Einheit regionalen landwirtschaftlichen Anbaus mit dem Verzehr vor Ort, um Tradition in der Ernährungskultur. Es geht um nachhaltige und umweltverträgliche Nahrungsmittelproduktion. „Gut, sauber und fair“ heißt das Motto der „Slow Food“-Bewegung. „Gut“ steht dabei für Qualität sowie schmackhaftes und gesundes Essen, „sauber“ für eine Produktion, die die Umwelt nicht belastet, und „fair“ meint annehmbare Preise für die Verbraucher einerseits und akzeptable Bezahlung und Löhne für die Produzenten.

„Slow Food“ in Zeiten von Corona

Die Covid-19-Pandemie hat in den vergangenen Monaten vehement in unser aller Leben eingegriffen. Sie hat – hoffentlich – aber auch den Blick geschärft für ein Überdenken des Wertesystems: Müssen es bei Speisen wirklich die aufwendig zu produzierten Avocados sein, Papayas, Weintrauben im Winter aus Chile oder die brasilianische Acai-Beere? All diese im Trend liegenden sogenannten Superfoods mit einer verheerenden CO2-Bilanz, nicht nur in der Produktion, sondern auch im aufwendigen Transport, finden wir immer häufiger in den heimischen Supermärkten. Corona zeigte, wie schnell Lieferketten unterbrochen werden können und dann die ersehnten Produkte auf einmal nicht mehr vorhanden sind. Eine Rückbesinnung auf einheimische Früchte, Obst und Gemüse, hat in diesen Wochen eingesetzt. Regionale Produkte mit kurzen Transportwegen werden immer stärker nachgefragt.

Sogar im Winter kann Regionales gesund sein, wenn es wie früher haltbar gemacht wird. Denn fermentiertes Gemüse stärkt das Immunsystem und schützt unter anderem vor Gefäßverkalkung.

Darüber hinaus wächst in den Zeiten der Krise das Bedürfnis nach Nähe und Solidarität. Das betrifft auch die Versorgung mit Lebensmitteln. Gerade die ersten Tage der Ausnahmesituation zeigten, wie schnell unsere „Rundum-sorglos-Versorgung“ zusammenbrechen kann. Als eine Chance daraus kann sich ergeben, dass sich Produzenten zu kleinen Ketten zusammenschließen – die Agrarbauern, die Tierzüchter, die Weinbauern. Gemeinsam vermarkten sie ihre Produkte, versorgen die Verbraucher mit regionaler Qualität und sichern gleichzeitig ihre Existenz. Wenn solches Denken und Handeln nachhaltig und auf Dauer umgesetzt wird, sind große Ziele von „Slow Food“ erreicht.

Daten zu „Slow Food“

Gegründet 1986 von Carlo Petrini
Internationale Organisation seit dem Pariser Manifest vom 10. Dezember 1989
Organisiert in weltweit 1.000 Convivien in 150 Staaten
„Slow Food“ hat derzeit etwa 150.000 Mitglieder
Motto: Gut, sauber und fair
Position: Nachhaltige Nahrungswirtschaft mit Biodiversität, Erhalt traditioneller Speisen und Getränke, gegen das Aussterben und Verschwinden von einst verbreiteten Tierrassen oder Pflanzenarten. Dies basiert auf einer regionalen Kette von Produzenten, Händlern, Gastronomen und Verbrauchern.
Bildung: „Slow Food“ gründete 2004 eine eigene Universität (siehe Kasten)
Ziele:
– Jeder Mensch hat ein Recht auf Geschmack;
– Qualität braucht Zeit;
– Ökologische, regionale, sinnliche und ästhetische Qualität ist Voraussetzung;
– Geschmack ist nicht Geschmacksache, sondern historische und kulturelle Überlieferung;
Arche des Geschmacks: Hier sind gefährdete Lebensmittel, Nutzpflanzen und -tiere aufgelistet unter den Kriterien:
– sind sie in ihrer Existenz bedroht;
– einzigartige geschmackliche Qualität;
– historische Bedeutung;
– identitätsstiftender Charakter für eine Region;
– unterstützen nachhaltige Entwicklung einer Region;
– Tiere stammen aus artgerechter Haltung;
– frei von gentechnischer Veränderung;
– Produkte sind käuflich erwerbbar.

„Slow Food“-Universität

Università degli Studi di Scienze Gastronomiche – Die Universität zum Studium der Gastronomiewissenschaften (abgekürzt: UniSG) ist wohl weltweit die einzige Hochschule, an der die Kunst und der Genuss der Önogastronomie gelehrt wird. Die nicht staatliche Bildungseinrichtung wurde im Jahre 2003 von „Slow Food“-Begründer Carlo Petrini ins Leben gerufen, im Oktober 2004 nahmen die ersten Lehrveranstaltungen ihren Betrieb auf. Schnell bekam die auch vom italienischen Bildungsministerium anerkannte Universität einen internationalen Ruf. Hauptgegenstand der Studien sind die nachhaltige Landwirtschaft sowie der Erhalt der Biodiversität möglichst einheimischer Produkte. Dabei wird sich an der interdisziplinären Zusammenarbeit der Lebensmittelwissenschaft und -technologie mit Sozial- und Humanwissenschaften, Biologie und Agrarwissenschaften orientiert.
Ort: Stadtteil Pollenzo von Bra (Ligurien)
Gründer: Carlo Petrini
Studiengänge: Bachelor in Wissenschaft und Kultur der Gastronomie, Lebensmittelinnovation und -Management, Master in Gastronomie und Ökologie; Weltlebensmittelkultur; Angewandte Gastronomiekunst; Weinkultur und Ökologie; Agrarökologie; Rohmilch und Käseherstellung; Doktorat in Ökogastronomie, Gestaltung und Gesellschaft.
Darüber hinaus werden Sommeliers sowie Kellermeister ausgebildet. Ebenso finden Weiterbildungen in Sommerkursen statt, hier werden Gastronomen mit dem Prinzip „Slow Food“ vertraut gemacht. Alle Kurse werden in englischer Sprache abgehalten.

ungerer
24. Juli 2020 - 14.47

Slow >Food ist das Gegenteil von Fast Food, gegessen wird beides gleich schnell.