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Lust zu lesenIss deine Ängste wie einen Apfel: „Körper-Kintsugi“ von Senka Marić

Lust zu lesen / Iss deine Ängste wie einen Apfel: „Körper-Kintsugi“ von Senka Marić
Senka Marić Foto: Jelena Medic

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Im Sommer 2014 fühlt die Erzählerin einen Knoten in ihrer rechten Brust. Von diesem Tag an beginnt eine zwei Jahre andauernde Odyssee von Operation zu Operation, von Schmerz zu Schmerz, aber auch ein Aufbäumen des Willens, dem Tod entgegenzutreten und zu kämpfen.

Senka Marić<br />
„Körper-Kintsugi“<br />
Aus dem Bosnischen übersetzt von Marie Alpermann<br />
eta Verlag 2021<br />
160 S., 19,90 Euro
Senka Marić
„Körper-Kintsugi“
Aus dem Bosnischen übersetzt von Marie Alpermann
eta Verlag 2021
160 S., 19,90 Euro

Während der autobiografische Roman auf der einen Seite in teils nüchternem Erzählstil von Operationen, Medikamenten, immer neuen Rückschlägen, Panikmomenten, der Erschöpfung im Alltag berichtet, zeichnen andererseits eingestreute Rückblicke in die Kindheit und Jugendjahre das Aufwachsen der Protagonistin in patriarchalischen Strukturen nach. Hinzu kommen Sequenzen, in denen andere Patientinnen, aber auch Medea und Medusa sowie die Amazonen erscheinen und der Erzählerin bescheinigen, dass sie nun den Körper einer Kriegerin hat.

„Zu einer perfekten Form gemeißelt durch all die Niederlagen und Siege. Die Narben, die ihn durchziehen, zeichnen deinen Weg auf der Karte nach. Es ist die wahrhaftigste Erzählung über dich, die Worte nicht fassen können.“ Aber Senka Marić hat für all das Worte gefunden. Denn „Körper-Kintsugi“ berührt zutiefst, schneidet einem den Atem ab, entführt in eine Poetik des Überlebens, skizziert zudem eine Geschichte weiblicher Verletzungen. Der Autorin ist der literarische Spagat geglückt, von einem persönlichen, geradezu intimen Schicksal einer Krebserkrankung zu erzählen, dabei aber etwas zu erschaffen, das weit über die Einzelperson hinausgeht.

Nicht umsonst wurde sie für ihr Buch mit dem Meša-Selimović-Preis für den besten Roman im gesamten Sprachraum Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien und Montenegro ausgezeichnet. Die Autorin führt uns in eine grausam tabuisierte Welt hinein, verzweifelt dabei aber nicht und lässt auch ihre Leserinnen und Leser nicht verzweifeln. Denn der unaufhörlichen Frage, wie das alles auszuhalten ist, der omnipräsenten Todesdrohung treten immer dann, wenn es keinen Ausweg mehr zu geben scheint, Bilder voller Mut, voller Kraft, voller Schönheit entgegen. Aber auch das Nachdenken darüber, was es heißt, Frau zu sein. Wie hält man im Kopf sein Ich zusammen, wenn der Körper mehr und mehr fragmentiert wird? Wie schafft man sich Räume, in denen man noch selbst entscheiden kann und nicht die Krankheit?

DOWNLOAD Eine Leseprobe gibt es hier als PDF.

In diesem Kontext stellt die Erzählerin sich die Frage, warum sie unbedingt neue Implantate will, nachdem die alten aufgrund von Entzündungen entfernt werden mussten. Und antwortet, weil der Tod sonst doch noch einen weiteren Teilsieg davontragen würde. Denn die Protagonistin stirbt in diesen zwei Jahren mehr als einen Tod. Das Schweigen ist einer davon. Aber was folgt, ist der Satz: „Danach kommt das Leben.“

„Körper-Kintsugi“ ist einer jener Romane, die man nie wieder vergessen wird, weil sie einem das, was man zu kennen glaubte, erst zeigen.

GuH