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KlangweltenIndie-Special: Auf des Messers Schneide

Klangwelten / Indie-Special: Auf des Messers Schneide
Zola Jesus Foto: Shervin Lainez

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Britische Post-Punk-Bands gibt es derzeit reichlich. Im Zuge des Erfolgs von Idles und Konsorten versuchten einige Labels, sich ein Stück vom Kuchen zu sichern. Nicht jede frisch gesignte Band ist jedoch erwähnenswert. Was nicht für Johnny Madden (Gesang, Gitarre), Aidan McCann (Bass) und Connaire McCann (Schlagzeug) alias Baby Strange gilt.

Baby Strange – „The World Below“
Baby Strange – „The World Below“ c

Die Band aus Glasgow veröffentlichte 2016 ihr Debütalbum „Want It Need It“ – damals noch als Quartett. Mitte Juni erschien der Nachfolger „The World Below“ (8 Punkte). Darauf zaubern sie mit ihrem Gespür für Melodien, der Raffinesse von Bloc Party und einem Mix aus Post-Punk und Indierock Ohrwürmer wie „Under The Surface“ und „Only Feel It When I’m With You“, eine Postpunk-Hymne mit Gastsängerin Hayley Mary von der australischen Alternative Rock-Band The Jezabels.

Viagra Boys – „Cave World“
Viagra Boys – „Cave World“ c

Post-Punk in Kombination mit Garage Punk ist das Steckenpferd der Viagra Boys. Sieht man über den dämlichen Bandnamen hinweg und konzentriert sich ganz auf die Musik, hat man an diesem wilden, bekloppten Mix seine helle Freude. Ähnlich wie vor 20 Jahren Electric Six mischt diese Band aus Stockholm ihren Songs immer auch Spaß und Ironie bei.

Mit dem Gefühl, dass sich die Welt rückwärts entwickle und die Menschen immer dümmer werden, haben die Schweden eine Partybombe an Album namens „Cave World“ (8 Punkte) geschrieben, auf dem sie vom Post-Punk zum Blues („Big Boi“), zum New Wave („ADD“), zum Rave-Rock („Ain’t No Thief“) wechseln – und das begleitet von Saxofon, Synthesizern und Jason Williamson von den Sleaford Mods („Big Boy“).

She & Him
She & Him Foto: Chantal Anderson

2006 begannen M. Ward und Schauspielerin Zooey Deschanel, bekannt aus der Serie „New Girl“ und Schwester von „Bones“-Hauptdarstellerin Emily Deschanel, als She & Him Musik zu machen. Das ungleiche Duo mit den unverwechselbaren Stimmen fand schnell Gehör. Drei reguläre Alben haben sie bis heute veröffentlicht, plus einige Coveralben. Das jüngste ist „Christmas Party“ von 2016. Jetzt meldet sich das Duo mit „Melt Away – A Tribute To Brian Wilson“ (8 Punkte) zurück.

She&Him – „Melt Away – A Tribute to Brian Wilson“
She&Him – „Melt Away – A Tribute to Brian Wilson“ c

Über Brian Wilson sagte Deschanel, er schreibe „Lieder über Schönheit, Einsamkeit und Verletzlichkeit besser als jeder andere – und indem er sie neben populären Liedern über Zuversicht, Liebe und Spaß aneinanderreiht, entsteht ein vollständigeres Bild des Lebens auf der Erde“. She & Him stellten eine Liste mit ihren Lieblingsliedern von Wilson und den Beach Boys zusammen. Die ersten 14 davon nahmen sie für diese Platte auf, und sie erwärmen einem das Herz – siehe etwa „Melt Away“ oder „Don‘t Worry Baby“.

Zola Jesus
Zola Jesus Foto: Shervin Lainez

Bis dato hat Nika Roza Danilova, besser bekannt als Zola Jesus, lieber alleine gearbeitet. Für ihr sechstes Studioalbum „Arkhon“ (9 Punkte) war sie allerdings auf der Suche nach Input von außen, nach „frischem Blut“, wie sie sagt. So fand sie mit Produzent Randall Dunn, der schon mit Sunn O))) und dem viel zu früh verstorbenen Filmmusikgenie Jóhann Jóhannsson gearbeitet hat, und Schlagzeuger Matt Chamberlain (u.a. Fiona Apple, Bob Dylan und David Bowie) zusammen.

Zola Jesus – „Arkhon“
Zola Jesus – „Arkhon“ c

Der Albumtitel stammt aus dem Griechischen und bedeutet: Herrschende(r). Es gibt noch eine weitere Deutung aus der antiken Gnosis: niederer, böswilliger Geist. Das passt wiederum zu diesem düsteren Gothic-Synthie-Sound. „Arkhon“ handelt von den negativen Einflüssen unserer Zeit, von Verlust, Trauer und Enttäuschung. Diese unerfreulichen Themen hat Zola Jesus zu diesem starken Comeback-Album angespornt. Nicht nur ihre Stimme, auch die Musik ist facettenreich: „Desire“ ist eine traurige Pianoballade, in der ihre Stimme voll zur Geltung kommt. Ganz anders klingen der Electro-Wave-Song „Undertow“ und der abschließende Shoegaze-Wave-Track „Do That Anymore“.

Jochen Distelmeyer – „Gefühlte Wahrheiten“
Jochen Distelmeyer – „Gefühlte Wahrheiten“ c

Die poppigste Platte in dieser Woche ist „Gefühlte Wahrheiten“ (7 Punkte) von Jochen Distelmeyer. Der Frontmann der Band Blumfeld eröffnet sein Soloalbum mit der Soul-Pop-Ballade „Komm (so nah wie du kannst)“. Er konnte ja immer schon Kitschiges in schön darstellen – so auch hier. Hier ist es gegen Ende ein Muckergitarrenriff, in „Hey Dear“ sind es 80er-Jahre-Synthiegedudel. Das ist immer ein Tanz auf des Messers Schneide. Er läuft hierbei Gefahr, doch noch im Kitschbad zu ertrinken. Dann aber serviert er die großartige Akustikballade „Nur Der Mond“ und den elf-minütigen Ohrwurm „Nicht Einsam Genug“. Da hat er einen definitiv auf seiner Seite. Mit dem Text zu „Ich Sing Für Dich“ sowieso: „Mal unter uns, da ist kein Glück in den Maschinen / Auf dem Markt nur falsche Götter, denen wir dienen / Das Reallife ist den Hatern ins Netz gegangen / Egal wo hin man surft, nur verirrte Seelen“.

Aus dem musikalischen Rahmen fallen die Lieder „Gone Girl“, „The Reason“ und „Roads Of Regret“. Zum einen sind es Distelmeyers erste englischsprachigen Songs, zum anderen sind es Countrylieder, die eigentlich für ein nie realisiertes Country-Mixtape namens „Songs For The Dark Age“ vorgesehen waren. Es wäre bitter gewesen, wäre „The Reason“ im Archiv verrottet.

(Kai Florian Becker)