Der deutsche Publizist Peter Süß hat eine Art Infothek über das Krisenjahr 1923 in Buchform veröffentlicht. Die Einleitung „Aufblende“ zu nennen, heißt, das Unterfangen als eine Art Film aufzufassen und mit zwölf monatlich betitelten Kapiteln zu versehen, in denen schlaglichtartig ein Zeitabschnitt betrachtet wird, in dem sich verdammt viel zuungunsten unserer Großeltern und Urgroßeltern entwickelte.
Nehmen wir etwa den März 1923. In diesem Monat putschte Adolf Hitler mit einer Bande an Gleichgesinnten in München. Der Aufstand scheiterte, die Rädelsführer kamen in Haft, aber die Staatsmacht schätzte die Gefahr von rechts vollkommen falsch ein. Schon damals vermuteten kritische Zeitgenossen völlig richtig, dass Staatsanwaltschaft, Richter und Politiker, die in Bayern das Sagen hatten, Hitler und Konsorten ideologisch näher standen als der jungen Demokratie. Hitler wurde zu einer lächerlich geringen Haftstrafe verurteilt und durfte sich weiterhin politisch betätigen. So nahm das Schicksal gnadenlos seinen Lauf.
Weitere Schwerpunkte wie die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen, die rapide sich verschlechternde Wirtschaftslage mit galoppierender Inflation und blutig niedergeschlagenen Rebellionen von links in Sachsen und Hamburg weiß Peter Süß in seiner szenischen Geschichtsstunde mit einer Vielzahl von Anekdoten aus dem Leben von Kurt Tucholsky, Lotte Lenya, Bert Brecht und weiteren, späterhin berühmten oder, wie der Pianist George Antheil, schon damals bekannten Persönlichkeiten zu kombinieren. Zwar bleibt der Blickpunkt auf Deutschland gerichtet, dennoch ist genügend Platz für Stars wie den Schwimmweltmeister Johnny Weissmuller, der knapp zehn Jahre später als Tarzan durch die Studios Hollywoods turnte (und dabei übrigens niemals „greif die Liane, Jane!“ gerufen hat).
Man kennt den Effekt aus Illustrierten: schwere Themen, aufgelockert durch Klatsch und Tratsch in der Gesellschaftsspalte am Rand oder unter „Vermischtes“ zusammengedrängt. Kurzweil trifft hier auf ein Informationsbedürfnis, das nicht zuletzt dank der knapp dosierten Präsentation häufig einen schalen Beigeschmack bekommt. Möglicherweise hat Peter Süß deshalb sein 1923er-Infotainment immer wieder mit Kommentaren versehen, die den Lesefluss keineswegs unterbrechen und die unterhaltsame Lektüre in gewisser Weise auch grundieren. Besonders gut gelingt ihm das bei der Darstellung der katastrophalen Inflation. Damals brauchten die Menschen keine Angst zu haben, dass ihnen das Geld gestohlen werden könnte. Denn es war nichts wert. Man verstaute die Geldscheine in irgendwelchen Schubladen, wohl in der Hoffnung, dass sie irgendwann vielleicht doch noch gegen reales Geld eingetauscht werden könnten. Noch Jahrzehnte später kamen diese Geldnoten bündelweise in alten Kommoden zum Vorschein, die von Dachböden herunter geschafft und auf Flohmärkten verkauft wurden. Für Kinder der 1970er Jahre waren die Geldscheine aus der Inflationszeit Spielgeld. Alle kannten es. Die Wirkung, welche die Geldentwertung seinerzeit auf die Psyche der Menschen hatte, kann kaum überbewertet werden. Und diese fundamentale Verunsicherung, diese Zerrüttung, sollte bleiben, nachdem mit der Einführung der Rentenmark im November 1923 die erhoffte wirtschaftliche wie gesellschaftliche Konsolidierung tatsächlich einsetzte. (thk)
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