Tageblatt: Herr Boutillat, Sie haben Önologie und Agrarwissenschaften studiert und berufliche Erfahrung in Chile, Südafrika und Neuseeland gesammelt. Seit 2018 zeichnen Sie als „Chef de cave“ bei Piper-Heidsieck verantwortlich. Wie fühlt es sich für Ihren Gaumen an, an der Spitze eines solch traditionsreichen und renommierten Champagnerhauses zu stehen?
Emilien Boutillat: Es ist eine Mischung aus Chance, Stolz und Verantwortung.
Man muss dazu sagen, dass Sie bei Piper-Heidsieck nicht einfach so als Kellerchef angestellt wurden …
(lacht). Ich bin in der Champagne geboren, mein Vater war Winzer. Aber ich wollte mich weiterbilden, andere Visionen von Weinbau und Wein entdecken. Daher entschied ich mich, die Champagne zu verlassen und in Südfrankreich zu studieren.
In dieser Zeit arbeitete ich für namhafte Weingüter wie Château Margaux oder Châteauneuf-du-Pape, lernte Winzer mit unterschiedlichen Visionen kennen und konnte daraus wertvolle Erfahrung im Weinbau und in der Önologie schöpfen. Außerdem wandte ich mich der Verbraucherseite zu und lernte auch sie noch besser kennen.
Ich kehrte in die Champagne zurück, um all diese Erfahrungen zu nutzen. Zwischen 2013 und 2018, vor Piper-Heidsieck, arbeitete ich für Maison Cattier, ein ebenfalls traditionsgeführtes Haus.
Ich traf mich mit Régis Camus (der Kellermeister ist eine Eminenz in der Champagne, Verfechter der Champagne und Vorgänger von Emilien Boutillat bei Piper-Heidsieck, Anm. d. Red.), anderen Teammitgliedern und Benoît Collard, General-Manager von Piper-Heidsieck. Wir haben uns auf Anhieb verstanden.
Einerseits kenne ich mich mit Wein aus und liebe ihn, andererseits erkenne ich die Vision von Benoît für die Marke und den Wert des Champagners, wir teilen beide die hohen Ansprüche und das Vorantreiben der nachhaltigen Entwicklung, sodass eins zum anderen kam.
Gleichzeitig beinhaltet diese Position auch eine riesige Verantwortung. Es geht um das Streben nach Exzellenz in der Weinherstellung, ganz im Sinne von Régis Camus. Mit der Vorstellung der neuen limitierten Kollektion „Hors-Série“ versuchen wir, diese Exzellenz über Generationen von „Chefs de cave“ bei Piper-Heidsieck zu zelebrieren.
In ihre Fußstapfen zu treten, ist eine wunderbare Chance und eine große Verantwortung, die ich sehr gerne annehme – mit der gebührenden Seriosität selbstverständlich.
Hatten Sie keine Angst vor dieser Aufgabe?
Nein. Es ist eher eine positive Energie, ich habe Vertrauen. Gemeinsam gehen wir den Weg nach vorne. Um mich herum steht ein ganzes önologisches Team, das die Verbindung zwischen den Generationen von Kellermeistern schafft. Dieses Verständnis, diese Definition als Team ist mir sehr wichtig. Ich bin vielleicht der Dirigent des Orchesters, aber wir kreieren die Assemblagen zusammen.
Wie würden Sie sich als Kellermeister, als Önologen, beschreiben?
Es gibt viele Begriffe, die meine Arbeit beschreiben. Auf Französisch ist es der „Chef de cave“, im Englischen „the chief winemaker“. Der letzte Ausdruck trifft es am besten, denn meine Rolle ist es, Wein zu machen und unser Know-how mit jedem zu teilen: einerseits als Sprachrohr des Hauses gegenüber unseren Partner-Winzern, mit denen wir seit Generationen arbeiten und die nach nachhaltigen Kriterien arbeiten. Andererseits unsere Produkte einem breiten Publikum weltweit zugänglich zu machen und näherzubringen.
Zumal Sie seit 2018 in die Fußstapfen von Régis Camus getreten sind. Camus warIhr Vorgänger als „Chef de cave“ und konzentrierte sich auf Weine in ihrer reinsten Form. Wie wünschen Sie sich, den Kunden von Piper-Heidsieck in Erinnerung zu bleiben?
Ich teile vollends die Vision von Régis für puren Wein. Im Zentrum meiner Arbeit und Überzeugung als Önologe steht die „Ausnahme-Traube“. Es geht darum, ihr den nötigen Raum zu lassen, sich zu entfalten, ihr Terroir zu erklären, ohne jegliche künstlichen Zusätze. Diese Philosophie wird bei Piper-Heidsieck weiterhin angewendet – beispielsweise senken wir kontinuierlich den Anteil von Sulfiten in unseren Produkten.
Die Herausforderung für uns wird darin bestehen, Ausnahme-Weine in einem sich stetig verändernden klimatischen Kontext zu kreieren. Das bedeutet, sich einerseits der sich verändernden Reife der Trauben in der Weinherstellung anzupassen. Andererseits müssen wir umdenken, im Sinne der Art und Weise, wie wir arbeiten, um unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern.
Wenn ich mir wünschen könnte, dass sich die Menschen an mich erinnern, dann würde ich vor allem meinen Umweltansatz der nachhaltigen Entwicklung bevorzugen als den hohen Qualitätsanspruch. Letzterer ist das Herz unserer Philosophie heute.
Welche dieser Ziele haben Sie in der neuen Kollektion „Hors-Série 1971“ umsetzen können?
Ich hatte Glück, dass das Haus mir eine „Carte blanche“ ließ, um mich mit der neuen Kollektion „Hors-Série“ kreativ auszudrücken. Künftig wird es mehrere solche Cuvées in limitierten Serien geben, die außergewöhnlich und unerwartet sind, im Sinne von ausgetretene Pfade zu verlassen – sei es aus Sicht der Herstellungsmethode oder der Traubensorte.
Die erste limitierte Kollektion dieser Art ist „Hors-Série 1971“. Darin haben wir den Jahrgang 1971, ein Millesimé des Hauses neu interpretiert und ihn im Februar 2021 mit der Dosage eines ebenso exquisiten Chardonnay 2019 vollendet. Dieser Champagne bildet die Brücke zwischen den verschiedenen Generationen von Önologen von Piper-Heidsieck.
Warum haben Sie sich auf das Abenteuer eingelassen, die neue Produktlinie auch in Luxemburg, in einem kleinen Land und Markt, zu etablieren?
Die Liebesgeschichte zwischen Luxemburg und Piper-Heidsieck dauert seit Jahrzehnten bis heute an. Es ist ein kleines Land, was die Größe betrifft, aber mit vielen Kennern und Liebhabern von (Ausnahme-)Champagnern. Sodass es für mich schon immer feststand, für Luxemburg eine begrenzte Zahl von Flaschen zu reservieren. (Insgesamt werden 2021 Flaschen der neuen Kollektion weltweit vertrieben, für Luxemburg sind 36 davon vorgesehen, Anm. d. Red.)
Haben Sie keine Angst vor der Konkurrenz der Luxemburger? Die hiesigen Crémants gelten zwar unter Weinliebhabern im Ausland noch immer als Geheimtipp, gewinnen aber regelmäßig Gold- und Silbermedaillen bei Wettbewerben, gleichauf mit der traditionellen französischen Elite.
Ich bin viel gereist und habe viele große Weine gekostet. Es gibt Still- und Schaumweine in Luxemburg, die mich überzeugen. Ich mag aber auch die Vielfalt der Weine weltweit.
In der Champagne haben wir einzigartige Weine, im Sinne von Terroir, von Bodenbeschaffenheit. Crémants aus Luxemburg und Champagner sind unterschiedliche Produkte. Aufgrund der unterschiedlichen Geschichte und Weinbaugebiete betrachte ich sie nicht als Konkurrenten.
Es gab eine Zeit, in der Champagner als das Getränk der Elite galt. Heute kann man ihn im Supermarkt kaufen. Wie beurteilen Sie diesen Trend – als Demokratisierung des Champagners für jedermann oder als ein Ausverkauf, um die Massen zu erreichen und den Absatz zu sichern?
Champagner ist kein Produkt für Eliten. Wir glauben, dass Champagner ein Produkt bleiben soll, das zugänglich für alle und überall ist. Es wird ein Ausnahmeprodukt bleiben, ein Produkt, um damit gemeinsam zu feiern, aber der Champagner wird da sein, wo ihn die Verbraucher finden können.
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