Die Arbeit ist schwieriger geworden, aber deswegen umso wichtiger. Das sagt Carola Schneider, langjährige Moskau-Korrespondentin des österreichischen ORF, kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Russland.
Tageblatt: Sie sind seit Oktober 2011 in Moskau, also kurz vor den damaligen Duma-Wahlen und den folgenden Massendemonstrationen – wie haben Sie das erlebt?
Carola Schneider: Das war die Zeit, als Putin angekündigt hat, nach vier Jahren Medwedjew-Präsidentschaft selber wieder anzutreten für die Präsidentschaftswahlen im April 2012. Und schon vor den Duma-Wahlen hat man gemerkt, wie sich gerade in Moskau viele Menschen wie vor den Kopf gestoßen fühlten. Es war zwar für viele klar, dass Putin nach vier Jahren Medwedjew vielleicht zurückkommt, Medwedjew nur ein Statthalter war. Aber als es dann wirklich so gekommen ist und Putin so unverfroren den Leuten gesagt hat, dass er wieder zurückkommt, obwohl die Verfassung nur zwei Amtszeiten vorsieht, er aber einfach anfange, die Amtszeiten wieder von vorne zu zählen, da hat man gemerkt: Es brodelt in der Gesellschaft. Dieses Brodeln ist dann aufgebrochen, als bei den Duma-Wahlen extrem viele Berichte gekommen sind über Wahlfälschungen. Kurz danach kamen die Massenproteste – die größten, seit die Sowjetunion zusammengebrochen ist. Und diese Zehntausenden Leute auf der Straße, die hofften natürlich, dass sich jetzt etwas ändert. In diese hoffnungsvolle Stimmung bin ich damals hineingeraten.
Aufgegangen sind diese Hoffnungen nicht.
Die Stimmung ist eine andere geworden. Diese Schicht, die damals auf die Straße gegangen ist und die schon damals nur eine ganz kleine Minderheit war, auch wenn es eher große Demonstrationen waren, hat die Hoffnung verloren, dass sich Russland in den nächsten Jahren öffnet. Denn kaum war Putin im Mai 2012 wieder Präsident, hat er nur noch repressive Gesetze gegen die Bürgergesellschaft beschließen lassen. Diese Demonstrationen würden jetzt gar nicht mehr genehmigt. Finden trotzdem regierungskritische Demonstrationen statt, werden Hunderte abgeführt und verhaftet.
Wie ist Ihr Arbeitsumfeld heutzutage?
Auch das Arbeitsumfeld hat sich hauptsächlich stimmungsmäßig verändert. Das Staatsfernsehen und die Staatspropaganda sagen seit Jahren, seit der Ukraine-Krise, die westlichen Medien seien Propaganda-Medien, die alles falsch erzählten, ihnen Böses und Russland schaden wollten. Viele Leute trauen sich nicht mehr, uns ein Interview zu geben. Erstens ist das Misstrauen gegenüber westlichen Medien sehr groß. Zweitens haben viele Angst, Probleme am Arbeitsplatz zu bekommen, mit ihren Nachbarn, mit ihren Freunden. Das spüren wir – und nicht, dass jetzt der Staat oder die Zensur in unsere konkrete Arbeit eingreift.
Verschiedene US-Korrespondenten gehen davon aus, abgehört zu werden. Haben auch Sie solche Erfahrungen gemacht?
Ich glaube, dass wir jederzeit abgehört werden können. Konkrete Fälle kenne ich nur zwei. Ein Kollege wollte vor einigen Jahren in Dagestan Interviews mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen machen. Die haben ganz kurz vorher abgesagt, da man sie davor gewarnt habe, mit den Journalisten zu reden. Das hat aber eigentlich niemand wissen können, um es überhaupt verbieten zu können. Das muss also jemand abgehört haben. Mir ist es einmal in Tschetschenien passiert. Wir wurden dort an einem Ort von einer Delegation junger Männer mit Autos voller roher Eier empfangen und mit diesen Eiern beworfen. Sie sagten, wir sollten sofort zu filmen aufhören, und dass wir mit den Terroristen zusammenarbeiteten; es ging dabei um tschetschenische Untergrundkämpfer. Auch die haben nicht wissen können, dass wir zu dieser Uhrzeit an diesem Ort sind – wenn sie nicht unsere Telefone abgehört hätten. In Moskau habe ich das noch nicht gespürt, was nicht heißt, dass es nicht passiert.
Gibt es Tabuthemen?
Für russische Medien, sicher. Wenn sie über Putins Familie berichten, können sie am nächsten Tag zugesperrt werden. Einer Zeitung ist das bereits passiert. Und da halten sich auch alle dran. Wenn etwas berichtet wird über Putins Familie, wird eine andere Quelle zitiert, zum Beispiel eine internationale Nachrichtenagentur wie Reuters. Das gilt für russische Journalisten, für uns Korrespondenten gibt es kein Tabu. Weder wird uns von russischer Seite eines mitgeteilt noch sagt mein Arbeitgeber, das darfst du nicht anschneiden.
Wie ist das Interesse an Geschichten abseits vom Putin-Russland?
Groß. Es gibt so viele gescheite Menschen hier. Und wir machen sie auch, Geschichten über Rentierzüchter, Geschichten von sibirischen Bauern, die europäischen Käse machen, zuletzt eine über Kryptowährungen. Ich bekomme bei Geschichten, die einmal nicht mit Putin oder dem Kreml zu tun haben, sondern von Menschen erzählen, ganz besonders viel Zuspruch von den Zuschauern. Weil sie es spannend finden, auch mal etwas anderes aus Russland zu erfahren. Doch leider gibt es nicht immer die Zeit für solche Reportagen. Meistens sind wir dann doch mit der Politik beschäftigt.
Immer weniger Medien unterhalten eigene Korrespondenten in Russland. Sie sind noch da. Aus Ihrer Sicht: Wieso ist das wichtig?
In den 2000er Jahren, mit Medwedjew und Putin, hat es weniger heiße politische Ereignisse gegeben. Aber die finanziellen Probleme in den Redaktionen blieben trotzdem – und offenbar haben sich viele entschieden, Russland brauchen wir nicht mehr, da passiert jetzt eh nichts mehr. Da wusste keiner, was noch alles kommt. Es ist einfach wichtig, dass man da ist. Vor allem in diesen Zeiten des Misstrauens, wo in Europa und auch hier alle den Medien misstrauen, der Regierung misstrauen und nur noch in den sozialen Netzwerken nach Wahrheit suchen, wo aber niemand mehr weiß, was stimmt und was Fake ist. Unser klassischer Job im Fernsehen, Radio, in der Zeitung, ist umso wichtiger geworden – Menschen vor Ort zu haben, die wahrnehmen, was dort passiert, die das einordnen können. Wir können eine Brücke sein zwischen den Gesellschaften, damit man sich nicht noch mehr voneinander entfremdet, als es ohnehin schon der Fall ist.
Ist Moskau nervös wegen der Wahlen?
Nein, absolut nicht, es ist ja keine Wahl mit offenem Ergebnis. Putin macht keinen Wahlkampf, tritt nicht auf. Die anderen Kandidaten tun das. Von denen weiß man aber, dass sie nicht gewinnen werden. Die Wahlbeteiligung wird niedrig sein. Selbst viele Putin-Anhänger werden nicht hingehen. Das ist die im Moment größte Sorge des Kreml: Denn Putin möchte von sehr vielen im Amt bestätigt werden, nicht nur von sehr vielen Stimmprozenten, sondern auch von einer großen Beteiligung.
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