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QuergelesenEr verschmolz die Weiten des Far West mit denen des Weltalls

Quergelesen / Er verschmolz die Weiten des Far West mit denen des Weltalls
Jean Giraud Foto: Wikipedia

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René Oth zum zehnten Todestag des Comic-Visionärs Jean Giraud alias Moebius: Vom Western-Epos zur Science-Fiction-Saga

Jean Giraud, der gleichermaßen unter seinem Namen wie auch unter dem Pseudonym Moebius bekannte Franzose, verschied am 10. März 2012 im Alter von 73 Jahren nach langer Krankheit in Paris. Weltberühmtheit erlangte er mit völlig unterschiedlichen Abenteuer- und Science-Fiction-Comics – wie mit der spannenden Westernreihe „Blueberry“ und dem surrealistischen, fast psychedelischen Weltraumzyklus „John Difool“, die laut seiner eigenen Aussage ganz gegensätzlichen Arbeitsweisen entsprangen: „Mit ‚Blueberry‘ unterwerfe ich mich den klassischen Zeichenregeln. Als Moebius plündere ich die Kunstgeschichte und bin zugleich auf der Suche nach einer schamanistischen Erfahrung.“

 Buchcover: DARGAUD 2022, by Charlier, Giraud/2022 Egmont Comic Collection

Die Legende von Blueberry

Mit der neuen neunbändigen „Collector’s Edition“ erscheint derzeit die definitive Ausgabe des frankobelgischen Westernklassikers „Blueberry“(*) mit allen von Jean Giraud gezeichneten Geschichten in der von Fans langersehnten Originalkolorierung. In dieser sorgfältig edierten Werkausgabe der „Egmont Comic Collection“, die zudem einen umfangreichen redaktionellen Teil enthält, leuchten die kargen Wüstenlandschaften Nordmexikos und des amerikanischen Südwestens besonders hell und verströmen eine einzigartige Faszination. Inmitten der eigenartigen Felsformationen des Monument Valley begann Leutnant Mike Steve Donovans jahrzehntelanger Ritt als Blueberry durch die unbändige Fantasie des Comiczeichners Jean Giraud, der 1963 im Belgier Jean-Michel Charlier auf einen genial begabten Szenaristen gestoßen war.

Der von ihnen geschaffene populäre Westernheld ähnelte Jean-Paul Belmondo, und seine Streifzüge durch den blutigen Far West waren zumindest am Anfang unverkennbar vom Wirken des Filmregisseurs John Ford durchdrungen. Fort Navajo, in dem Blueberrys Leutnantskarriere begann, war „Fort Apache“ aus Fords gleichnamigem Film nachempfunden. Auch die späteren Abenteuer Blueberrys in den Jagdgründen der Sioux orientierten sich noch teilweise an den Kinovorbildern eines Sidney Salkow, der mit seinen beiden Meisterwerken „Sitting Bull“ („Das letzte Gefecht“, 1954) und „The Great Sioux Massacre“ („Entscheidung am Big Horn“, 1965) das Westerngenre aufpoliert hatte.

 Buchcover: DARGAUD 2022, by Charlier, Giraud/2022 Egmont Comic Collection

Blueberry erwies sich gemäß der Beschreibung von Jean-Michel Charlier als „struppiges Raubein“, dessen Haut durch Sonne und Wüstenwind zu Leder gegerbt war. Mit „hammerharten Fäusten“ und seinem zielsicheren „Sechsschüsser“ pflegte er sich durchzusetzen. „Sein sehr eigener Sinn für Disziplin, seine unverbesserliche Neigung zu Zank und Streit, seine Angewohnheit, stets nur nach seinem Kopf zu handeln“ und seine offen bekundete Sympathie für die Indianer brachten ihm alles andere als das Wohlwollen seiner Vorgesetzten ein. Diese für einen Offizier nicht gerade förderlichen Eigenschaften erklären auch vielleicht, warum der eng in das Epos des Wilden Westens verstrickte und doch stets geheimnisvoll am Rande agierende Blueberry „es nie über den Rang eines Leutnants hinaus brachte“.

Genialer Zeichner und Erzähler

Nach Charliers Tod im Jahr 1989 bereicherte Jean Giraud im Alleingang die damals vorliegenden zwei Dutzend Blueberry-Bände um sieben weitere Spätwerke, die seine eigene minimalistische Selbsteinschätzung als Szenarist aus einem Interview in der deutschen Tageszeitung Die Welt Lügen straften: „Ich bin kein Literat, sondern ein Maler, ein Zeichner, ein ‚Natural Born Drawer‘. Ich habe eine Menge Ideen und Träume, aber ich schaffe es selten, sie in Geschichten umzusetzen. Lauter Sackgassen.“

 Buchcover: DARGAUD 2022, by Charlier, Giraud/2022 Egmont Comic Collection

Die Erklärung dafür, warum er sich gerade dem Genre des Western verpflichtet fühlte, fand er stets in seiner Jugend verankert: „Die Figur Blueberry altert, und der Zeichner Jean Giraud wird dadurch jünger. Als ich jung war, war ich vom Western sehr fasziniert. Ich bin sozusagen ein Produkt meiner eigenen Geschichten. Wenn ich mich mit Blueberry beschäftige, falle ich altersmäßig immer zurück. Es ist eine Art Regression; ich gehe durch diese schöne Tür hindurch und erzähle mir selbst immer wieder etwas über mich.“

Lesetipp

(*) Jean Giraud & Jean-Michel Charlier: „Blueberry Collector’s Edition 01-09“ (Egmont Ehapa Media GmbH, Reihe „Egmont Comic Collection“, Berlin 2019-2022, 9 Bände, 176– 224 Seiten pro Band, gebunden, € 39,00 pro Band, ISBN 978-3-7704-4082-5/-4083-8/-4092-7/-4091-7/-4107-5/-4108-2/-4109-9/-4110-5/-4111-2)