Bei der Frage, ob Diana Kachalova mit uns über die aktuelle russische Politik reden wolle, muss die Chefredakteurin der Sankt Petersburger Ausgabe der Novaya Gazeta erst einmal herzhaft lachen: «Das könnte den Rest unseres Lebens dauern.» Immerhin: Auch Russlands größter Oppositionszeitung ist der Humor nicht vergangen. Trotz aller bestehenden Sorgen – um Pressefreiheit, um Demokratie, um Russlands Zukunft.
Tageblatt: Was macht Präsident Putin so speziell, dass wir nun hier in einer Vorwahlzeit sind und den Ausgang dieser Wahl nicht einmal besprechen müssen, weil jeder weiß, wer gewinnen wird? Was ist Putins Geheimnis?
Diana Kachalova: Geheimnis? Ich weiß nicht recht. Aber bereits als Putin 2000 das erste Mal gewählt wurde, war er unglaublich beliebt, auch und gerade bei Frauen. Viele wünschten sich damals in ekstatisch frohen Briefen an ihn, an die Zeitungen, an den Kreml, dass er ihnen ein Kind mache. Das wurde veröffentlicht, ich habe diesen Nonsens gelesen! Mittlerweile gibt es nicht mehr so viele Frauen, die sich ein Baby von Putin wünschen. Aber so wie sie damals hypnotisiert waren von ihm als Mann, sind sie nun hypnotisiert vom Wort «Stabilität». Mittlerweile weiß jeder, dass das Leben nicht so toll ist, wie es sein könnte. Der Kreml spielt deswegen die Karte, dass die Sache mit der Stabilität gar nicht so übel ist – und dass, sobald ein anderer als Putin gewählt würde, alles im Desaster enden würde.
Zur Person: Diana Kachalova
Diana Kachalova ist Chefredakteurin der Sankt Petersburger Ausgabe der größten russischen Oppositionszeitung Novaya Gazeta. Sie sagt, dass die Medien im heutigen Russland zu etwas geworden seien, wo sich die meisten guten Journalisten schämen würden, zu arbeiten – und die Novaya Gazeta sei da einige der wenigen Ausnahmen. Das Gespräch mit dem Tageblatt fand statt im Rahmen eines vom Wiener Forum für Journalismus und Medien (FJUM) organisierten Seminars.
Hat dieses «Desaster» eine konkrete Form? Wovor wird da Angst gemacht?
Die große Drohung lautet immer: Dann geht es zurück in die Neunziger. Nun haben aber viele Leute vergessen, was die Neunziger waren. Denn in den Städten bedeuteten sie vor allem Demonstrationen, Pressefreiheit usw. In den kleineren Orten und Dörfern hingegen waren die Neunziger vor allem gleichbedeutend mit einem Mangel an Nahrung, Dienstleistungen, Geld – demnach ein absolut armseliges Leben. Deswegen löst diese Drohung bei vielen eine solch panische Angst aus. Die Menschen wählen Putin nicht, damit es besser wird, sondern damit es nicht schlimmer wird.
Die anderen Kandidaten sind ohne Aussicht auf Erfolg, scheinen nur die eigene Klientel bedienen zu können …
In Russland werden Kandidaten wie der extrem-rechte Schirinowski und andere, die immer wieder ohne wirkliche Erfolgsaussichten antreten, auf der Straße als «benutzte Kondome» bezeichnet: Politiker, die bereits so oft gebraucht wurden, dass es keinen mehr kümmert. Schirinowski zum Beispiel hat seine Unterstützer, er hat seine Partei – aber nicht einmal ich weiß, was die in ihrer Partei überhaupt anstellen. Diese Kandidaten werden vor Wahlen aus dem staubigen Schrank herausgeholt und dann in den Wahlkampf gestellt. Danach verschwinden sie wieder in ihrem Schrank, so geht das immer.
Bei dem Kandidaten der Kommunisten Grudinin verhält es sich etwas anders. Seine Nominierung war eine Überraschung.
Naja, nicht wirklich. Die haben Grudinin ausgepackt, weil sein Vorgänger Sjuganow mittlerweile wirklich nicht mehr zu vermitteln war. Interessanterweise berichtete mir im vergangenen Jahr eine Freundin, die jeden Verdachts des Kommunismus erhaben ist, von so einem unglaublich tollen Typen aus dem Süden des Landes. Sie erzählte mir, wie wunderbar er dort die Geschicke leiten würde, wie schön dort alles aussehen würde. Damals war uns der Name Grudinin zwar geläufig, wir wussten aber nicht, dass er kommunistischer Kandidat werden würde. Das Erstaunen, wie toll dort unten im Süden alles war, wich dann genauso schnell der Erkenntnis, was für ein fürchterlicher Typ er wirklich ist. Und sowieso: Es wird wirklich nicht sehr viel über Grudinin gesprochen.
Dafür umso mehr über einen Mann, der gerne kandidiert hätte, es aber nicht darf. Was ist Nawalny für ein Politiker?
Da muss ich etwas ausholen. Ich werde von Ausländern oft nach Druck oder Zensur gefragt. Meine Antwort ist immer, ja, es gibt etwas Druck, es gibt Geschichten, für deren Veröffentlichung wir kämpfen müssen. Das Schlimmste aber ist, dass es eine kleine Gruppe von Medien gibt, die mehr oder weniger Pressefreiheit haben. Da gibt es uns, also die Novaya Gazeta, es gibt aber auch den Kommersant, Echo Moskau, RBK und einige kleinere Publikationen. Doch alle diese schreiben für oder werden gehört oder angeschaut von den 14 Prozent der russischen Bevölkerung, die Putin nicht ergeben sind und eh bereits alles wissen. Wir erzählen uns gegenseitig Sachen, die wir schon kennen. Das ist ein ernsthaftes Problem, da keiner weiß, wie man zu den restlichen 86 Prozent sprechen soll, die zurückgelassen werden. Und Nawalny war der Erste nach Putin, der das kann. So wie er zu den Leuten spricht, sehr einfach und klar, unterstützt von hübschen Bildern – es ist, als würde er ihnen so lange auf den Kopf hauen, bis sie es verstanden haben und sich fragen: Was zum Teufel geht in Russland überhaupt vor sich?!
Wäre er Kandidat, würden Sie Nawalny wählen?
Nein. Wenn er Kandidat wäre und würde er gewählt, wäre es schnell so weit, dass er nicht viel besser als Putin wäre. Anders, aber nicht besser.
Was ist Nawalny für ein Politiker, wofür steht er?
Wenn Sie ihm zuhören, hören Sie eigentlich nur Dinge, bei denen er recht hat. Aber 90 Prozent der Zeit geht es nur um den Kampf gegen die Korruption und dass das Russlands schlimmstes Problem sei. Es geht immer nur um Korruption, Korruption, Korruption. Klar müssen wir Korruption bekämpfen – aber es gibt auch andere Probleme. Wenn irgendwann einmal jemand gewählt wird, der für demokratische Werte einsteht und der würde Nawalny in die Verantwortung holen und sagen wir zum Chef der Polizei oder obersten Staatsanwalt machen, fände ich das eine gute Idee – das wäre der richtige Ort für ihn. Aber doch bitte nicht an die Staatsspitze.
Wie hat sich die Medienlandschaft verändert?
Die gibt leider ein trauriges Bild ab. Unsere größten TV-Sender gehören dem Staat oder Leuten, die so nah an Putin sind, dass man ihre Sender als Staatsbesitz bezeichnen kann. Das Problem ist, dass wir unabhängige Medien nicht nur verlieren, weil sie geschlossen werden. Die meisten Zeitungen werden jedoch nicht geschlossen, sie wechseln nur die Besitzer. Aus irgendwelchen seltsamen Gründen sind das immer gesellschaftsliberal eingestellte Besitzer, die dazu bewegt werden, ihre Medien an jemanden zu verkaufen, der dann die politische Linie der Zeitung umdreht … Beschwert man sich dann über politischen Druck, heißt es bloß: Nein, nein, das waren finanzielle, wirtschaftliche Gründe – der Mann wollte halt verkaufen, mehr nicht.
In diesem Jahrtausend wurden bereits drei Journalisten Ihrer Zeitung ermordet. Werden auch Sie bedroht?
Novaya-Gazeta-Journalisten bekommen dauernd Drohungen. Das können kleinere Angelegenheiten sein wie ein Telefonanruf. Das können aber auch Morddrohungen oder Ähnliches sein. Im vergangenen Jahr recherchierten wir, wie Homosexuelle in Tschetschenien misshandelt werden. Daraus sind mehrere Geschichten entstanden. Elena Milashina, die diese Recherche leitete und die Texte schrieb, hat seitdem massive Probleme. Und vor nicht allzu langer Zeit musste in Moskau eine Webseite schließen wegen einer Story über die Immobiliengeschäfte des Chefs des Geheimdienstes FSB. Da ich aber finde, dass sich Journalisten gegenseitig unterstützen sollten, entschied ich, die Geschichte in der Novaya Gazeta zu veröffentlichen. Daraufhin gab es Anrufe, in denen mir geraten wurde, das doch besser zu lassen. Wir haben es trotzdem veröffentlicht – und wir sind noch am Leben.
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