Unruhig war man als Fan der alten Schule schon, als die Pixies 2013 neues Material veröffentlichten und so E.P. für E.P. ihr Erbe verspielten. Das Resultat, „Indie Cindy“, klang krumm und schief – aber eben nicht charmant krumm und schief, wie es die ersten Pixies-Platten damals taten: Die Band wirkte bemüht, ideenlos, ganz so, als wüsste man zwar noch, wie ein Pixies-Song zu funktionieren hat, hätte die Rezeptur jedoch verloren und mit Erinnerungsfragmenten versucht, dem Erfolg von damals nachzueifern.
„Head Carrier“, die zweite Platte nach der Reunion, korrigierte den Kurs etwas, leider jedoch nur ein wenig, nach oben. Erst mit „Beneath the Eyrie“ erschien ein Werk, das sich durchgehend hören ließ, auch wenn die Platte mit den Großtaten der späten 80er wie „Surfer Rosa“, „Dolittle“ oder „Come on Pilgrim“ nicht ganz mithalten konnte.
Rückblickend wirkt es fast so, als hätten Black Francis und seine Pixies eine ganze Weile gebraucht, um zu merken, dass ihnen das Schiefe, das Wilde, das Ungestüme nicht mehr zu Gesicht steht, es zudem eine Menge junger Bands gibt, die ihre Wut von damals verinnerlicht und stilistisch weiterentwickelt haben und denen man das Terrain besser überlassen sollte.
Auf „Doggerel“ klingt die Band dann auch genauso: entspannt, unaufgeregt, versöhnlich. Auch wenn das Mid-Tempo hier vorherrscht: Die Pixies haben sich darauf fokussiert, tolle Songs zu schreiben – was ihnen auf „Doggerel“ fast durchgehend auch gelingt.
Bereits auf dem vorab veröffentlichten „Vault of Heaven“ scheint sich die Band daran zu erinnern, dass auch ihr größter Hit, „Where Is My Mind“, mit akustischen Gitarren trumpfte, die erste Single ist dank tollem Chorus, Paz Lenchantins elegantem Bass, ihren wirkungsvollen Backing Vocals und Joey Santiagos staubtrockenen Wüstengitarren einer der besten Pixies-Songs seit langem. Dass der Rest der Platte das Niveau größtenteils halten kann, ist für Pixies-Fas eine der besten Nachrichten seit langem.
Auf „Doggerel“ findet man Black Francis Hang zu in Sprechgesang verpackte lyrische Absurditäten („Dregs of Wine“), Melodien für die Ewigkeit („Haunted House“, „There’s A Moon On“), überraschende Rhythmus- und Melodiewendungen („Nomatterday“), tolle Indie-Balladen („The Lord Has Come Back Today“), treibende Schlagzeugrhythmen und unpeinliche Gitarrensoli („There’s A Moon On“, „Doggerel“), lässigen, tanzbaren Desertrock der Marke Raveonettes („Who’s More Sorry Now“), eine weniger orchestrale Indie-Rock-Variante von Muses „Knights of Cydonia“ („You’re Such a Sadducee“), sogar diskrete Funkrock-Anleihen mit 80er-Vibe („Doggerel“) und hier und da immer wieder ein paar unauffällige Synthies, die zeigen, dass die Band sich 2022 leicht an den Zeitgeist anpasst – und trotzdem kompromisslos bleibt.
Die Songs sind im Vergleich zu den alten Pixies länger, melodischer, ausgeklügelter, opulenter instrumentiert und machen die mittlerweile abwesende Verspieltheit durch ihre kompositorische Reife wett. Auch wenn es bedauerlich ist, dass Paz Lenchantin diesmal keine Tracks beigesteuert hat, ist es begrüßenswert, dass Joey Santiago mit „Dregs of Wine“ und dem melancholischen Wüstenrock von „Pagan Man“ gleich zwei Songs beigesteuert hat.
Dass dabei nicht jeder der 12 Songs gleich zündet („Thunder and Lightning“ klingt leider ganz und gar nicht so, wie sein Titel es vermuten lässt), stört nur wenig: Auf dem vierten Album nach der Reunion klingen die Pixies nicht nur endlich wieder nach der Kultband, die sie einst waren. Die Band hat vor allem ihren Frieden damit geschlossen, dass sie nie wieder so genial und unabdingbar wie 1989 sein wird und fokussiert sich mittlerweile darauf, einfach gute Platten zu schreiben. „Are We Gonna Make It?“, fragt Black Francis auf „Dregs of Wine“. Die Antwort lautet, nach etwaigen Neustartschwierigkeiten, auf Platte Nummer vier: „Yes, they made it.“ (Jeff Schinker)
Anspieltipps: Vault of Heaven, There’s A Moon On, Haunted House, Who’s More Sorry Now
Bewertung: 8/10
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