Grenzen überschreiten – so kann man mit Fug und Recht das Schaffenscredo des US-amerikanischen Singer-Songwriters Andrew Bird beschreiben. In seinem aktuellen Album „Inside Problems“ führt uns der vielseitige Musiker in das innere Chaos, aber auch in die innere Ordnung des Seins, an die Grenzen des Bewusstseins und Fühlens, um sie infrage zu stellen und – natürlich wie immer – zu überschreiten.
Den 1973 in Chicago geborenen Andrew Bird kann man sehr wohl als Künstler der besonderen Art im Bereich moderner populärer Musik bezeichnen. Bereits im Alter von vier Jahren begann Bird das Geigenspiel zu erlernen. Nach dem Abschluss seiner Schulzeit studierte er das Instrument an der Northwestern University in Illinois. Doch Andrew Bird orientierte sich nicht wie die deutsche Violinistin Ann-Sophie Mutter oder die Norwegerin Mari Samuelsen in die Musikrichtung Klassik. Eher ist er mit dem stets aufmüpfigen Briten Nigel Kennedy vergleichbar, ständig seinen eigenen Weg, mit eigenem Stil und verschiedensten Instrumenten zu suchen. Neben der Geige beherrscht Bird auch Mandoline, Gitarre, Glockenspiel und ab und an überrascht er mit seinem Pfeifen. Die Geige bleibt allerdings immer das wesentliche, vordergründige Instrument in seinen Aufnahmen.
Dies konnte man bereits bei dem 1996 produzierten ersten Soloalbum, einem überaus violinenbetonten Folk-Debüt, hören. Doch keineswegs wollte sich Bird auf dieses Genre festlegen oder festlegen lassen. Mit seiner Band Andrew Bird’s Bowl of Fire erinnert er in den Arrangements eher an die wilde Jazz- und Dixie-Zeit der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die Formation spielt von 1997 bis 2001 zusammen und lässt schon damals ein ganz besonderes Album entstehen. „Thrills“ erinnert in seinen Elementen an Kompositionen, wie sie vielleicht von Kurt Weill zu hören waren. Auch das Zusammenspiel mit Bowl of Fire blieb eine Schaffensperiode, in deren Anschluss Bird wieder allein arbeitete. Das jetzt vorgestellte „Inside Problems“ ist das 15. Soloalbum Birds und kann durchaus als Meisterleistung ausgezeichnet werden.
Wie schon bei vorigen Werken lässt sich Bird hier vielleicht am ehesten als Singer-Songwriter mit Einflüssen aus Jazz, Rock, Folk und Country beschreiben. Das neue Album kommt ruhig und sanft, nennen wir es unaufgeregt, rüber. Es mag ein paar Mal gehört werden, bis es sich einem vollständig erschließt. Denn erst dann nimmt man die vielen Klänge und Stilrichtungen wirklich wahr. Da ist natürlich die Geige, mal gestrichen, mal gezupft, die dieses Album prägt. Doch auch die von Bird weiterhin eingesetzte Instrumentalisierung überrascht das Ohr des Zuhörers ebenso wie sein virtuoses Pfeifen. Bei diesen musikalischen Einsprengseln könnte man glatt vergessen, dass der Name des Albums „Inside Problems“ lautet, denn statt mit schwerwiegenden psychischen Problemen konfrontiert zu werden, könnten diese Klänge eher eine Leichtigkeit bringen und zu einem Lächeln verführen.
Selbst sagt Bird zu seinem neuen Album: „Die Menschen können bei meiner Musik hören, was ich in meinem Inneren denke. Alle paar Monate fühle ich mich, als ob ich mich häuten würde. Das ist kein angenehmes Gefühl, es ist so, als ob eine dicke Schicht über mir läge, die mich niedergedrückt und extrem ermüdet. Wenn ich dann nach ein paar Tagen dort herauskomme, fühle ich mich wie neugeboren.“ Und vielleicht ist auch das Pfeifen ein Ausdruck für die Auferstehung aus Tiefe und Dunkelheit in eine tiefen Zufriedenheit.
Was er mit dem neuen Album ausdrücken wollte, so Bird, ist Zustände zu beschreiben, die wir alle kennen.
Das Album beginnt mit „Underlands“ und startet beschwingt mit Birds gezupfter Geige. „Lone Didion“ lässt den Zuhörer dann weiter mitschwingen, fast heiter. Das Unsichtbare, Verborgene erklingt wohl am deutlichsten im Geigensolo, diesmal gestrichen, am Ende des Songs. Es scheint einem, als ob die Violine die Membran zwischen dem Inneren und dem Äußeren durchdringt. So eindringlich verworren und unausweichbar begegnet dem Hörer hier der Klang des Instruments. Nach dem intensiven Stück führt Bird wieder zurück zur Ruhe. Fast klingen im darauffolgenden „Fixed Position“ die siebziger Jahre mit der Musik eines Neil Diamond an. Gitarre, Gesang und Chor dominieren das Stück, aber auch das entspannte Pfeifen fehlt hier nicht. Und genauso vielfältig geht das Album weiter. „The Night Before Your Birthday“ lässt Lou Reed vor meinem inneren Auge erscheinen. Bei „Make a Picture“ möchte man mittanzen, so leicht schwungvoll erscheint das Stück. Ähnlich ergeht es einem bei „Eight“, dem neunten Stück des Albums, die Geige erklingt dabei orientalisch angehaucht und gibt der Leichtigkeit des Rhythmus zugleich ein Stück Schwermut. Dabei sind es gerade diese Wechsel, die den Zauber dieses Album ausmachen. Eine Geige, die einen mitnimmt in unser Inneres und dieses Innere nach außen befördert – eben „Inside Out“.
„Inside Problems“ – wer kennt sie nicht? Doch Andrew Bird will uns mit den inneren (und äußeren) Auseinandersetzungen nicht allein lassen, im letzten Stück „Never Fall Apart“ holt er uns zurück, lässt uns nicht auseinanderfallen und zerbrechen. Und wer mag, kann dann von vorn beginnen.
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