Öko zur Routine machen. Das klingt in Zeiten, in denen grüne Themen in der Wählergunst liegen, richtig gut. In dem Buch „Ökoroutine – Damit wir tun, was wir für richtig halten“ gibt Autor Michael Kopatz Anregungen, wie das funktionieren kann. Das Buch fordert von Bürgern und Politik: „Ändert die Verhältnisse, dann verändert sich auch Verhalten.“*
Tageblatt: Herr Kopatz, greifen wir uns alle zu wenig an die eigene Nase beim Klimaschutz?
Michael Kopatz: Wenn Sie damit meinen, dass die Leute zu wenig für die Sachen tun, die sie als wichtig erachten, wie den Klimaschutz, dann stimme ich dem zu. Der Untertitel des Buches, „Damit wir tun, was wir für richtig halten“, unterstellt ja, dass wir das momentan nicht machen.
Sind wir nicht konsequent genug?
Öko ist verbal zur Routine geworden. Klimaschutz finden viele wichtig, scheitern dann aber im Alltag. Es fällt uns offenbar sehr schwer, das umzusetzen, was wir für moralisch geboten halten. Ein Beispiel: 90 Prozent der Deutschen sagen in Umfragen, dass sie bereit sind, deutlich mehr Geld für Fleisch aus artgerechter Tierhaltung auszugeben. Nur zwei Prozent tun es.
Sie wollen den Konsumenten retten. Warum eigentlich?
Ich möchte die Verhältnisse durch neu geschaffene Standards so ändern, dass die Leute automatisch verantwortungsvoller konsumieren, ohne darüber nachdenken zu müssen.
Wie soll das gehen?
Weil die Produkte, die es zu kaufen gibt, anders sind. Sensibilisierungskampagnen und Bildungsangebote in diese Richtung gibt es seit 30 Jahren. Das reicht nicht. Wir brauchen jetzt strukturelle Veränderungen.
Weil der Mensch ein Verdrängungskünstler ist?
Ja. Nehmen wir die Hundehalter. Sie lieben ihren Hund, der schaut so süß, ist der beste Freund der Familie. Dieselben Leute kaufen im Supermarkt das billigste Fleisch ein und nehmen damit martialische Tierhaltung in Kauf. Das nenne ich gelebte Schizophrenie. Es ist erwiesen, dass wir gut mit Widersprüchen leben können.
Die allgemeine Denke ist doch aber: Was kann ich denn schon ändern?
Deswegen sage ich, öffentlicher Protest ist wirksamer als privater Konsumverzicht. Es wäre geradezu fatal, wenn die Leute es dabei belassen, im Bioladen einzukaufen, und dabei gleichzeitig unpolitisch sind. Es reicht nicht, das Richtige zu kaufen, sondern sie müssen sich in die Politik einmischen.
Also nicht nur von Öko reden und grün wählen …
Richtig.
Sie fordern die Politik auf, die Wirtschaft zu reglementieren. Das ist ein heißes Eisen …
Ich finde die Politik in dieser Sache manchmal sehr mutlos. Das sieht man jetzt wieder in der BRD beim Thema Automobilindustrie und im Bereich der Kohle, Stichwort Proteste am Hambacher Forst. Sie wird aber nicht darum herumkommen. Man kann von der Politik erwarten, dass sie das große Ganze sieht und nicht nur kurzfristige Interessen vertritt.
Da lehnen Sie sich aber weit aus dem Fenster …
Kommt drauf an. Es ist ja schon viel gemacht worden, denken wir an die Energiewende. Aber das reicht nicht. Deshalb genügt es auch nicht, alle vier Jahre zur Urne zu gehen. Wenn viele Menschen auf die Straße gehen, sehen sich Reformer in der Politik bestätigt, ihre Ideen durchzusetzen.
Redet noch jemand von der Werbeindustrie mit Ihnen? Da verorten Sie ja einen Grund des Übels …
Werbung kann extrem nützlich sein. Stellen Sie sich mal vor, vor der Tagesschau läuft ein Spot, der zeigt, wie cool Fahrradfahren ist. Dafür fehlt allerdings das Geld, weil kein Konzern dahintersteht. Im Moment animiert die Werbung uns doch aber, Dinge zu kaufen, die wir eigentlich nicht brauchen.
Stichwort Verkehr: Da muss in Ihren Augen dringend
etwas passieren. Warum?
Ich sehe große Fortschritte in anderen Bereichen. Nur im Verkehrsbereich hat sich die Situation in Deutschland in den letzten Jahren sogar noch extrem verschlimmert. Die einfache Erkenntnis lautet: Mehr neue Straßen werden nicht zu einer Entlastung führen, sondern das Gegenteil bewirken.
Sie bringen das Beispiel Singapur. Dort werden nur neue Pkws zugelassen, wenn welche verschrottet werden. Das riecht nach Meuterei, würde so etwas eingeführt werden.
Ob die Automobilindustrie dadurch Einbußen hätte, ist gar nicht sicher, weil die meisten Neuwagen in den Export gehen. Wenn die deutsche Automobilindustrie nur noch für die eigenen Leute produzieren würde, hätten wir nur noch halb so viele Beschäftigte. Das ganze System funktioniert nur wegen des Exports.
Wirklich nur deshalb?
In Deutschland haben wir in den letzten zehn Jahren sieben Millionen zusätzliche Pkw und das „Modell Singapur“ würde der Industrie schaden. Dennoch sind wir aus der Steinkohle ausgestiegen, wir steigen aus der Braunkohle aus. Man kann nicht alles nur so weitermachen, weil daran Arbeitsplätze hängen.
Das ist aber doch immer das Argument, alles so zu lassen…
Ich halte dagegen: Im Bereich der erneuerbaren Energien haben wir in Deutschland mittlerweile 360.000 Beschäftigte. Das ist schon 18-mal so viel wie in der Braunkohle, halb so viel wie in der Automobilindustrie. Da sieht man, wo die Potenziale schlummern. Wir stehen sicherlich vor einem dringend notwendigen Wandel. Der Wandel ist notwendig, aber das heißt nicht, dass es dann weniger Beschäftigte geben wird.
Der öffentliche Nahverkehr muss die bessere Alternative sein. Das würde der luxemburgische Transportminister sicherlich sofort unterschreiben. Was sagen Sie den Leuten im ländlichen Raum?
Die Leute vom Land, wenn sie denn einen Anschluss haben, werden diese Verkehrsmittel nutzen, wenn sie schneller sind. Von Menschen auf einem Dorf, wo nur fünfmal am Tag ein Bus fährt, würde ich das gar nicht erwarten. Was sie aber für den Klimaschutz tun können, ist, das Auto am nächsten Bahnhof stehen zu lassen, um mit dem Bus oder mit der Bahn in die Stadt zu fahren.
Der Verbraucher hat die Macht. Sie sagen, das stimmt nicht. Wie kommen Sie denn darauf?
Theoretisch wäre es ja so: Wenn wir alle nur noch biologisch öko-fair hergestellte Turnschuhe kaufen würden, werden auch nur noch solche Schuhe hergestellt. In der Realität ist es aber nicht so. Seit 30 Jahren setzen wir beim Verbraucher an und versuchen, auf diesem Weg die Welt zu verändern. Das hat nicht geklappt. Es ist ein Mythos, daran festzuhalten und immer wieder die Macht des Verbrauchers zu proklamieren. Ich möchte die Produktion verändern und nicht den Konsumenten.
Wollen Sie die „Ökodiktatur“?
Das unterstellen mir manche. Das, was ich vorschlage, ist im Rahmen einer geordneten Demokratie etwas ganz Normales. Pathetisch formuliert: Die Geschichte der Zivilisation ist eine Geschichte der Entwicklung von Regeln. Sie gehören zu einer Demokratie wie zum Menschen das Atmen. Ohne Regeln würde das ganze System nicht funktionieren. Im Vergleich zu den Lebensmittelvorschriften, die es schon gibt, ist das System der „Ökoroutine“ geradezu banal.
*Das Interview wurde am Dienstag geführt. Autor Michael Kopatz ist auf lesereise und war am Mittwoch Abend auf Einladung des «Movement écologique» zu Gast in Luxemburg.
Michael Kopatz ist Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Umweltpolitik und Umweltplanung. 2006 promovierte er zum Dr. rer. pol. mit dem Thema „Nachhaltigkeit und Verwaltungsmodernisierung“. Er ist Dozent und Projektleiter im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in der Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik. Seit 2011 ist er auch Lehrbeauftragter an der Leuphana Universität Lüneburg und der Universität Kassel. Von 2007 bis 2008 war er Projektleiter und Mitautor der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“, die von Wissenschaftlern des Wuppertal Instituts erstellt wurde.
Da können noch soviele gescheite Bücher von Experten in Sachen Klimaschutz geschrieben und veröffentlicht werden, so lange die Politik nicht die entsprechenden und notwendigen Massnahmen ergreift und durchsetzt, tut sich nicht viel in dieser, für uns alle lebenswichtigen, Angelegenheit. Erst wenn der Mensch am eigenen Leib die Konsequenzen des Schindluders, das er mit der Umwelt anstellt, zu spüren bekommt, wird sich was ändern. Aber dann wird es längst zu spät sein.