Dienstag9. Dezember 2025

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Taliban in Kundus – Alptraum aller Afghanen

Taliban in Kundus – Alptraum aller Afghanen
(Reuters)

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Ein Jahr, nachdem die Taliban die nordafghanische Stadt Kundus für zwei Wochen in ihrer Gewalt hatten, versuchen sie erneut, sie zu erobern.

Die Taliban haben ein feines Gespür für Symbolik. Ihr Sturm auf die nordafghanische Stadt Kundus fällt fast genau auf den Tag ihrer Eroberung der Stadt im vergangenen Jahr. Damals hatten sie Kundus-Stadt fast zwei Wochen lang in ihrer Gewalt. Es war der erste große Landgewinn der Islamisten seit Beginn der internationalen Intervention in 2001 und ein Schock für die afghanische Regierung, die internationale Gemeinschaft, besonders für die Deutschen, dessen Soldaten lange die Schutzmacht am Ort waren.

Am Montag also wieder: In den sozialen Medien sind Taliban-Videos zu sehen, die vermummte Kämpfer in den Straßen von Kundus zeigen, große Waffen um die Schultern und martialische Munitionsgürtel am Bauch. Am Morgen spielen die Gefechte sich noch am Stadtrand ab, aber am Abend dringend die Islamisten in einer zweiten Welle dann ins Zentrum von Kundus vor.

Zerstrittene Regierung, strapazierte Streitkräfte

Gefechte auf dem Hauptplatz der Stadt – der Angriff ist der Alptraum aller Afghanen, die die Fähigkeit ihrer zerstrittenen Regierung und strapazierten Streitkräfte sie zu schützen seit Monaten anzweifeln.
Und dann kommt er nur einen Tag, bevor in Brüssel die 11. internationale Geberkonferenz für Afghanistan beginnt. Auch für diese ist es ein Desaster.

In den vergangenen Tagen hat die afghanische Regierung, haben viele internationale Diplomaten versucht, eine Nachricht des Fortschritts zu verbreiten. Stabilität für Afghanistan, eine bessere Zukunft – das waren die Schlagworte. Das wichtigste: Selbstbestimmtheit. Afghanistan als Meister seines eigenen Schicksals – angesichts der Ohnmacht vieler Afghanen gegenüber Gewalt und Armut eine verlockende Botschaft. Aber am Tag vor Brüssel sind es die Taliban, die die Nachrichten dominieren. Und nicht nur mit ihrem Angriff auf Kundus.

Vordringen auch ins Herz der Opiumindudtrie

In der Nacht sind auch im Süden Kämpfer aufgebrochen. Gegen Morgen, als der Kampf um Kundus noch tobt, erobern sie Polizeiwache, Markt und das Gebäude der Bezirksregierung von Nawa in Helmand. Diese strategisch wichtige Provinz ist das Herz der milliardenschweren illegalen Opiumindustrie.

Experten glauben, dass die Taliban dort einen Staat im Staate für sich erkämpfen wollen – Nawa bringt sie möglicherweise einen Schritt näher. Und wie um noch eines oben draufzusetzen, geht wenig später in der Nordprovinz Dschausdschan auf einem belebten Marktplatz eine Bombe hoch, die sechs Menschen tötet und Dutzende verwundet. Die Polizei glaubt, dass Taliban dahinterstecken.

Nachricht der Islamisten könnte nicht klarer sein

Die Nachricht der Islamisten könnte an diesem Tag vor Brüssel nicht klarer sein: Von Selbstbestimmtheit ist Afghanistan weit entfernt. In Kundus hat Gouverneur Assadullah Omarchel dem Rechercheinstitut Afghanistan Analysts Network vor kurzem gesagt, er solle zwar eine ganze Provinz regieren, sei aber meistens in der Stadt gestrandet.

Aber auch in anderen Landesteilen breiten die Taliban sich aus und legen Ortsregierungen, Kliniken, Schulen lahm. In einem US-Bericht hieß es jüngst, dass die Regierung nur noch rund 65 Prozent des Landes kontrolliere – runter von 70 Prozent zu Anfang des Jahres.

Vorsichtiger Optimismus

Dass Kundus noch einmal vollständig in die Hände der Taliban falle, sei nicht wahrscheinlich, sagt ein Provinzratsmitglied, Sargul Alimi, am Montag – oder zumindest nicht dieses Mal. Anders als im vergangenen Herbst sei diesmal die Provinzregierung in der Stadt. Die Streitkräfte seien da. Ein Jahr lang sind sie aufgerüstet worden, um eine weitere Eroberung zu vermeiden. Die USA fliegen seit Monaten Luftangriffe auf Taliban. Es ist anzunehmen, dass einige der Jets am Himmel über Kundus an diesem Tag ihre sind.

Aber mit seiner symbolischen Macht bereitet der Taliban-Angriff den Boden für eine weitere Botschaft der Islamisten. Als die Nachrichten zu ihren «Erfolgen» in Kundus und Nawa und Dschausdschan in der Welt sind, verschicken sie eine weitere E-Mail. Nun gehen sie die Brüsselkonferenz direkt an. Keine der vielen bisherigen Konferenzen habe den Afghanen auch nur im Mindesten etwas gebracht, heißt es darin. Sie hätten bloß die Lücke zwischen Arm und Reich vergrößert. Das Geld sei in die Taschen internationaler Vertragspartner oder korrupter Beamter der Regierung geflossen.

Angesichts der Krisen im Land, angesichts des zweiten Sturms auf Kundus wird das in den Ohren vieler Afghanen wahr klingen.