Bei der vorgezogenen Parlamentswahl im Kosovo müssen am Sonntag 1,8 Millionen Bürger ein Jahr vor dem regulären Termin ihre Stimme abgeben. Der Grund: Beide Partner der bisherigen Regierung haben sich heillos zerstritten. Es wird mit Gewinnen von Extremisten und Nationalisten gerechnet. Im Tageblatt-Interview kommt mit dem früheren UCK-Kommandanteneiner Ramush Haradinaj einer von ihnen zu Wort.
Zur Person
Ramush Haradinaj, Jahrgang 1968, war während des Kosovokriegs einer der Kommandanten der UCK. Von 2004 bis 2005 war er kurzzeitig Regierungschef des Kosovos. Zwei Mal wurde er nach einer merkwürdigen Todesserie von Belastungszeugen vor dem UN-Kriegsverbrecher-Tribunal freigesprochen. Nun könnte dem früheren UCK-Kommandanten bei den Parlamentswahlen am Sonntag die Rückkehr auf die politische Bühne gelingen.
Tageblatt: In der Opposition waren Sie zehn Jahre lang ein harter Kritiker der regierenden PDK. Warum zieht Ihre AAK nun ausgerechnet mit der PDK in die Wahlen?
Ramush Haradinaj: Ich entschied mich für diese Koalition, weil ich glaube, dass es für eine Demokratie gut ist, wenn es von Zeit zu Zeit zu einem Wechsel der Macht kommt. Das Bündnis ist eine Option der Rotation, bei der die Regierung von einem bisherigen Oppositionsführer geführt wird – in diesem Fall von mir. Diese Koalition ist eine Option für den Neubeginn in unserem Land.
Ist es ein Zufall oder Absicht, dass alle drei Parteien Ihres Wahlbündnisses ihre Wurzeln in der früheren Untergrundarmee UCK haben?
Frühere UCK-Kollegen finden sich nicht nur bei uns, sondern in allen politischen Parteien in Kosovo. Das ist eigentlich nichts Besonderes, sondern politischer Alltag in unserem Land. Aber natürlich bin ich sehr stolz auf meine Rolle in unserem Befreiungskampf. Und ich empfinde es als große Ehre, meinem Land auch künftig zu dienen.
Ihre Koalition liegt in den Umfragen vorn, könnte aber die Mehrheit verfehlen – und auf die Stimmen der Minderheiten angewiesen sein. Wie ist Ihr Verhältnis zu den Kosovoserben?
Wir sind alle Bürger dieses Staates, auch die Kosovoserben. Ich spreche regelmäßig mit ihnen. Aber ich bin überzeugt, dass wir eine Regierung haben werden, die nicht von Stimmen abhängt, die Kosovo blockieren. Das ist unser Land, wir sind dafür verantwortlich. Wir werden Kosovo in Richtung EU und NATO führen und dabei mit allen Bürgern zusammenarbeiten. Aber die Zeiten der Stagnation und Blockaden Kosovos sind vorbei.
Und wie stellen Sie sich Kosovos Beziehungen zum Ex-Mutterland Serbien vor?
Wir können Nachbarn sein und gute Beziehungen haben, wenn Belgrad das auch wünscht. Aber jemand, der uns blockiert, ist kein Partner, sondern ein Feind. So ein Land ist kein EU-Anwärter, sondern etwas anderes. Die Logik der EU fußt auf Personenfreizügigkeit und dem ungehinderten Warenaustausch. Belgrad kämpft genau für das Gegenteil. Und ich bin überrascht, dass das in Brüssel toleriert wird. Faktisch wird Serbien auch noch belohnt, dass es einen seiner Nachbarn blockiert – Kosovo.
Halten Sie die Fortsetzung des Nachbarschaftsdialogs mit Belgrad überhaupt für sinnvoll?
Wir sind bereit, mit dem Nachbarn zu reden, selbst wenn er ein schlechter Nachbar ist. Aber Belgrad blockiert uns, das ist kein Dialog. Wir glauben, dass die USA auch Teil dieses (von der EU koordinierten) Dialogs sein sollten. Der Krieg endete vor 18 Jahren. Doch der Balkan stagniert – und wir sehen einen Mangel an Kapazität, dessen Entwicklung zu vollenden. Wir glauben darum, dass es nötig ist, dass die USA hier eine größere Rolle spielen.
Aufgrund eines serbischen Haftbefehls wurden Sie zu Jahresbeginn für mehrere Wochen in Frankreich festgehalten. Sind Sie trotzdem bereit, mit Serbiens Präsident Vucic zu sprechen?
Ich habe selbst mit seinen früheren Chefs Vojislav Seselj und Slobodan Milosevic (im Untersuchungsgefängnis des UN-Kriegsverbrechertribunals, Anm. d. Red.) in Den Haag gesprochen. Und ich werde auch künftig mit jedem sprechen, der ein Repräsentant eines souveränen Staates ist. Aber ich bin auch der Repräsentant einer souveränen Nation. Wenn dies nicht anerkannt und verstanden wird, macht es keinen Sinn, miteinander zu sprechen.
Sie standen zwei Mal vor dem UN-Kriegsverbrecher-Tribunal. Haben Sie keine Angst, dass Ihre Koalition der früheren UCK-Kämpfer zum Hauptziel der Arbeit des neuen UN-Sondergerichts für Kosovo werden könnte?
Uns machte im Kosovokrieg nicht einmal Milosevic Angst, obwohl er über eine große Armee verfügte, die viele Menschen in Bosnien und Kroatien getötet hatte. Wir kämpften für die Freiheit und das Recht auf eine souveräne Nation. Wir fürchten darum überhaupt nichts. Sorgen machen uns die Korruption, der fehlende Rechtsstaat, die Arbeitslosigkeit und die Emigration der Jungen. Das sind die Dinge, die uns beunruhigen. Nicht dieses Gericht.
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