Rund 1.000 Spezialisten aus zwölf Ländern werden erwartet. Das Tageblatt unterhielt sich im Vorfeld mit der Nuklearmedizinerin und Kongresspräsidentin Dr. Claudine Als über die Tagung, aber auch und vor
allem über die medizinische Unentbehrlichkeit sowie über die Zukunft ihres Fachgebiets.
Tageblatt: Frau Dr. Als, was ist Nuklearmedizin eigentlich?
Dr. Claudine Als: «Nuklearmedizin kann man als Diagnose und Therapie mit radioaktiven Substanzen definieren. Hat eine Person irgendwelche körperliche Beschwerden, wird sie in vielen Fällen zu Diagnosezwecken einer ganzen Reihe von Untersuchungen und Analysen unterzogen: Blut- und Urinanalysen, Röntgenaufnahmen werden gemacht, gegebenenfalls ein Ultraschall durchgeführt. Die Nuklearmedizin mit ihren bildgebenden Verfahren Szintigrafie, Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und Spect (‹Single Photon Emission Computed Tomography›) ist ein Teil hiervon. Die Nuklearmedizin trägt zu dem Endziel bei, das da heißt Diagnose. Sie ist komplementär zu den anderen Diagnosemethoden, ein Teil des Puzzles, wenn Sie so wollen. Oft ist es die Szintigrafie, die den entscheidenden Hinweis zur genauen, definitiven Diagnose liefert. Zur Anwendung kommt die Nuklearmedizin in nahezu allen medizinischen Bereichen: Allgemeinmedizin, Kardiologie, Angiologie, Pneumologie, Nephrologie, Chirurgie, Onkologie … quer durch den Garten.»
Sie gelten als eine der wenigen Nuklearmedizinerinnen in Luxemburg. Wie viele Ärzte gibt es hierzulande in diesem Fachbereich?
«Nicht sonderlich viele, genau weiß ich es nicht. Aber wenn wir uns allesamt treffen, haben wir um einen Tisch Platz.»
Eines der Ziele des von Ihnen organisierten dreitägigen Kongresses ist der Aufbau eines franko-belgo-luxemburgischen Netzwerkes. Wie wichtig ist die grenzübergreifende Zusammenarbeit?
«Wir leben in einer globalen Welt. Zwar lassen sich einige Probleme sicherlich an einem Tisch lösen, die Lösung ganz vieler Probleme aber setzt die Kooperation von Kompetenzen einerseits und von internationalen Netzwerken andererseits voraus. Ein typisches Beispiel dafür, wie wichtig internationale Zusammenarbeit ist, ist die Problematik des Technetiums.
Die radioaktiven Technetium-Isotope, die zu nuklearmedizinischen Untersuchungen gebraucht werden, kommen aus nur vier altersschwachen Reaktoren in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Südafrika. Wenn nichts in diesem Bereich passiert, riskieren wir Versorgungsengpässe. Dieses Problem kann nur global gelöst werden. Auch weil die ganze Welt betroffen ist.»
Aber wie ist dieses Problem zu erklären? Wurde hier eine Entwicklung – vielleicht auch auf politischer Ebene – unterschätzt bzw. verschlafen?
«In Kanada ist 2008 ein Projekt zur Herstellung von Technetium aufgrund einer technologisch falschen Konzeption gestoppt worden. Das damit verbundene finanzielle Fiasko war nicht so schlimm. Schlimmer war der zeitliche Verlust – zehn Jahre waren verloren. Europa – genau wie der Rest der Welt – hatte auf dieses eine Projekt gesetzt. Als das Projekt dann auf Eis gelegt wurde, standen wir plötzlich wir mit dem Rücken zur Wand.»
Das heißt, dass es in absehbarer Zeit zu den von Ihnen bereits angesprochenen Versorgungsengpässen kommen und dann Patienten nicht mehr behandelt werden könnten?
«Nach dem Scheitern des kanadischen Projekts hat Brasilien mit dem Bau eines medizinischen Reaktors begonnen. Dieser soll ganz Südamerika mit den benötigten Isotopen versorgen. In Europa helfen wir uns derzeit mit den existierenden Reaktoren, unterstützt von zwei weiteren in Polen und Tschechien. Im südfranzösischen Cadarache ist ein Reaktor im Entstehen. Dieser wird 2015 in Betrieb gehen, er reicht aber nicht aus, um die altersschwachen Reaktoren zu ersetzen, die bis 2016 abgeschaltet werden sollen. Zumal Einrichtungen dieser Art auch für längere Zeit gewartet werden müssen. Ideal wäre, wenn ein weiterer Reaktor, am besten in den Niederlanden (die Niederländer haben das entsprechende Know-how), entstehen würde.
Die politischen Verantwortlichen der EU scheinen sich der Wichtigkeit mittlerweile bewusst zu sein. Nichtsdestotrotz wollen wir den Kongress in Luxemburg dazu nutzen, unserer Forderung nach dem Bau eines neuen europäischen Reaktors Nachdruck zu verleihen.
Die diesbezüglichen Kosten würden sich auf 600 bis 700 Millionen Euro belaufen. Kein enormer Preis, wenn man zum Beispiel bedenkt was heute der Bau von zehn Kilometern Autobahn kostet. Die Patienten indes sind derzeit nicht von der Problematik betroffen, weil die einzelnen Reaktoren sich europaweit hinsichtlich Produktion und Wartung abstimmen, so dass aufgrund genauer Planung Engpässe vermieden werden können.»
Wie sieht es mit der Forschung bzw. dem wissenschaftlichen Fortschritt im Bereich der Nuklearmedizin aus?
«Wir sind ein Fachgebiet, das vom technologischen Fortschritt abhängig ist. Im Bereich der Apparate, der Kameras, aber auch im Bereich der eingesetzten radioaktiven Moleküle wurden in den vergangenen Jahren bereits große Fortschritte gemacht. Allerdings bleibt noch extrem viel zu tun. Etliche Substanzen vor allem im Bereich der Krebstherapie befinden sich noch im Stadium der klinischen Erforschung. Sozusagen in der ‹Pipeline›. Hier schlummert im Bereich der Krebsbekämpfung ein außergewöhnliches Potenzial. Optimal beherrschen wir derzeit lediglich die Therapie von Schilddrüsenkrebs. Es hapert allerdings bei den Geldquellen.
Das Problem ist, dass die Pharmaindustrie an dieser sehr aufwendigen Forschung nicht interessiert ist. Es fehlen derzeit zwischen 100 und 200 Millionen Euro.
Dieses Geld muss bzw. wird von privaten Geldgebern aufgebracht werden, Geldgeber, die keinen ‹Return-on-invest› erwarten.»
Aktuell ist das Thema Radioaktivität sehr in den Medien präsent. Gibt es Patienten, Menschen, die hierdurch der Nuklearmedizin mit einer gewissen Skepsis begegnen?
«Die Nuklearmedizin hat nichts mit der von ihnen angesprochenen Nutzung der Atomkraft zu tun. Die Nuklearmedizin wird streng kontrolliert und reglementiert. Zudem ist die Radioaktivität eine sehr schwache. Hinzu kommt, dass die Halbwertzeit eine ganz geringe ist. Will heißen, innerhalb weniger Stunden baut sich die Radioaktivität ab. Auch gehen wir genauestens auf die Fragen der Patienten ein und nehmen sie ernst. Wir legen großen Wert auf mündliche wie schriftliche, einfach verständliche Information. Insofern ist Skepsis gegenüber unseren Methoden quasi inexistent.»
In Luxemburg gibt es derzeit vier Zentren für Nuklearmedizin. Im Rahmen der Gesundheitsreform wurde viel über die Schaffung von Kompetenzzentren geredet. Was halten Sie davon?
«Man kann alles übertreiben und Kompetenzzentren für alles, zum Beispiel das Messen des Blutdrucks, schaffen. Das ist aber völlig unvernünftig und völlig unrealistisch. Entweder wollen wir eine moderne Medizin anbieten, für jeden zugänglich, oder aber wir schaffen eine Zwei-Klassen-Medizin. Wenn wir diese Zwei-Klassen-Medizin aber verhindern wollen, dann müssen wir die existierenden Zentren mit dem nötigen Material ausstatten. Aufgrund der wissenschaftlichenFortschritte, aber auch aufgrund der zunehmenden Krebsfälle, ist die regelmäßige technische Erneuerung unumgänglich.»
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