Mit massiven Einsätzen der Luftwaffe und von Marschflugkörpern hat eine internationale Streitmacht am Wochenende damit begonnen, den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi zu entwaffnen. Libyen reagierte zunächst mit heftigen Drohungen, verkündete dann aber eine einseitige Waffenruhe.
Gaddafi ruft zum Marsch auf Bengasi auf
Nachdem seine Panzer auf dem Weg nach Bengasi von der französischen Luftwaffe zerstört wurden, will der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi nun Tausende seiner Anhänger dort hinmarschieren lassen. Die staatliche Nachrichtenagentur Jana meldete in der Nacht zum Montag, Gaddafi habe sich mit Mitgliedern eines Volkskomitees getroffen, um diesen «grünen Marsch» nach Bengasi zu organisieren.
Die «Demonstranten», zu denen Abgeordnete der verschiedenen Stämme des Landes gehören sollten, würden sich «mit Olivenzweigen in der Hand» in friedlicher Absicht auf dem Weg in die Stadt im Osten machen, hieß es. Sie würden jedoch von bewaffneten Bürgern begleitet, da die andere Seite ebenfalls bewaffnet sei. Ziel dieser Demonstration sei es, die Pläne der Ausländer zu durchkreuzen, die Libyen zersplittern und ausplündern wollten. Bengasi ist die größte Stadt, die von den Aufständischen kontrolliert wird.
Gadafis Residenz getroffen
Ein Gebäude in der Residenz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi ist bei einem Angriff schwer beschädigt worden. Nach einem Bericht des US-Fernsehsenders CNN aus der Nacht handelte es sich möglicherweise um Einschläge von Marschflugkörpern auf dem Stützpunkt Bab al-Asisija in Tripolis. Wo sich Gaddafi zu dem Zeitpunkt aufgehalten habe, sei unbekannt. Unklar war, wer die Marschflugkörper abgeschossen hätte. Nach US-Angaben sei der Angriff nicht von den amerikanischen Streitkräften ausgeführt worden, berichtete der US-Fernsehsender ABC. Das britische Verteidigungsministerium hatte am späten Sonntagabend mitgeteilt, dass ein britisches U-Boot Marschflugkörper auf Stellungen der libyschen Flugabwehr abgefeuert habe.
Mehr als 100 Libyer auf Sizilien gelandet
Mehr als 100 Libyer sind vor den Kämpfen in ihrem Land geflohen und in der Nacht zum Montag in zwei Booten an Siziliens Ostküste angekommen. Die insgesamt 117 Flüchtlinge erreichten italienischen Boden in der Region von Catania. Sie werden von den Behörden kontrolliert und medizinisch betreut, wie italienische Medien berichteten. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Tatsache, dass eine Gruppe von etwa 50 Flüchtlingen mit einem italienischen Fischerboot anlandete. Untersucht werden jetzt die Herkunft des Bootes und der Hergang der Überfahrt von Nordafrika.
An dem Militärschlag beteiligten sich unter anderem die USA, Frankreich, Großbritannien, Italien und Dänemark. Die Nato konnte sich dagegen auch in stundenlangen Verhandlungen zunächst nicht auf eine Beteiligung einigen. Arabische TV-Sender meldeten, über dem Stützpunkt Bab al-Asisija in Tripolis sei am Abend Rauch aufgestiegen. Dort lebt Gaddafi mit seiner Familie.
Flugverbotszone
Grundlage des Einsatzes ist eine Resolution des UN-Sicherheitsrates. Sie erlaubt die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen und den Einsatz militärischer Zwangsmittel, um Gaddafi an militärischer Gewalt gegen die protestierende Bevölkerung zu hindern. Nur Besatzungstruppen darf die Zweckallianz nicht entsenden. Deutschland hatte sich bei der Abstimmung enthalten.
Französische und britische Kampfflugzeuge hatten die Angriffe begonnen. Am Samstag und Sonntag feuerten Tarnkappenbomber, U-Boote und Kriegsschiffe aus den USA und Großbritannien mindesten 110 Marschflugkörper und Bomben auf mehrere Dutzend Ziele entlang der Mittelmeerküste. Die USA setzten am Sonntag zudem 19 Kampfflugzeuge, darunter Tarnkappenbomber, gegen die libysche Flugabwehr ein. Das bestätigte das US African Command in Stuttgart der dpa. Dazu kamen zahlreiche Kampfflugzeuge der anderen Alliierten.
Kriegsdrohung
Gaddafi hatte dem Angriff militärisch nichts entgegenzusetzen. Er kündigte aber einen «langen, ruhmreichen Krieg» gegen die «Monster» und «Kriminellen» an. Eine Million Libyer würden dafür bewaffnet. Im Krieg gegen die «Kreuzritter» werde «das ganze Mittelmeer zum Schlachtfeld», sagte Gaddafi. «Dies ist nun eine Konfrontation des libyschen Volkes mit Frankreich, Großbritannien und den USA, mit den neuen Nazis», sagte Gaddafi in der ohne Bild vom Fernsehen übertragenen Rede.
Am Sonntagabend verkündeten die libyschen Streitkräfte dann überraschend erneut eine Waffenruhe. Man folge damit einem Aufruf der Arabischen Liga. Allerdings hatte Libyen bereits am Freitag eine Waffenruhe verkündet, dann aber selbst nicht befolgt. Am Sonntag setzten die libyschen Truppen ihre Angriffe auf Regimegegner noch fort. Schwere Kämpfe wurden vor allem aus der rund 200 Kilometer östlich von Tripolis gelegenen Stadt Misurata gemeldet. Der arabische Sender Al-Arabija meldete, die Rebellen hätten wieder die Kontrolle über die Stadt Adschdabija im Osten übernommen.
Nato gespalten
Die Nato blieb das ganze Wochenende bei dem Konflikt außen vor. Bei mehreren Sondersitzungen konnten sich die Nato-Botschafter am Sonntag in Brüssel nicht auf ein Mandat zur Überwachung der Flugverbotszone in Libyen einigen. Diplomaten sprachen von einer tiefen Spaltung der Allianz. Frankreich galt als Kern des Problems, weil Paris nicht die Führung an die Nato abtreten will. Großbritannien fordert dagegen, dass das Kommando über den Militäreinsatz in Libyen möglichst schnell von den USA auf die Nato übergehen soll. Die Allianz hat Awacs-Flugzeuge rund um die Uhr zur Überwachung des Luftraums über Libyen im Einsatz.
In Washington und London wurde die erste Angriffswelle als Erfolg bezeichnet. Die Flugverbotszone sei «wirksam eingerichtet», verkündete US-Generalstabschef Mike Mullen im Fernsehsender CNN. Mehrere Länder, darunter China und Indien, bedauerten dagegen den Einsatz militärischer Gewalt. Aus Russland kam scharfe Kritik. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, kritisierte den Einsatz. Mussa hatte die arabischen Staaten gedrängt, die UN-Resolution zu unterstützen. Jetzt erklärte er in Kairo: «Für den Schutz der Zivilisten braucht man keine Militäroperationen.»
Opferzahlen
Nach Angaben der libyschen Führung wurden bei den Angriffen der westlichen Allianz 64 Menschen getötet und 150 weitere verletzt. Tripolis sprach von zahlreichen getöteten Zivilisten. Der britische Verteidigungsminister Liam Fox erklärte dagegen, die Angriffe würden mit sehr zielgenauen Waffen geführt, so dass Kollateralschäden minimiert würden.
Russland kritisierte den Einsatz scharf. Es seien auch Brücken und andere nicht rein militärische Ziele angegriffen worden; das sei von der UN-Resolution nicht gedeckt.
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