Oft werfen die Ladnwirte das Handtuch und verlassen ganze Plantagen. Aber es gibt auch neue Ideen und Versuche. Seit kurzem sind sie in den deutschen und luxemburgischen Läden und Supermärkten wieder da, die spanischen Orangen. Im Winter feiert der klassische Vitamin-C-Lieferant Hochkonjunktur – zumal ein Kilo mitunter sehr billig zu haben ist. Gonzalo Úrculo würde allerdings niemals (mehr) zugreifen. Der Spanier, der auch in Berlin studiert hat, erinnert sich naserümpfend: «Vor allem die ganz billigen Dinger schmecken überhaupt nicht, sie haben weder Süße noch Saft.»
Der 30-Jährige ist kein gewöhnlicher Orangen-Konsument. Er kennt sich mit der Frucht aus dem immergrünen Baum inzwischen sehr gut aus. Zusammen mit seinem drei Jahre älteren Bruder Gabriel übernahm der gelernte Volkswirt nämlich vor sechs Jahren die seit dem Jahr 2000 stillgelegte Orangen-Finca seines Großvaters.
«Die große Mehrheit der Orangen, die man jetzt in Deutschland bekommt (und vorwiegend aus der Autonomen Gemeinschaft Valencia stammen), wurden mit dem Pflanzenhormon Ethylen entgrünt, was aber den Alterungsprozess beschleunigt», weiß Gonzalo. Dabei werden diese Orangen wegen komplizierter Vertriebsstrukturen lange gelagert und sind erst einen Monat nach der Ernte im Laden.
Wohin man blickt, nur Zitrusfrüchte
Bétera rund 25 Kilometer nordwestlich der Stadt Valencia. Wohin man blickt, nur Zitrusfrüchte. Vorwiegend Orangen, aber auch Clementinen, Zitronen, Pampelmusen. Aber nicht alle Plantagen sehen gleich aus. Während fast überall die Bäume sehr, sehr eng nebeneinander stehen, sind die Rautengewächse auf dem 25 Hektar-Besitz von Gonzalo zum Teil bis zu sechs Meter auseinander. «Nur so bekommen sie genug Sonne», erklärt der junge Landwirt stolz.
Gonzalos deutlich ältere Nachbarn machen unterdessen keinen Hehl daraus, dass sie nicht auf Qualität, sondern auf Quantität schauen. Schauen müssen. «Wir bekommen pro Kilo nur 13 bis 16 Cent, das reicht vorne und hinten nicht», klagt ein Landwirt. Seit Jahren geht es runter mit den Preisen, die vor allem die großen Vertriebsketten durchsetzen. Der Landwirte-Verband in Valencia «Unió de Llauradors» beklagte vor wenigen Tagen, dass die Preise diese Saison erneut um rund 30 Prozent gefallen seien.
Eine lange Dürre, die die Produktionskosten stark erhöht hatte, und das schwerste Unwetter seit 2007 samt Tornado Ende November in Valencia, das Schäden von mindestens 14 Millionen Euro verursachte, treiben den Landwirten derzeit neue Sorgenfalten auf die Stirn. Ihr Verband spricht von einer «katastrophalen Saison».
Sie machen weiter, bis sie nicht mehr können
Um so mehr ärgert man sich, wenn in den Läden der Region – in der Orangen sogar in Valencias City «spontan» auf den Straßen wachsen – etwa Zitrusfrüchte aus Südafrika oder Marokko auftauchen. EU-Freihandelsabkommen machen das möglich. Der «Unió» kündigte jüngst einen Protest gegen die Regierung in Madrid an, da diese sich in Brüssel nicht für die Rechte der spanischen Landwirte einsetze.
Die zumeist in die Jahre gekommenen «Llauradores» machen derweil in Valencia auf ihren höchstens mittelgroßen Familien-Farmen einfach weiter, weil sie keine Alternative haben. Und weil – wie Gonzalo sagt – «sie ihre eigenen Arbeitsstunden nicht anrechnen.» Sie machen weiter, bis sie nicht mehr können. Dann werden die Felder oft verlassen. Nach Angaben der Regionalregierung ging die Anbaufläche 2015 in der Autonomen Gemeinschaft nach Rückgängen um bis zu acht Prozent in den vergangenen Jahren erneut um 1650 Hektar zurück. Das sind mehr als 2300 Fußballplätze.
Zitrusfrüchte, die mit einer Jahresernte von durchschnittlich gut drei Millionen Tonnen knapp die Hälfte der Agrarproduktion der Region ausmachen, werden in Valencia nur noch auf rund 95 000 Hektar angebaut. Immer mehr suchen ihr Heil in der Kaki, die in der Region noch vor 15 Jahren noch keine Rolle spielte. Vor allem im Tal des Jucar-Flusses in der Gemeinde L’Alcudia, wo zuletzt rund 15.000 Hektar bepflanzt wurden. Für die einer Tomate ähnelnden Frucht bekommen die Landwirte bis zu 50 Cent pro Kilo. Die Zeitung El País sprach von einer «Kaki-Revolution» – die aber die Probleme des Zitrus-Sektors noch lange nicht wettmacht.
Der «Unió de Llauradors» warnt seit Jahren vor einem sich immer weiter ausbreitenden «braunen Teppich», der in der Region, die Spaniens größter Landwirtschaftsexporteur sei, nicht nur schlimme wirtschaftliche Folgen mit Arbeitslosigkeit und Landflucht habe. Auch die Umwelt werde in Mitleidenschaft gezogen. Die Plantagen schützten nämlich vor Erosion und Verödung und übten die Funktion einer Feuersperre aus. Es gebe daher immer mehr Waldbrände.
Kinder und Kindeskinder der Landwirte wollen aber einfach nicht weiter gegen Dumpinglöhne in brasilianischen und afrikanischen Großbetrieben ankämpfen und sich für einen Hungerlohn abrackern. Häufig sind sie zudem schon lange Stadtmenschen. Wie eigentlich auch Gonzalo und Gabriel. Sie lebten in Madrid, als die Eltern ihnen 2010 nach dem Tod des Großvaters ein Ultimatum stellten: «Wenn ihr nichts damit macht, verkaufen wir Opas Finca!»
Die Brüder, die zwei weitere Geschwister haben, übernahmen die Finca «aus sentimentalen und idealistischen Gründen», bereuten es aber bald. Auch als Direktvermarkter von unbehandelten Orangen schrieben sie nur rote Zahlen. Bis ihnen Ende 2015 die Idee des «Crowdfarming» kam. Rund 2.000 Kunden aus 15 Ländern Europas haben bereits eine Patenschaft für einen oder mehrere neugepflanzte Bäume übernommen. 80 Euro zahlt man das erste Jahr, ab dem zweiten 60. Dafür hat man die geschätzte Jahresernte von 80 Kilo (auch in den ersten Jahren aus fremden Bäumen) zur Verfügung. Unter anderem kann man auch eine Bienen-Familie «adoptieren».
Orangen, aber auch Clementinen, Honig und Olivenöl kann man abholen oder sich auch schicken lassen. Dann ist das Paket auch in Deutschland innerhalb von zwei Tagen da. Rund 80 Prozent der Baumpaten kommen aus Deutschland. Gonzalo: «Dort gibt es mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeit». Die älteren Kollegen, die ihm bis vor kurzem noch eine schnelle Pleite prophezeit hatten, «werden immer neugieriger», sagt der Neu-Landwirt grinsend. Der 30-Jährige weiß, dass er Geld verdienen muss. Seinem Hauptziel, «das Konsumverhalten und die Vertriebsketten zu verändern», ist er in den letzten Monaten aber schon ein kleines Stückchen näher gekommen. In Valencia setzen auch die Behörden auf ihn.
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