Lothringen ist eine Region, in der trotz des starken Industrie-Anteils eher bürgerlich gewählt wird. Am vergangenen Sonntag aber entzog sich die französische Grenzregion dem Trend in Frankreich nicht. Elf der 21 Wahlkreise gingen an sozialistische Kandidaten. Die Sozialisten eroberten dabei vier Wahlkreise, die zuvor von der bürgerlichen UMP gehalten worden waren.
Lothringen war am Sonntag entscheidend für das politische Schicksal von Politikern, die Frankreich geprägt haben. Jack Lang, 1939 in Mirecourt in den Vogesen geboren, erlitt ausgerechnet in seiner Heimatregion eine Schlappe. Lang war Professor für internationales Recht an der Universität Nancy. Wichtiger aber: Kein französischer Politiker nach André Malraux hat Frankreich durch seine Kultur- und Bildungspolitik so verändert wie Jack Lang. Mit Ausnahme der Jahre 1986 bis 1988 war der Lothringer durchgehend in allen Regierungen unter Staatspräsident Mitterrand vertreten, war zum Teil Staatsminister.
«Fête de la musique» und Kulturhäuser
Lang rief die «Fête de la Musique» ins Leben. Er ließ quer durch Frankreich «Kulturhäuser» (maison de la culture) bauen. Unter seiner Leistung wurde der Louvre in Paris umgebaut und die Glaspyramide entworfen. Auf ihn geht der Triumphbogen an der Grande Arche im Geschäftsviertel Défense zurück. Lang ist Kultur-Protektionist. Er wandte sich gegen die Amerikanisierung von Theater und Fernsehen und setzte sich für Quoten ein, die im Radio für die Musik festgesetzt wurden. Das politische Urgestein hatte davon geträumt, Präsident der Assemblée Nationale zu werden. Am Sonntag verlor er sein Mandat gegen einen Kandidaten von der bürgerlichen UMP.
Ihren Parlamentssitz verlor auch Nadine Morano, unter Präsident Sarkozy Ministerin für die Berufsausbildung. Sie war in den Tagen vor der Wahl einem Satiriker auf den Leim gegangen, der sich in einem Telefongespräch als Vizepräsident des rechtsradikalen Front National ausgegeben hatte. In dem Telefongespräch hatte Morano die Präsidentin des FN als eine intelligente Frau mit Ideen bezeichnet. Das Telephongespräch ging durch alle Rundfunk- und Fernsehsender Frankreichs und bedeutete das Aus für die Politikerin aus Nancy, die aber weiterhin für die UMP Abgeordnete im Regionalrat Lothringens ist.
Lothringens neuer Star
Der neue politische Star Lothringens ist Aurélie Filipetti. Sie war bei der Regierungsbildung zur Kultusministerin ernannt worden. Ihren Wahlkreis im Norden des Mosel-Départements hatte sie bei einer Reform der Wahlkreise verloren. Der Wahlkreis Metz I aber war frei geworden, weil der bisherige Inhaber François Grosdidier, Bürgermeister der Metzer Vorstadt Woippy, in den Senat Frankreichs gewählt worden war. Die Wahl war für Filipetti nicht ohne Risiko. Metz ist eine Stadt, die bürgerlich wählt und auch Grosdidier gehört dem bürgerlichen Lager an. Hätte sie den Wahlkreis verloren, hätte sie den Regeln nach, die Staatspräsident Francois Hollande aufgestellt hatte, die Regierung verlassen müssen. Aurelie Filipetti gewann ihren Wahlkreis am Sonntag mit 59 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Eine Überraschung gab es in Thionville. Anne Grommerch gewann ihren Wahlkreis klar gegen den sozialistischen Bürgermeister von Thionville. Anne Grommerch hatte ihren Parlamentssitz in der vorherigen Legislaturperiode nur dadurch erhalten, da ihr Vorgänger Selbstmord begangen hatte. Die nun direkt gewählte Abgeordnete gewann das Mandat mit 53 Prozent deutlich vor ihrem Herausforderer. Grommerch, die für ihre politische Karriere ihren Beruf aufgegeben hatte, hatte als Mitstreiter den Präsidenten des Mosel-Départements, Patrick Weiten, an ihrer Seite. Die ehemalige Grenzgängerin und Direktorin von Coca Cola in Luxemburg gehört der bürgerlichen UMP an.
Bürgerliches Mosel-Département
Im Gegensatz zur Tendenz in Lothringen bleibt das Mosel-Département, aus dem fast 70.000 Grenzgänger nach Luxemburg strömen und 19.000 in das Saarland, bürgerlich. Hier gingen fünf Sitze an die UMP und vier Sitze an die Sozialisten. Herausragend der Sieg des Bürgermeisters von Saargemünd, Céleste Lett, der als Bürgermeister und Lokalmatador ungefährdet war. Der Bürgermeisder von St. Avold, André Woijciechowski, verlor sein Mandat an seinen sozialistischen Gegenkandidaten.
In Forbach gewann Bürgermeister Kalinowski die Wahl. Kalinowski trat in einer der seltenen Dreierkombinationen an, in den der Front National in den zweiten Wahlgang gekommen war. Das ehemalige Kohlebecken Lothringens hatte sich seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach und nach als Hochburg der Rechtsradikalen herauskristallisiert. Bei den Wahlen zur Assemblée Nationale verhinderten Sozialisten und UMP allerdings den rechtsradikalen Wahlerfolg.
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