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Die «große Bescheyßerei zu Trier»

Die «große Bescheyßerei zu Trier»
(dpa)

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Martin Luther hatte für die Wallfahrt zum Heiligen Rock in Trier nur verächtliche Worte übrig. Er geißelte sie als "große Bescheyßerei, als Teufelsmarkt zu Trier".

Wallfahrten und Reliquien wie der Heilige Rock, der angeblich Fragmente der Tunika Jesu Christi enthält, sind der evangelischen Kirche fremd – sie steht ihnen eher ablehnend gegenüber. Martin Luther sah in ihr «ein verführlich, lügenhaft und schändlich Narrenspiel», mit dem das arme Volk an der Nase herumgeführt werde. Verurteilt wird insbesondere der häufig dahinter stehende Glaube an Magie, das aus Sicht der Protestanten von Gott weg führt.

Als problematisch gilt auch, dass Wallfahrern oft ein Sündenerlass versprochen wird. Protestanten lehnen Ablasshandel in jeder Form ab; die Buße für Sünden wird als Sache zwischen dem Individuum und Gott gesehen, bei der die Kirche als Institution außen vor bleibt. Und schließlich geht es um Werkgerechtigkeit: Der Glaube, mit guten Taten Gottes Gunst zu erlangen, widerspricht der lutherischen Rechtfertigungslehre, wonach der Mensch nur durch Gottes Gnade gerechtfertigt wird.

Präses ruft zur Teilnahme auf

Dennoch hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, die Protestanten dazu ermutigt, an der diesjährigen Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier teilzunehmen. Damit werde nicht gegen die Schrift verstoßen, meint er. Es gebe sogar «eine regelrechte Uminterpretation einer Tradition: War der Heilige Rock in der Reformationszeit ein Heilsmittel zum ewigen Leben, in den Jahrhunderten darauf eine katholische anti-protestantische Demonstration, so bietet er heute eine Chance, den einen Herrn der Kirche, Jesus Christus, als die gemeinsame Mitte neu zu feiern».

In der evangelischen Kirche wird derzeit heftig darüber diskutiert, ob eine Teilnahme an der diesjährigen Wallfahrt wirklich der richtige Weg ist. Befürworter sehen darin vor allem ein Bekenntnis zur Ökumene, die Gegner warnen vor Gleichmacherei und der Verschleierung der Trennung von katholischer und evangelischer Kirche.

Manche sehen das Ganze aber auch pragmatischer: Pilgern ist spätestens seit dem Bestseller «Ich bin dann mal weg – Meine Reise auf dem Jakobsweg» von Hape Kerkeling zum Freizeitsport vieler Menschen geworden; die Religion oder gar Reliquien spielen dabei nur noch eine sehr untergeordnete Rolle. Und auch Protestanten besuchen seit Jahrhunderten die ihnen wichtigen Stätten. Sie sehen sich nur eher als Touristen denn als Pilger.

(Sandra Schipp/dapd/Tageblatt.lu)