In seinen 13 Jahren im Zentrum der Macht hat Wladimir Putin die einstige Sowjetrepublik nach seinen paternalistisch-patriotischen Vorstellungen geformt und eine «gelenkte Demokratie» in der Grauzone zwischen Volksherrschaft und Autoritarismus durchgesetzt.
Nach seinem Einsatz beim sowjetischen Geheimdienst KGB ergriff Putin entschlossen seine Chance. Der damals bereits angeschlagene Boris Jelzin, der erste russische Präsident nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, machte ihn im Oktober 1999 zum Ministerpräsidenten. Nur wenige Monate später, zum Neujahrsfest 2000, dankte Jelzin überraschend ab und die Ära Putin begann: Acht Jahre Präsident, von 2008 bis 2012 Ministerpräsident, im März dieses Jahres Rückkehr ins höchste Staatsamt zu einer dritten Amtszeit. Der war eine denkwürdige Ämterrochade mit seinem Statthalter und engen Vertrauten Dmitri Medwedew vorausgegangen.
Tränen nach dem dritten Wahlsieg
Bei der Feier seines Wahlsiegs am 4. März dieses Jahres auf dem Roten Platz in Moskau traten Putin die Tränen in die Augen – eine ungewohnte Gefühlsregung bei dem Mann, der sich seinem Volk immer wieder als muskelbepackter Macho in freier Wildbahn präsentiert. Putin wischte den Eindruck, er sei möglicherweise gerührt gewesen, schnell beiseite: Der eisig kalte Wind habe ihm die Tränen in die Augen getrieben, sagte er.
In der Tat hat Putin bei jeder Gelegenheit den starken Mann gegeben, um die russische Öffentlichkeit zu beeindrucken. Er ließ nach Bombenanschlägen in Moskau am 1. Oktober 1999 erneut in Tschetschenien einmarschieren. Der unter Jelzin 1994 begonnene erste Tschetschenienkrieg endete zwei Jahre später mit dem von vielen Russen als schmachvoll angesehenen Rückzug der russischen Truppen. Für Putin wurden mit äußerster Härte errungene militärische Erfolge zu Garanten für seine erste Wahl zum russischen Präsidenten.
«Paternalistische Stimmungen» genutzt
In einer Denkschrift legte Putin Ende 1999 seine staatsphilosophischen Vorstellungen dar. Patriotismus und Paternalismus sind darin die Schlüsselwörter, die Putins Handeln bis heute zu bestimmen scheinen: «Wenn wir den Patriotismus und den mit ihm verbundenen nationalen Stolz und Würde einbüßen, verlieren wir uns selbst als ein Volk, das zu großen Taten fähig ist», schrieb er unmittelbar vor seinen Gedanken über «Russland als Großmacht». Und: «Es ist auch Tatsache, dass paternalistische Stimmungen in Russland tief verwurzelt sind. Die Mehrheit der Bevölkerung verbindet die Verbesserung seiner Lage nicht mit eigenen Anstrengungen, Initiative, Unternehmungslust, sondern viel mehr mit der Hilfe und Unterstützung des Staates und der Gesellschaft.»
Zwölf Jahre später ist das Ergebnis seiner Politik: Putin hat als erster russischer Präsident nach dem Ende der Sowjetunion eine sechsjährige Amtszeit angetreten. Seine Partei Einiges Russland hat ihre Zweidrittelmehrheit bis zum vergangenen Dezember dazu genutzt, ihrem Chef eine längere Verweildauer im Kreml zu ermöglichen.
Protestbewegung derzeit keine Alternative
Sollte der frühere Geheimdienstler aus St. Petersburg in sechs Jahren noch einmal für das höchste Staatsamt antreten wollen, würde Russland das erste Vierteljahrhundert des neuen Millenniums von einem einzigen Mann regiert werden. Keiner außer dem sowjetischen Diktator Josef Stalin kam seit dem Zarenreich auf eine längere Regierungszeit, denn das Intermezzo mit seinem zwischenzeitlichen Statthalter Medwedew war keine Unterbrechung seines Einflusses. Putin wusste in den vergangenen vier Jahren als Ministerpräsident immer wieder klarzustellen, wer im Fall des Falles die Zügel in der Hand hielt.
Inwieweit die russische Bevölkerung noch bereit ist, sich wie von einem strengen Vater regieren zu lassen, ist nicht abzusehen. Zwar gibt es eine große Protestbewegung gegen Putin und seine Version eines russischen Staats. Doch die darin aktiven politischen Gruppen haben einzig die Opposition gegen Putin als gemeinsamen Nenner und sind noch keine politische Alternative. Solange das so bleibt, kann Putin vom Kreml aus die Geschicke Russlands lenken.
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