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Erdogan will «frisches Blut» in Armee bringen

Erdogan will «frisches Blut» in Armee bringen
(Petros Karadjias)

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will die Gefahr künftiger Putschversuche durch den Umbau der Armee beseitigen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will die Gefahr künftiger Putschversuche durch den Umbau der Armee beseitigen. «In einer sehr kurzen Zeit wird eine neue Struktur entstehen», sagte das Staatsoberhaupt der Nachrichtenagentur Reuters und warnte vor weiteren Umsturzversuchen. In seinem ersten Interview nach Verhängung des Ausnahmezustandes setzte er zudem die Anhänger des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen mit einer terroristischen Organisation gleich. Zugleich nahmen die Spannungen zwischen der Regierung und der EU zu. Während in Ankara eine Wiedereinführung der Todesstrafe erwogen wird, sprachen sich führende europäische Politiker am Freitag dafür aus, die Verhandlungen über einen EU-Beitritt abzubrechen. An den Finanzmärkten hielt die Verunsicherung an. Der Istanbuler Aktien-Index und die Landeswährung Lira verharrten in ihrem Tief.

Erdogan zeigte sich in dem Interview im Präsidentenpalast ruhig und gefasst. Mit der Reform der Armee werde dieser auch «frisches Blut» zugeführt. «Wir werden sehr aktiv weitermachen, wir haben Pläne.» Die Armeereform liegt nach seinen Worten in den Händen des Höchsten Militärrats, dem der Ministerpräsident vorsitzt. «Ich denke, sie haben sehr wichtige Schlüsse gezogen.»

Streitkräfte sollen rasch umgebaut werden

Die türkische Armee hat seit den Zeiten von Staatsgründer Atatürk eine herausragende Rolle, gegen deren Willen sich kaum eine Zivilregierung längerfristig halten konnte. Zudem verstand sie sich als Garant für die Trennung von Staat und Religion und geriet damit bereits früher in Konflikt mit dem konservativ-islamisch geprägten Erdogan. Dem Prediger Gülen, mit dem Erdogan bis 2013 freundschaftlich verbunden war, warf er erneut vor, hinter dem Putsch zu stehen. Das Netz seiner Anhänger werde wie andere terroristische Organisationen behandelt. «Sie sind Verräter, das ist es, was sie getan haben.» Außenminister Mevlüt Cavusoglu forderte die USA erneut auf, Gülen umgehend auszuliefern. Die Regierung in Washington fordert aber vor einem solchen Schritt Beweise, dass Gülen in den Putsch verwickelt ist.

«Wir werden unseren Kampf fortsetzen, wo immer sie sein mögen», kündigte Erdogan an, der seine Anhänger zum Kampf gegen die «Gülenisten» aufgerufen hat. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere verwahrte sich dagegen, die Auseinandersetzung nach Deutschland zu bringen: «Wir wollen nicht, dass diese Konflikte in Deutschland ausgetragen werden – mit Gewalt, mit Drohungen, mit Einschüchterungen – von wem auch immer.» Die Bundesregierung hat jedoch nach eigenen Angaben keine Hinweise darauf, dass die teils tumultartigen Demonstrationen von Ankara aus gesteuert wurden.

Überlegungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe

In der türkischen Regierung gibt es unterdessen weiter Überlegungen, die 2004 abgeschaffte Todesstrafe wiedereinzuführen. «Die Leute wollen die Todesstrafe, und dieser Wunsch wird sicher abgewogen werden», kündigte Justizminister Bekir Bozdag im Sender CNN Türk an. Dabei werde nicht ausschlaggebend sein, was die EU sage. Mehrere europäische Politiker wie etwa der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn haben erklärt, die Todesstrafe werde die EU-Türkei-Beitrittsverhandlungen abwürgen. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer plädierte angesichts von 60.000 Staatsbediensteten, Dozenten oder Militärs, die suspendiert, verhaftet oder versetzt wurden, bereits jetzt für einen Stopp.

Auch in den USA wachsen die Sorgen über den Kurs der Türkei. Ein Sprecher der Regierung in Washington rief zur Wahrung demokratischer Einrichtungen auf und erklärte, die internationale Gemeinschaft werde beobachten, was in dem NATO-Mitgliedstaat passiere. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte während einer USA-Reise, die Europäische Union stehe klar hinter den demokratischen Institutionen des Landes. Die Entwicklung in den Medien, Universitäten und der Justiz sei nicht akzeptabel.

Verunsicherung der Wirtschaft hält an

Erdogan hat bereits früher Kritik aus dem Ausland zurückgewiesen, allerdings deutete er im Reuters-Gespräch auch ein Einlenken an. Bereits vor dem Putschversuch war er für Pläne kritisiert worden, über eine Verfassungsänderung seine präsidialen Kompetenzen auszuweiten. Nun sagte Erdogan, mit der Opposition könnte eine abgespeckte Verfassungsänderung vereinbart werden. Mit Blick auf die Nein-Stimmen im Parlament zur Verhängung des Ausnahmezustands erklärte er, dies gebe zu bedenken und zeige die Notwendigkeit, den Konsens mit Oppositionsparteien zu suchen.

Verärgert reagierte Erdogan auf die Herabstufung der Bonitätsnote durch die US-Agentur Standard & Poor’s. Die türkischen Finanzmärkte hätten keine Liquiditätsprobleme. Der Finanzsektor sei sehr stark. Er warf S&P vor, sich auf die Seite der Putschisten geschlagen zu haben und nicht auf die der Demokratie. S&P hatte am Mittwoch angesichts der politischen Turbulenzen in der Türkei die Note für das Land um eine Stufe gesenkt. Zugleich stufte die Ratingagentur den Ausblick auf «negativ» herab. Experten warnen, der Putschversuch und die Maßnahmen der türkischen Regierung könnten ein Rückschlag für die Konjunktur sein. «Das Risiko der Kapitalflucht besteht weiterhin», warnte etwa die Chefvolkswirtin von Deniz Invest, Özlem Derici.