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Erdogan will Armee direkt kontrollieren

Erdogan will Armee direkt kontrollieren
(Reuters/baz Ratner)

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Bürgermeister von Ankara fordert erneut Auslieferung Gülens und warnt vor Mordanschlägen auf Politiker.

Zwei Wochen nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei baut Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Macht weiter aus. In einem Fernsehinterview sagte der Staatschef am Samstagabend, er wolle den Geheimdienst MIT sowie alle militärischen Stabschefs direkt unter seine Kontrolle stellen. Zugleich ordnete er die Schließung sämtlicher Militärschulen an und entließ weitere 1400 Soldaten aus den Streitkräften. Er werde ein «kleines Paket» mit Verfassungsänderungen ins Parlament einbringen, sagte Erdogan dem Fernsehsender A-Haber.

Da dafür eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, ist die Regierung auf die Unterstützung der Opposition angewiesen. Sollten die Maßnahmen verabschiedet werden, würden die militärischen Stabschefs und der MIT der Präsidentschaft unterstellt. Erdogan sprach von «ernsthaften Fehler» in der Putschnacht beim Geheimdienst. Erdogan kündigte zudem an, dass die Chefs der Luftwaffe, der Marine und der Bodentruppen künftig direkt Verteidigungsminister Fikri Isik Bericht erstatten sollen.

Festnahme tausender angeblicher Regierungsgegner

Die Maßnahmen sind nach der Festnahme tausender angeblicher Regierungsgegner sowie dem radikalen Umbau der Armee nach dem vereitelten Putsch ein weiterer Schritt Erdogans, seine Kontrolle über Streitkräfte und Geheimdienste zu festigen. Nach dem gescheiterten Militärputsch vor zwei Wochen war ein dreimonatiger Ausnahmezustand verhängt worden. Wenn sich die Lage nicht bald wieder normalisiere, könne der Ausnahmezustand «wie in Frankreich verlängert werden», sagte Erdogan. Dort war die Maßnahme nach den Attentaten vom November in Paris ergriffen und seither mehrfach verlängert worden.

Am Sonntag ordnete Erdogan per Dekret an, fast 1400 Soldaten aus den Streitkräften zu entlassen, wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Unter den 1389 Entlassenen, die dem islamischen Prediger Fethullah Gülen nahestehen sollen, sind demnach auch Erdogans engster Militärberater Ali Yazici sowie Levent Türkkan, der Adjutant von Generalstabschef Hulusi Akar. Bereits vergangene Woche waren per Dekret knapp 1.700 Militärangehörige entlassen worden. Unter ihnen waren 149 Generäle, 1099 Offiziere und 436 Unteroffiziere. Nach Angaben Erdogans wurden seit dem Putschversuch insgesamt knapp 18.700 Menschen festgenommen. Neben Militärangehörigen sind unter ihnen auch Richter, Staatsanwälte, Regierungsbeamte, Wissenschaftler und Journalisten.

Verschlüsselte Nachrichten von Gülen-Anhängern

Nach Angaben eines Behördenvertreters fing der Geheimdienst MIT bereits lange vor dem Putschversuch verschlüsselte Nachrichten von Gülen-Anhängern ab. Dadurch habe Ankara die Namen von fast 40.000 Mitgliedern des Gülen-Netzwerks gehabt, darunter 600 Militärangehörige. Demnach begann der MIT bereits im Mai 2015 damit, über die Handy-App ByLock versendete Nachrichten zu entschlüsseln. Ankaras Bürgermeister Melih Gokcek rief die USA erneut auf, Gülen auszuliefern, wenn sie nicht als Drahtzieher des Putschversuchs in Verdacht geraten wollten. «Für Amerika gibt es nur eine Möglichkeit zu beweisen, dass es nicht hinter dem Putsch steht: ihn an die Türkei ausliefern», sagte der führende Politiker der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP der Nachrichtenagentur AFP. Andernfalls bleibe der Verdacht bestehen.

Zugleich warnte er, die Gefahr von «Mordanschlägen» auf Politiker sei gestiegen. Er habe daher seine Sicherheitsvorkehrungen erhöht, sagte Gokcek. Er sprach sich mit Nachdruck für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus. Sollte dies wie angekündigt zum Abbruch der EU-Beitrittsgespräche führen, sei ihm dies «egal». Unter dem Titel «Ja zur Demokratie – Nein zum Staatsstreich» sollte am Sonntag in Köln eine Großkundgebung stattfinden, zu der bis zu 50.000 türkischstämmige Demonstranten erwartet wurden. Das Bundesverfassungsgericht wies am Samstagabend aus formalen Gründen einen Antrag der Veranstalter gegen einen Gerichtsbeschluss ab, der die Übertragung einer Ansprache von Erdogan auf einer Großleinwand verboten hatte.