Die Wirtschaft wächst in Frankreich. Die Zufriedenheit in der französischen Regierung über diese seit langem so stark erwartete Nachricht, war so groß, dass sie im Verdacht steht, ein ungeschriebenes Gesetz gebrochen zu haben. Die positiven Wachstumszahlen wurden 12 Stunden zu früh bekannt. Abonnenten der französischen Wirtschaftszeitung „Les Echos“ erfuhren die Wachstumszahlen mit Grafik bereits am Vorabend in der Ausgabe von 22.30 Uhr. Das zeigt, unter welchem Druck Frankreich steht, positive Zahlen vorlegen zu müssen.
Die frühe Bekanntgabe des überraschend hohen Wachstums hatte aber auch noch einen anderen Grund. Die französischen Medien stürzten sich darauf und unterließen die sonst übliche Analyse der gesamtwirtschaftlichen Situation. Die aber lässt ein ganz anderes Bild erkennen. Tatsächlich lässt das Wachstum französische Ökonomen in der Nachbetrachtung ein wenig ratlos, weil alle anderen Zahlen es eigentlich nicht bestätigen. Also wird es auf die niedrigen Energiepreise abgeschoben.
Außenhandel weiterhin defizitär
Das französische Wachstum ist – wie in Frankreich üblich – ein Binnenwachstum. Der französische Außenhandel ist weiter defizitär. Frankreich importierte im ersten Quartal für 12 Milliarden Euro mehr Waren als es exportierte. Die Exporte sanken dabei um 0,1 Prozent, die Importe steigen um 0,1 Prozent. Das ist das Gegenteil von dem, was die französische Finanzpolitik stets behauptete und auch verlangte. Ein schwacher Euro – und damit eine schwache Währung – so die traditionelle französische Philosophie, beflügelt den französischen Export. Die Hoffnung in Paris ist nun, dass bis zum Jahresende das Handelsbilanzdefizit um 15 Prozent unter dem des Jahres 2013 liegen wird. Das Verhältnis zwischen Export und Import soll sich auf 51 Milliarden Exporte zu 60 Milliarden Importe verbessern.
Die Steigerung der französischen Wirtschaftsleistung um 0,6 Prozent schlägt sich nicht in Arbeitsplätzen nieder. Die Arbeitslosigkeit in Frankreich nistet sich dauerhaft über zehn Prozent ein. Frankreich steuert auf ein Wachstum ohne Schaffung von Arbeitsplätzen zu. Im Gegenteil: Im ersten Vierteljahr sind im Gegenteil 13.000 Arbeitsplätze vernichtet worden. Und es geht weiter. Der Atomkonzern Areva wird sich von etwa 4.000 Mitarbeitern trennen. Volvo Trucks hat den Abbau von „nur“ etwa 500 Stellen angekündigt. Auch Vallourec, Spezialist für nahtlose Röhren baut mehrere hundert Stellen ab.
Stellenabbau statt Arbeitsplatzschaffung
Es ist abzusehen, dass die Arbeitsplatzbilanz im zweiten Quartal weiterhin negativ sein wird, auch wenn es wieder eine steigende Wirtschaftsleistung gibt. Das hat mehrere Gründe. Die niedrigen Ölpreise haben auch ihre Kehrseite. Sie stützen zwar die Konjunktur, vernichten andererseits aber Arbeitsplätze. Die Ölindustrie investiert nicht mehr. Die Zulieferer verlieren Aufträge. Vallourec gehört zu den Unternehmen, die darunter leiden.
Die französische Industrie reduziert insgesamt ihre Mitarbeiterzahl, weil sie robotisiert. Insgesamt fallen also Arbeitsplätze nicht nur aus konjunkturellen Gründen aus, sondern auch aus strukturellen Gründen. Das wiegt um so schwerer, als im Herbst mehrere Zehntausend Jugendliche auf den Arbeitsmarkt kommen, die Arbeit suchen.
Jugendarbeitslosigkeit bereitet Sorgen
Frankreichs Regierung gibt hunderte Millionen Euro aus, um Arbeitsplätze für diese Jugendlichen zu subventionieren, die sonst nie eingerichtet würden. Da wirkt sich eine kommende Schulreform in Frankreich doppelt aus: Deutsche Unternehmen in Frankreich klagen darüber, dass sie nicht genügend Jugendliche mit deutschen Sprachkenntnissen finden. Mit einer angekündigten Schulreform aber wird die deutsche Sprache – weil zu „elitär“ – weiter zurückgedrängt. Während Frankreich zu wenig Arbeitsplätze für seine Jugend hat, fehlen sie in Deutschland. Franzosen aber gehen nicht automatisch ins Ausland, wie das derzeit Spanier tun, die ihren Arbeitsplatz in Deutschland suchen.
Der Bausektor springt nicht an. Das billige Baugeld überschwemmt die Banken zwar mit Anfragen von Privatleuten, die sich ihr Haus bauen wollen. Aber das führt nicht zu einer Baukonjunktur. Die großen Bauprojekte fehlen, werden zurückgehalten, weil Gesetze aus den vergangenen zwei Jahren zu hohe Auflagen mache, einen engen Rahmen setzen und die Rentabilität begrenzen.
Wirtschaftswachstum gleich Null
Der Triumph über das Wachstum von 0,6 Prozent überschattet auch andere Daten. So hat das nationale statistische Institut INSEE hat für das Jahr 2014 das Wirtschaftswachstum auf Null Prozent reduziert. Die Verschuldung steigt auf nun 95,2 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Auch hat Frankreich seine Ausgaben nicht reduziert, sondern weiter gesteigert. Das Problem liegt dabei nicht mehr so sehr in der Zentralregierung. Die Ministerien fahren mit Ausnahme der nationalen Erziehung und des Verteidigungsministeriums ihre Ausgaben herunter.
Wobei die Armee wegen ihrer Einsätze in Afrika und im Landesinnern zur Gebäudesicherung eine Sonderstellung genießt. Statt 34.000 Stellen werden „nur“ 17.000 gestrichen. Die wirklichen Probleme liegen in den territorialen und kommunalen Einheiten. Die Schaffung von Gemeindeverbänden führt einerseits zur Übertragung von kommunalen Aufgaben auf die Gemeindeverbände, aber nicht zu Einsparungen. Gemeindeverbände und Kommunen stellen weiter ein. Auch haben die Gemeinden sich in den Verbänden nicht zu Großgemeinden zusammengefunden, sondern bestehen neben den Verbänden weiter. Es ist also eine zusätzliche Verwaltungsebene eingeführt worden, auf die einige Aufgaben der Kommunen übertragen werden. Das bedeutet Steuerverzicht der Gemeinden zur Finanzierung der Verbände und zusätzliche Belastungen für die Bürger.
Neue Verwaltungsebene bremst
Hier seien in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 550.000 neue Arbeitsplätze entstanden, schreibt Agnès Verdier-Molinié in ihrem neuesten Buch „On va dans le mur. . .“. Niemand kennt die öffentliche Verwaltung Frankreichs besser als die die Direktorin des Forschungsinstitutes zur öffentlichen Verwaltung „IFRAP“. Sie hält bei einer ordentlichen Struktur-Reform die Einsparung von 630.000 Mitarbeitern in der öffentlichen Verwaltung des Landes und damit die Einsparung von 15 Milliarden Euro für möglich.
Möglich wäre ein solcher Schritt mit der Zusammenlegung der Regionen, die Ende des Jahres wirksam wird. An der deutschen und luxemburgischen Grenze entsteht so aus den Regionen Champagne-Ardennes, Lothringen und Elsaß eine östliche Großregion, in der alle Verwaltungen dreifach vorhanden sind. Der Traum der IFRAP Direktorin wäre also zumindest teilweise möglich. Sie ist aber realistisch genug, in ihrem Buch auch zuzugeben, dass sich so etwas in Frankreich nicht realisieren wird. Und das bedeutet, dass sich die öffentlichen Ausgaben nicht reduzieren werden und die Regionen, deren Aufgabe es sein soll, die Wirtschaft zu fördern, dafür entweder nicht den nötigen finanziellen Freiraum haben werden oder sich verschulden müssen. Die Chance, so die Schlussfolgerung der Autorin, sich Freiraum für ein noch stärkeres Wirtschaftswachstum zu verschaffen, wird vertan.
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