„Wir schwören, dass wir an den Olympischen Spielen als ehrenwerte Kämpfer teilnehmen, die Regeln der Spiele achten und uns bemühen werden, ritterliche Gesinnung zu zeigen, zur Ehre unseres Vaterlandes und zum Ruhme des Sports“: Heute vor 97 Jahren sprach der Fechter und Wasserballer Victor Boin diese Worte bei der Eröffnung der VII. Olympischen Spiele der Neuzeit 1920 in Antwerpen. Es war die Geburtsstunde des Olympischen Eides, den Pierre de Coubertin, Wiederbeleber der Spiele, selbst geschrieben hatte.
De Coubertin und Boin würden sich im Grabe umdrehen, wüssten sie um die Auswüchse des Spitzensports des 21. Jahrhunderts. Der Sport ist heute mehr denn je Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist Geld verdienen. In diesem Zusammenhang ist auch folgendes Projekt zu sehen: Der Marathon-Weltrekord soll Anfang Mai unter die Schallmauer von zwei Stunden fallen.
Die Faszination der runden Zahlen ist ein Merkmal der olympischen Kernsportart Leichtathletik. Die Zehn-Sekunden-Schallmauer über 100 Meter fiel 1968. Zuvor war es die Traummeile, die die Menschen in ihren Bann zog. 1954 schaffte es Roger Bannister als erster Mensch, die 1.609 Meter unter vier Minuten zu laufen. Für den Briten war das die Rehabilitierung für Olympia 1952, als er als haushoher Favorit an den Start des 1.500-Meter-Laufes gegangen war und sich schließlich als Vierter u.a. dem neuen Olympiasieger Josy Barthel geschlagen geben musste. Bannister brauchte für seinen Weltrekord vor allem vier Voraussetzungen: eine gute Bahn, Windstille, warmes Wetter und ein gleichmäßiges Lauftempo.
63 Jahre später soll nun die vielleicht letzte verbliebene Schallmauer der Leichtathletik fallen, die Zwei-Stunden-Grenze beim Marathon. Nur dass sich die Organisatoren des Projekts „Breaking2“ beim Weltrekordversuch nicht auf eine gute Bahn, aufs Wetter und aufs Tempo beschränken.
Nichts wird dem Zufall überlassen. Die drei Läufer (Olympiasieger Kipchoge, Halbmarathon-Weltrekordler Tadese und der Äthiopier Desisa) wurden mithilfe von physiologischen Tests regelrecht gecastet und als Schauplatz wurde die extrem flache Hochgeschwindigkeits-Rennstrecke von Monza ausgesucht. Mit modernster Technik wird der Rennverlauf aufgezeichnet und analysiert, um noch während des Laufs reagieren zu können. Alle 200 Meter werden die Zwischenzeiten durchgegeben, mehrere Tempomacher sollen zur Verfügung stehen, die sich während der 42 km ablösen sollen. Zuschauer sind übrigens nicht zugelassen, das Rennen wird im Internet übertragen.
Was wie ein Event eines Brauseherstellers daherkommt, ist in Wirklichkeit das Resultat der Marketingstrategen einer großen Sportartikelfirma. Diese hat für die Läufer einen besonders leichten, mit Karbonstreben versehenen Schuh entwickelt. Ab Juni 2017 kommen drei Modelle auf den Markt, in denen ein ähnliches System verwendet wird. Dem ursprünglichen Sinn des Sports als Körper- und Bewegungskultur, in der sich der Mensch ästhetisch entfalten kann, läuft so etwas komplett zuwider, zumal die Rekordhatz die Versuchung verstärken könnte, der Leistung der Sportler illegal nachzuhelfen. „Breaking2“ taugt demnach höchstens zum Ruhme des Geldes, nicht zum Ruhme des Sports, wie im olympischen Eid verankert.
PS: Der Marathonlauf von Antwerpen wurde vom Finnen Hannes Kolehmainen gewonnen, in 2:32:35 Stunden. Übrigens Weltrekord … im Jahr 1920.
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