Irgendwie ist die Brexit-Diskussion skurril. Wenn nicht gerade Europa mit Hitler verglichen oder die nächste x-beliebige Studie zu wirtschaftlichen Konsequenzen publiziert wird, sucht man vergeblich nach stichhaltigen Analysen.
Der mögliche Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union wird eigentlich auf seine wirtschaftliche Dimension reduziert. Die politische Debatte über die „ever closer union“ oder andere Fragen endet meist in populistischem Gerede: Halbwissen prägt die politische Streitkultur. Wobei auch hier der Begriff Streitkultur lediglich darauf beschränkt wird, dass so manche Zeitgenossen ohne jegliche politische Kultur streiten. Die starke Fokussierung der wirtschaftlichen Konsequenzen des Brexit könnte hierfür maßgeblich verantwortlich sein. Wie soll eine ernsthafte politische Debatte auf der Insel geführt werden, wenn Thinktanks und Meinungsinstitute sich lediglich mit allgemeinen Phrasen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen eines Brexit beschäftigen?
Die meinungsbildenden Eliten überlassen Populisten demnach das politisch sensible Terrain. Dabei müsste man sich, ohne die Briten belehren zu wollen, an die europäischen Anfänge Europas zurückerinnern. Dass gerade der Franzose Charles de Gaulle in Sachen Großbritannien einst politischer Türsteher spielte, sollte so manchem auf der Insel zu denken geben. Nur mit großer Mühe und Überzeugungsarbeit konnten die Briten am Ende trotz Widerstand aus Frankreich 1973 der Europäischen Gemeinschaft beitreten. Man sollte dies aus heutiger Perspektive nicht als politische Sehnsucht der Insel fehlinterpretieren. Den Briten ging es mit Blick auf Europa in den folgenden Jahrzehnten nur um pragmatische Wirtschaftsbeziehungen und einen besseren Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Die ewigen „Opt-outs“ sind der beste Beweis dafür und sprechen Bände. Umso mehr wirken so manche politische Sonntagsreden zum Verbleib der Briten in der EU wie vergebliche Liebesmühe. Mal ehrlich: Wie viele würden sich hierzulande freuen, wenn der Finanzplatz Luxemburg oder Frankfurt einen zentralen Konkurrenten namens London weniger hätte?
Allerdings ist eben genau diese durchkommerzialisierte Perspektive und Logik völlig irrational. Ob man es mag oder nicht – die EU braucht Großbritannien aus einem ganz anderen Grund. Sollten wir tatsächlich getrennte Wege gehen, verlieren wir mit den Briten eines der fünf ständigen Mitglieder im mächtigsten Gremium der Welt: dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Frankreich wäre damit der einzige EU-Staat, der Europa im UN-Sicherheitsrat vertreten würde. Nun sind sich Briten und Franzosen bekanntlich in besagtem Gremium nicht immer eins gewesen. Allerdings hatte die EU jedoch im Falle der Einigkeit bislang Gewicht in Sachen Weltpolitik. Ohne die Insel wäre Europas Atom- und Sicherheitspolitik massiv geschwächt. Insofern wäre der Brexit interessant, da er das außenpolitische Gewicht Frankreichs in Europa massiv verändern würde. Man sollte sich, falls es denn zum worst case kommt, auf diese Zäsur vorbereiten.
Den Briten dürften unterdessen derlei Überlegungen egal sein. Im Zweifel schließen sie sich wie in der Vergangenheit so oft außenpolitisch dem großen transatlantischen Bruder an.
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