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Soli… was?

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Warum Solidarität keine altmodische Floskel ist

Eigentlich ist der 10. Dezember ein schlechter Tag, um an die Menschenrechte zu erinnern. Knapp zwei Wochen vor Weihnachten passt er nicht in die heimelige Stimmung auf Weihnachtsmärkten und festlich beleuchteten Straßen. Dass die Verletzung elementarster Rechte diese durch Glühwein angeheizte Atmosphäre trüben kann, ist schon ärgerlich. Insbesondere wenn einen die Konfrontation mit Opfern gewaltbereiter Autokraten daran erinnert, dass wir trotz alltäglicher, aber kleiner Widrigkeiten das große Los gezogen haben, weil wir auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Da kommen auch die Appelle von zwei Menschenrechtlern aus Aserbaidschan zum unpassenden Moment.

„Wacht auf, schaut euch um, seht ihr nicht, auf welche Katastrophe das Land zusteuert?“, sagten sie am Donnerstag im Cercle Cité auf Einladung von Amnesty International. Beide kamen auf Druck u.a. von AI frei. Das Land, das ist ihre Heimat Aserbaidschan, deren herrschende Familie sie einsperren und foltern ließ (siehe Tageblatt vom 16. Dezember). Ein muslimisch geprägtes Land, in dem politisch Andersdenkende und Moslems ins Gefängnis wandern, weil sie angeblich Terroristen sind.

Sie reden viel von Demokratie und Menschenrechten, doch handeln tun sie nicht, so der Vorwurf von Leyla und Arif Yunus an die Politiker der EU. Und weil der Westen nichts für diese eingesperrten Moslems unternimmt, fühlen sie sich isoliert, zurückgewiesen. Für sie gelten scheinbar keine Menschenrechte. Es drohe eine Radikalisierung, so das Yunus-Paar. Ein Funke reiche, um aus Aserbaidschan ein zweites Syrien zu machen, sagen die Yunus und fordern, konkrete Sanktionen gegen die eindeutig identifizierten Verbrecher des Regimes zu verhängen.

Doch lässt sich derlei umsetzen? Eng sind die Geschäftsverbindungen auch zwischen Aserbaidschan und Luxemburg. Sanktionen müssten gegen Politiker und hohe Beamte verhängt werden. Doch das würde dem Business schaden, denn dieselben, die an den politischen Schalthebeln sitzen, sind in der Regel auch die, die groß in der heimischen Wirtschaft mitmischen.

Wir reden hier von der Republik am Kaspischen Meer, doch Ähnliches ließe sich über die Beziehungen zu anderen autokratischen Regimes im Mittleren Osten oder in Mittelasien sagen. Natürlich werden in Gesprächen mit den Machthabern die Menschenrechte angesprochen, aber meist so, dass der Handel keinen Schaden nimmt.
Die Handlungsbereitschaft der Politik ist meist nur so groß, wie der Druck der Öffentlichkeit es ist. Doch daran mangelt es in Sachen Schutz der Menschenrechte. Parlamentspräsident Mars di Bartolomeo brachte es am Donnerstag auf den Punkt: Wer geht noch auf die Straße, wenn in der Welt Menschen eingesperrt werden wegen ihrer politischen, religiösen Überzeugungen oder sexuellen Orientierung?

Ein Widerspruch: Die Welt war dank Internet und sozialer Medien noch nie so klein. Jeder kann, wenn er denn will, in Sekundenschnelle erfahren, was am anderen Ende der Welt geschieht, auch wenn Menschen brutalisiert werden. Doch diese virtuelle Nähe führt in den seltensten Fällen zu mehr Solidarität.

Was tun? Weiterhin beharrlich, diskret, aber bestimmt den Wohlstandsbürger daran erinnern, dass der Alltag anderswo rauer und gefährlicher ist, man sich dagegen engagieren muss und manchmal, wie bei Leyla und Arif Yunus, erfolgreich sein kann.

lmontebrusco@tageblatt.lu