Steht die Arbeitsmoral der Angestellten im Fokus, wird gerne auf den Absentismus bzw. das „Krankfeiern“ verwiesen. Dabei stellt der vermeintlich faule Arbeitnehmer, der vor dem Arbeitszeitbetrug keinen Halt macht, eher die Ausnahme dar, das kaum thematisierte Phänomen des Präsentismus ist deutlich verbreiteter. Ganze 85 Prozent der Arbeitnehmer des Großherzogtums sind, laut einer Studie des Ministeriums für Soziale Sicherheit, während ihrer Krankheit teilweise oder sogar durchgehend am Arbeitsplatz erschienen. Was auf den ersten Blick löblich erscheint, kann jedoch für den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber gefährlich werden.
Ein Angestellter, der trotz Krankheit arbeitet, läuft nämlich Gefahr, durch Unkonzentriertheit Fehler zu begehen, und ist demnach deutlich weniger produktiv als üblich. Außerdem kann er durch den Präsentismus langfristig krank werden und je nach Krankheit gesunde Kollegen anstecken. Mehrere Studien aus Deutschland und den USA haben sogar aufgedeckt, dass Präsentismus doppelt so hohe Kosten verursachen kann wie krankheitsbedingte Fehlzeiten. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist demnach nicht die Anzahl der Fehltage, sondern die Anwesenheit trotz Krankheit zu bekämpfen.
Diese Erkenntnis hat jedoch noch nicht alle Arbeitgeber erreicht. Viele Unternehmen konzentrieren sich immer noch zu sehr auf den Absentismus. So hat der deutsche Autokonzern Daimler beschlossen, Arbeitnehmern, die innerhalb eines Jahres nie fehlten, eine Prämie auszuzahlen. Damit werden jene Personen belohnt, die im Zweifelsfall auf den Arztbesuch verzichten. Solche Maßnahmen können zwar den Absentismus bekämpfen, sie fördern jedoch gleichzeitig den viel gefährlicheren Präsentismus. Aus Angst, Prämien zu verpassen, keine Karriere machen zu können oder schlicht den Job zu verlieren, schleppen sich die Angestellten zur Arbeit, mit den bekannten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen. Eine Lösungsmöglichkeit wäre, in die Gesundheit der Arbeitnehmer zu investieren. Ein kostenloser Gesundheitscheck würde dem Bediensteten beispielsweise signalisieren, dass der Arbeitgeber sich um ihn kümmert und dass ihm eine nachhaltige Produktivität wichtig ist.
Letztlich macht die Studie des Ministeriums für Soziale Sicherheit deutlich, dass den Arbeitnehmern prinzipiell kein Motivations- oder Mentalitätsproblem unterstellt werden kann. Ein umkämpfter Arbeitsmarkt und hohe Erwartungen der Arbeitgeber zwingen die Angestellten eher dazu, übermotiviert und allzeit bereit aufzutreten. Der Arbeitnehmer ist zwar per Definition dazu verpflichtet, seine Arbeitskraft gegen eine Bezahlung zur Verfügung zu stellen; einen Zwang, die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen, gibt es allerdings nicht.
Dass der Arbeitgeber einem das Recht auf Gesundheit nicht nehmen kann, dürfte demnach jedem bekannt sein. Dennoch sind 85 Prozent der Bediensteten im Großherzogtum während ihrer Krankheit teilweise oder sogar durchgehend am Arbeitsplatz erschienen. Ein Mentalitätswechsel ist demnach unabdingbar.
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