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Kleine Stromnetze für ländliches Wachstum

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Kleine Energienetze, sogenannte Mini-Grids, können eine Lösung sein, um ländliche Gebiete mit elektrischer Energie zu versorgen.

Von Jessica Stephens und Sidhartha Vermani*

Über 300 Millionen Menschen in Indien haben keinen Zugang zu elektrischem Strom, und in den Ländern Afrikas südlich der Sahara sind es doppelt so viele. Und da erwartet wird, dass das Bevölkerungswachstum die Anschlusszahlen übersteigt, könnte sich die „Energiearmut”, bevor sie gelindert werden kann, zunächst noch verschlimmern.
Schon seit Jahrzehnten warten die ländlichen Gemeinden der Entwicklungs- und Schwellenländer vergeblich auf öffentlich bereitgestellten Strom. Nun aber gibt es neue Technologien, die die Art der Produktion und Verteilung von Elektrizität verändern – gemeinsam mit günstigeren Solarzellen, besseren Batterien und mobilen Bezahlsystemen. Mit sogenannten „Mini-Stromnetzen“, also kleinerer und örtlich begrenzter Infrastruktur, können unabhängige Produzenten die abgelegenen Dörfer schneller und billiger elektrifizieren als die traditionellen Anbieter. Die Herausforderung besteht nun darin, Politiker, Geldgeber und betroffene Interessengruppen von den Vorteilen der Dezentralisierung zu überzeugen.

Dass die Stromversorgung im ländlichen Raum mit Mini-Netzen gelöst werden soll, ist keine neue Idee: Schon seit langem wird dieser Ansatz – von den Vereinigten Staaten bis Kambodscha – dazu verwendet, die lokale Infrastruktur mit regionalen oder nationalen Netzen zu verbinden. Und für die energiehungrigen Gemeinschaften im ländlichen Raum können die Mini-Netze einen entscheidenden Unterschied machen. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) sind dezentralisierte Lösungen wie die Mini-Netze die kosteneffizienteste Möglichkeit, um über 70% der nicht ans Stromnetz angeschlossenen ländlichen Gemeinden zu elektrifizieren. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese Projekte neue Geldgeber finden können. Laut Ansicht der IEA können Mini-Netze mit politischer Unterstützung und 300 Milliarden Dollar an Investitionen bis zum Jahr 2030 450 Millionen Menschen mit Strom versorgen.

Unabhängig agieren

Natürlich sollen solche kleinen Netze nicht bis in alle Ewigkeit isoliert betrieben werden. Am besten werden sie genutzt, wenn sie auch Strom in größere Verteilungsnetzwerke einspeisen können. Bevor aber größere Netze eingeführt werden, kann und muss der ländliche Raum in den Entwicklungs- und Schwellenländern unabhängig agieren.
Verglichen mit großflächigen Lösungen sind Mini-Netze in schwer erreichbaren Gegenden leichter aufzubauen und in Betrieb zu nehmen. Außerdem sind sie verlässlicher. Indem solche Netze Krankenhäuser, Schulen und örtliche Unternehmen mit Strom versorgen, können sie dazu beitragen, die lokalen Wirtschaftsräume lebendiger und wohlhabender zu machen. In nicht elektrifizierten Gegenden, die unter Klimawandel, Naturkatastrophen oder wirtschaftlicher Abwanderung leiden, sind Mini-Netze oft die einzige Möglichkeit.
Aber leider werden die Vorteile dieser kleinen Stromnetze in Indien und im Afrika südlich der Sahara immer noch zu wenig genutzt. Smart Power India hat beispielsweise mit Unterstützung der Rockefeller-Stiftung dazu beigetragen, bis jetzt im ganzen Land über 140 private Mini-Netze zu bauen. Dies ist das größte Segment lokaler Stromerzeugungskapazität in ganz Indien. Und trotzdem stellt dies nur einen geringen Bruchteil der Mini-Netzsysteme dar, die benötigt werden, um die prognostizierte Nachfrage der nächsten paar Jahre zu decken (schätzungsweise 100.000 bis 200.000 allein in Afrika).
Auch in Afrika ist der Bedarf immer noch groß. Im April wurde die erste Handelsorganisation des Sektors gegründet, das Afrikanische Entwicklungsbündnis für Mini-Netze. Damit soll zunächst in Kenia und Tansania und später dann in allen Ländern südlich der Sahara die Verbreitung dieser Stromnetze gefördert werden. Bis 2020 wird erwartet, dass die Anzahl der kleinen Stromnetze für erneuerbare Energien in diesen beiden Ländern von 12.000 auf über 145.000 steigt. Aber angesichts des massiven afrikanischen Strombedarfs sind dies nur geringe Zuwächse. Allein in Nigeria haben beispielsweise 80 Millionen Menschen keinen Zugang zur Stromversorgung, und weitere 60 Millionen geben jährlich 13 Milliarden US-Dollar für den Betrieb schmutziger Dieselgeneratoren aus, die durch Mini-Netze ersetzt werden könnten. Viele weitere afrikanische Länder stehen vor ähnlichen Energieproblemen.

Die gute Nachricht ist, dass die Finanzierung kleiner Netze – darunter auch solcher, die mit Solar-, Wasser- und Windkraft oder einer Mischung aus erneuerbaren Energien und Dieselkraftstoff betrieben werden – langsam zunimmt. In Indien konnten sich mit Husk Power Systems und OMC Power zwei Entwickler solcher kleiner Stromnetze kürzlich 30 Millionen Dollar an Neufinanzierung sichern. Yoma Micro Power kam auf 28 Millionen. In Afrika wiederum hat die Weltbank dem Land Nigeria 350 Millionen Dollar für rurale Elektrifizierung geliehen. Und die Internationale Solarallianz darf auf eine indische Kreditlinie in Höhe von zwei Milliarden Dollar hoffen, um damit in Afrika Projekte zu unterstützen, zu denen auch kleine Stromnetze gehören. Diese Zusagen kamen zustande, nachdem die Deutsche Bank 2016 einen 3,5-Milliarden-Dollar-Fonds angekündigt hatte, um damit nachhaltige Energieprojekte in Afrika zu finanzieren, darunter auch 10.500 kleine Solarstromnetze.

Strom aus der Kiste

Im Zuge dessen, dass der Aufbau und die Geschäftsmodelle der Mini-Netze immer besser werden, sind auch zusätzliche Finanzierungsquellen zu erwarten. Eine vielversprechende Innovation ist das „Utility in a Box“-System – eine modulare und skalierbare Kleinnetzlösung, die momentan in Indien und anderswo getestet wird.
Trotz dieser positiven Entwicklungen ist das vollständige Potenzial der Mini-Netze, als Grundlage für die Entwicklung des ländlichen Raums zu dienen, lange noch nicht ausgeschöpft. Dies kann erst dann geschehen, wenn Politiker, Regulierungsbehörden und internationale Entwicklungshelfer erkennen, dass dezentrale Netze keine Konkurrenz für traditionelle Stromerzeuger sein müssen, sondern vernünftige, ergänzende und kompatible Lösungen gegen Energiearmut darstellen.

Obwohl immer mehr Regierungen die Mini-Netze in ihre Politik einbeziehen, scheitern die meisten von ihnen daran, die lokale Stromerzeugung und -verteilung in die nationale Elektrifizierungsplanung zu integrieren. In Indien wurde beispielsweise ein Maßnahmenentwurf für Mini-Netze zwei Jahre lang verzögert, und in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara werden die guten Absichten oft durch Bürokratie und Lobbyarbeit der großen Stromerzeuger ausgebremst. Obwohl sie gleiche oder bessere Dienste leisten, müssen die kleinen ländlichen Stromnetze häufig ohne die finanzielle Unterstützung auskommen, die die größeren Versorger regelmäßig genießen.
Um in Indien, Afrika und anderen Orten das Licht einschalten zu können, benötigen kleine Energieerzeuger einen ausreichenden Zugang zu Kapital und die unvoreingenommene und faire Unterstützung durch politische Maßnahmen. Aber mehr als alles andere brauchen sie die Möglichkeit, ihre Technologien in die Wirklichkeit umzusetzen. Wie man ländliche Gemeinden weltweit mit Strom versorgen kann, ist bereits gut bekannt. Nun liegt es an den Politikern, den Schalter umzulegen.

* Jessica Stephens ist Globale Koordinatorin beim Afrikanischen Entwicklungsbündnis für Mini-Netze. Sidhartha Vermani ist leitender Direktor bei Smart Power India. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff. Copyright: Project Syndicate, 2018. www.project-syndicate.org.