Die sogenannten «Cleaner», die von Outsourcing-Firmen in Indien und anderswo gestellt werden, sind die heimliche Macht, die darüber bestimmt, was auf der Plattform erscheinen darf und was nicht. Nachfolgend der dritte und letzte Teil der Analyse.
Von Guy Verhofstadt*
Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Die Welt braucht ein neues Internet, und Europa insbesondere braucht eine neue digitale Strategie – und zwar eine, die nicht einfach beim amerikanischen Modell abkupfert.
Europäische Herausforderung
Eine Option könnte es sein, Blockchain zum neuen Standard für alle digitalen Aktivitäten innerhalb der EU zu machen.
Im Idealfall würden Behörden und Unternehmen alte bürokratische Ledger und Verfahren durch sichere dezentralisierte Technologien ersetzen und es würde eine neue Generation digitaler Unternehmen und konkurrenzorientierter Märkte für personenbezogene Daten entstehen.
Um das zu ermöglichen, muss die EU zwei weitere Investitionsprogramme auf der Ebene des globalen Satelliten-Navigationssystems Galileo auflegen: eines für sich abzeichnende Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und ein weiteres für Quantum-Computing.
Angesichts der Zeit, die es dauern wird, bis diese Investitionen Früchte tragen, muss sich die EU zudem den unmittelbaren Herausforderungen des alten Internetzeitalters zuwenden.
Am dringendsten ist dabei, dass wir unsere Wahlen vor ausländischen Cyber-Eingriffen schützen. Dies beginnt mit der Ermittlung der ausländischen Agenten, die auf europäischen Social-Media-Plattformen aktiv sind, sowie der extremistischen Politiker, mit denen sie gemeinsame Sache machen.
In den USA, wo der stellvertretende Justizminister Rod Rosenstein Robert Mueller zum Sonderermittler ernannt hat, um die russische Einmischung in die Präsidentschaftswahl von 2016 zu untersuchen, wurde bereit in Dutzenden Fällen Anklage erhoben. Europa muss hier aufholen, und zwar nicht zuletzt, indem es einen eigenen Sonderermittler zur Untersuchung und Unterbindung russischer Desinformationskampagnen und anderer Angriffe auf unsere Demokratien einsetzt.
Zweitens müssen wir unsere Wahlkampfgesetze an das digitale Zeitalter anpassen.
Die meisten wurden zu einer Zeit verfasst, in der politische Kampagnen sich auf Flyer und Plakatwerbung stützten.
Heute wird der Kampf um die Unterstützung der Wähler im Internet ausgetragen und es fällt bösartigen Akteuren leichter denn je, das Verfahren zu manipulieren.
Verantwortung über Inhalte
Drittens müssen wir die Social-Media-Unternehmen für die auf ihren Plattformen veröffentlichten Inhalte in die Verantwortung nehmen. Jede politische Anzeige sollte ein digitales «Impressum» tragen, aus dem eindeutig hervorgeht, wer sie bezahlt hat. Und Plattformen, die dem nicht nachkommen, sollten sehr viel höhere Geldstrafen drohen als in den letzten Jahren.
Zudem sollten die Datenschutzbehörden die Verbreiter von Fake News, Bots und Trolle sowie die Algorithmen, die es ihnen erlauben, größere Zielgruppen zu erreichen, sehr viel intensiver überprüfen.
Hierzu sollten die zuständigen Behörden «Verantwortlichkeitsbeauftragte» ernennen, die den Auftrag haben, die großen Social-Media-Plattformen zu kontrollieren, insbesondere vor und während Wahlkämpfen.
Und schließlich müssen wir Kampagnen einleiten, um die Öffentlichkeit in der Nutzung von Datenschutzeinstellungen, Werbeblockern und anderen digitalen Schutzmechanismen zu schulen.
Dies war eine der Empfehlungen, die aus den Anhörungen des britischen Unterhauses in Bezug auf Cambridge Analytica in diesem Jahr hervorging.
Es leuchtet ein, dass, wenn wir das Internet wieder in die Hände der Bevölkerung legen wollen, diese über die digitalen Kompetenzen verfügen muss, um das zu bewältigen.
Lediglich zu wissen, wie man ein Facebook-Konto anlegt, reicht nicht länger aus.
Die Bürger des 21. Jahrhunderts müssen außerdem zumindest Grundkenntnisse darüber besitzen, wie das Internet funktioniert. Alles in allem wird die hier skizzierte digitale Strategie eine Verlagerung von Befugnissen der nationalen Regierungen Europas an EU-Institutionen erfordern.
Das war in der europäischen Politik schon immer ein schwieriges Unterfangen.
Doch die Europäer müssen sich mit der Tatsache abfinden, dass die Nationalstaaten im digitalen Zeitalter die Probleme allein nicht mehr bewältigen können.
Schließlich kennen digitale Technologien keine politischen Grenzen. Im Gegenteil: Ihre Macht rührt gerade aus ihrer Fähigkeit her, Grenzen zu überwinden und Raum und Zeit zusammenfallen zu lassen.
Nur ein geeintes Europa kann dieser Macht gleichkommen und uns helfen, unsere gegenwärtige Ära digitaler Dysfunktionalität hinter uns zu lassen und uns in Richtung eines neuen Modells zu bewegen.
Die wirkliche Frage ist, ob wir der Herausforderung gewachsen sind.
Aus dem Englischen von Jan Doolan / © Project Syndicate, 2018
*Guy Verhofstadt ist ehemaliger belgischer Ministerpräsident und aktuell Fraktionsvorsitzender der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa.
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