Es war das erwartete Schlachtfest der Zahlen. Begleitet von verhaltenem, schwärmerischem Lobgesang oder eher dramatisch unterlegten Klangfarben, bediente sich jeder Redner bei den Haushaltsdebatten Ende letzten Jahres an jenen Happen unter den aufgetischten wahren Bergen an beeindruckenden Zahlen, die seinem politischen Gusto am ehesten entsprachen. Insgesamt zeichnete die politische Debatte das Bild eines reichen Landes auf dem Weg, sich aus der Krise herauszuwinden. Alles fast zum Besten in der bestmöglichen aller Welten demnach?
Wäre da nicht dieser immer wiederkehrende, klirrende Misston gewesen, kalt im Raume verhallend, fast schon unangebracht ob der prächtigen Zahlendarbietung. Hartnäckig kratzte er immer wieder an der schönen Oberfläche: Der Begriff Armutsrisiko wollte partout nicht in das Gesamtbild passen. Umso mehr, als dieses Risiko auch ständig steigt, worauf Arbeitnehmerkammer und Gewerkschaften, ausnahmsweise einhellig mit dem Statistikamt Statec, seit längerem – bislang nur wenig gehört – aufmerksam machen.
Luxemburg gehört zu jenen Ländern in Europa, die in diesem Bereich die schlechteste Entwicklung aufzeigen. 78.000 Menschen lebten 2012 hierzulande unter der Armutsgrenze. Das sind 10.000 mehr als 2011. Das Armutsrisiko stieg seit 1996 kontinuierlich und liegt nun bei 16%. Besonders betroffen sind Minderjährige, Arbeitssuchende und Paare mit drei oder mehr Kindern. Und vor allen Dingen Alleinerziehende mit Kindern.
Hier verzeichnen wir einen beschämenden „Rekord“ innerhalb der EU, mit einem Sprung von 25% im Jahr 1995 auf heute 46,9%.
Gut nur für uns, wenn auch schlecht für die Menschen dort, dass ausnahmsweise Griechenland uns vor dem letzten Platz innerhalb der EU „rettet“. Unter der arbeitenden Luxemburger Bevölkerung gelten 10% als sogenannte „arme Arbeitende“, ebenfalls europäische „Bestmarke“.
Nein, das Wort Armutsrisiko passte bei den Haushaltsdebatten wirklich nicht in das Gesamtbild eines Landes, in dem seit dem letzten Weltkrieg ganze Generationen eigentlich erfolgreich daran gearbeitet haben, dass die nachfolgenden es besser haben sollen. Ein Land, das finanztechnisch heute zu den reichen Ländern gehört. Das wieder überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum verzeichnet, während andere noch mit den Folgen der Finanzkrise ringen. Wenn das Armutsrisiko in einem solchen Land dennoch seit 20 Jahren wieder steigt, statt dass es sinkt, sollte dies bedenklich stimmen.
Das einzig Positive an der geschilderten Entwicklung: Sie macht es sogenannten AAA-Sozial- und Finanzpolitikern eigentlich leicht, das, was bei den Sozialtransfers bisher offensichtlich schiefgelaufen ist, wieder ins Lot zu bringen. Die Hebel für die benötigte Kurskorrektur sind bekannt. Sie reichen von staatlichen Zulagen, Gesundheitsversorgung generell über Ausbildung bis hin zur Steuerreform.
Die anstehende Diskussion über ebendiese dürfte denn auch weniger hektisch verlaufen, wenn alle, die jetzt bereits die Hand ausstrecken – was ihnen niemand übelnimmt – zuerst an jene denken, die in heutigen Zeiten besonderer Unterstützung bedürfen. Wobei von den Gefahren der zunehmenden Altersarmut noch nicht einmal die Rede war.
Alles in allem bleibt festzuhalten, dass bei der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung – nichts anderes ist die Armut – im Laufe der Zeit Dinge aus den Augen verloren und Prioritäten falsch gesetzt wurden. Änderungen, die schnell kommen sollten, setzen bei der sozialen Umverteilung allerdings eines voraus: ein dringend erforderliches Umdenken.
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