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Jeff Schinker über Kritik, Interessenkonflikte und Subjektivität.

Kritik, Interessenkonflikte und Subjektivität – ein Editorial von unserem Redakteur Jeff Schinker.

Ein kleines Land schafft besondere soziokulturelle Realitäten, die besondere Herausforderungen mit sich bringen. Probleme tauchen immer dann auf, wenn man versucht, die außergewöhnliche Situation des Landes zu übergehen, größere (meist benachbarte) Länder als Inspirationsmodell zu nehmen, und den Anspruch stellt, die soziokulturellen Gegebenheiten dieser Länder zu imitieren.

Unsere lokale Kulturszene ist klein, und dieser Befund bringt eine Reihe von Tatsachen mit sich. Eine davon ist der Gemeinplatz, dass jeder jeden kennt. In diesem Sinne ist es z.B. teilweise hypokritisch, einen nationalen Literaturwettbewerb zu organisieren, der die Anonymität der Teilnehmer als Prämisse aufstellt, zumal die Präsidentin der diesjährigen Jury, Valerija Berdi, regelmäßig eine Lesungsreihe mitmoderiert, im Laufe derer Autoren ihr «Work in Progress» vorstellen – welches diese dann möglicherweise später der Jury zur Begutachtung einreichen. Des Weiteren gibt es in Luxemburg so wenige Schriftsteller, dass man die eingeschickten Werke schnell den verschiedenen Autoren zuschreiben kann.

All dies soll hier nicht kritisiert werden (die Objektivität der Jury ist nicht das Problem), es deutet nur auf eine Situation hin, in der in einer einzigen Person eine Vielzahl von Funktionen versammelt sind. In Luxemburg ist man schnell zugleich Forscher, Kritiker, Jurymitglied, Journalist, Autor, Mitglied eines Verwaltungsrats – und Bekannter der Personen, deren Werke man besprechen soll. (Dies bezieht sich teilweise auch auf den Verfasser dieser Zeilen.)

Dieser autopoietische Kreis, in dem man im Extremfall riskiert, sowohl Ursprung als auch Finalität des Werkes zu werden (da man auf den zwei Seiten des Schaffensprozesses stehen kann), führt zu einer schwer überwindbaren Antinomie: Rezensiert man nur noch Werke von Leuten, die man nicht persönlich kennt, bespricht man bald gar nichts mehr. Schreibt man allerdings über das Schaffen eines Bekannten, hagelt es Vorwürfe: Hat man das Werk schlecht gefunden, vermutet der Leser Rivalitäten, lobt man es, praktiziert man Vetternwirtschaft.

Der Ausweg aus diesem Engpass vollzieht sich in zwei Etappen: Es gilt vorerst, dem proustianischen Imperativ zu folgen: «L’artiste n’est pas l’homme». Wie Proust es in seiner «Recherche» am Beispiel des (fiktionalen) Komponisten Vinteuil aufzeigte: Ein sozial biederer Mensch kann ein künstlerisch reiches Innenleben führen, ein netter, interessanter Mensch kann ein schlechter Künstler sein. Biographische Details sind irreführend. Auf Luxemburg bezogen: Man kann eine Bekanntschaft, gar eine Freundschaft mit einer Person pflegen, darf unabhängig davon über deren ästhetische Leistungen urteilen.

In einer zweiten Etappe gilt es, eine größere Transparenz bezüglich dieser Beziehungen und Bekanntschaften aufzuzeigen – weswegen Kulturjournalismus in Luxemburg subjektivere Formen aufsuchen sollte, das «Ich» klarer einbezogen werden müsste. In der Quantenphysik redet man seit langer Zeit von der Verschränkung des Beobachters und des beobachteten Objekts. Man ist immer Teil der Wirklichkeit, die man beschreibt. Sich aus der Vielzahl der Handlungen, die diese Wirklichkeit gestalten, herausziehen zu wollen, ist schlicht unmöglich.

GuyT
28. November 2017 - 10.51

Nicht zu vergessene die Filmszene wo zwischenzeitlich rund 50 Mio Euro an einen Insiderkreis nach Lust und Laune verteilt wurde, unter einer immer gleichen Gruppen von Freunden, unter der Schirmherrschaft eines auf viel Publicity heischenden Premier (die Sonne in Cannes läßt gibt ein wunderbares Photolicht). Transparenz sieht anders aus!