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Schreibende Scheusale

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Jeff Schinker über Moral-Klauseln in Schriftsteller-Verträgen – und was das mit der Kunst macht.

In ihrem Vertrag müssen angelsächsische Schriftsteller immer häufiger eine Moral-Klausel unterschreiben, die ihnen ein tugendhaftes Vorzeige leben vorschreibt – im Fall unmoralischen Handelns kann der Autor so den Vertrag gekündigt bekommen. Diese neuartige Klausel scheint sich im Kontext des jüngsten Aufdeckens von Übergriffen, die im Zuge der #metoo-Debatte bekannt wurden, durchzusetzen, um wohl u.a. zu vermeiden, dass angesehene Preise nicht verliehen werden, weil sich herausgestellt hat, dass der Verfasser der Werke im Privatleben ein Scheusal ist. Sie steht aber auch als Symptom dessen, was der Philosoph Slavoj Žižek eine entkoffeinierte Gesellschaft genannt hat – ein Begriff, mit dem er den Eifer, mit dem man heutzutage dem politisch Korrekten frönt, definiert. Dieser Eifer riskiert im Gegensatz aber zu einer eintönigen und im Endeffekt unnatürlichen Gesellschaft zu führen – und die Meinungsfreiheit des Autors einzuschränken. Die Psychoanalyse hat gezeigt, dass der Zivilisationslack und die soziale Konditionierung recht schnell abbröckeln – und es ungesund ist, jeden unserer wenig attraktiven Triebe einfach zu unterdrücken.

Ein kurzer Blick auf die Literaturgeschichte verrät, wie absurd die Idee der Tugend im literarischen Kontext ist: Die bekanntesten Schriftsteller tranken oft exzessiv, konsumierten bewusstseinserweiternde Substanzen aller Art, zahlten für Geschlechtsverkehr – und glorifizierten zum Teil auch noch dieses marginale Leben in Texten, die heute im Kanon der Weltliteratur fungieren.

Traditionell machen sich Autoren eine Ehre daraus, in Worten und Werken auf die bürgerlichen Werte zu spucken. Flauberts Hass auf das gutbürgerliche Gesellschaftsmodell war so groß, dass er pflegte, Freundschaften zu kündigen, wenn der Befreundete sich zur Hochzeit verleiten ließ. „C’est avec les beaux sentiments qu’on fait de la mauvaise littérature“, schrieb damals André Gide – und behält in den bedauerlichen Zeiten der Übergriffe und Sexskandale recht: Die einfalls arme Vorstellungswelt eines Guillaume Musso zeugt auf jeder Seite seiner Schundromane davon. Auch wenn Unmoralität nicht gezwungenermaßen Bedingung für Qualität ist. Dass David Foster Wallace, der sich vor zehn Jahren das Leben nahm und dessen Fiktionswelten Depression, Abhängigkeit und zwischenmenschliche Machtverhältnisse behandeln, ein gequältes Verhältnis zu vielen seiner weiblichen Partner hatte, hat der Autor selbst gestanden. Wenn eine Ex-Partnerin nun sein Verhalten ihr gegenüber als gewalttätig beschreibt, mag dies ein Fakt sein. Genauso faktisch ist aber, dass DFW zu den brillantesten Schriftstellern seiner Zeit zählt. Weiterhin gilt: Das Innenleben dieses Autors, die Gründe seines Handelns, die Qualen und Leiden seines von der Depression geplagten Innenlebens kann man kaum an den reinen Fakten ablesen – hier verrät die Intimität des literarischen Werkes mehr über die Person als die biografische Liste ihrer Handlungen. Menschen können sowohl sensibel als verletzend, empathisch wie egozentrisch sein.

Es mag ein Klischee sein, dass gute Literatur von querdenkenden Exzentrikern geschrieben wird. Aber die Welt braucht eben Leute, die komplexe und manchmal unschöne, aber menschliche Neigungen in Werken verdichten – ganz gleich, ob uns dies aus kathartischen, voyeuristischen Gründen fasziniert oder weil solche Werke vermögen, auf kritische Art die vorgedachten Existenzen des späten Kapitalismus zu begutachten. Bleibt natürlich die Frage: Wo zieht man die Grenze? Sind die antisemitischen Ergüsse eines Louis-Ferdinand Céline Grund genug, den Autor aus dem Kanon zu verbannen? Kann man einen solchen Autor biografisch zweiteilen, um dann nur Werke aus der moralisch lobenswerten Zeit zu analysieren? Oder muss man ihn als Ganzes wahrhaben – und dann auch akzeptieren, dass so mancher sich im Laufe des Lebens verrannt hat? Was die Literatur und ihre Schöpfer der Moral schulden, muss letztlich jeder für sich entscheiden.

Grober J-P.
14. August 2018 - 12.12

Den schreibenden Scheusalen kann man ja schreibend entgegentreten, das regt an! ?