Es handelt sich um eine der aufsehenerregendsten Aktionen in der zeitgenössischen Kunstwelt: Während einer Versteigerung des Auktionshauses Sotheby’s ging ein Werk von Banksy für knapp 1,2 Millionen an einen stolzen, bisher unbekannten Neubesitzer, dessen ersteigertes Kunstwerk mithilfe eines versteckten Schredders knapp nach dem Verkauf in Papierlinguini zerfetzt wurde. Mit dieser Aktion erschüttert Banksy einen Kunstmarkt, der immer noch von den seit Warhol und urbaner Kunst etwas überlebten Begriffen «Original», «Fälschung» und (vor allem) «Eigentum» geprägt ist.
Banksys Kommentar dazu («going, going, gone»), der eigentlich unübersetzbar ist, stellt er doch sowohl das englische Pendant zu dem deutschen «zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten» dar, das den Ersteigerungsakt zementiert, als auch eine ironische Beschreibung des Werdegangs dieses Werkes, schreibt jetzt schon (Kunst-)Geschichte.
Denn auch wenn am Montag im Kasemattentheater eine Lesung uns daran erinnerte, dass Theater kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit ist, so gibt es Kulturbereiche, die luxuriöser als andere sind. Mit dem Kulturpass kann man sich viele Ausstellungen und Theaterstücke für erschwingliche Preise ansehen, Bücher kann man in Bibliotheken ausleihen. Beim momentanen Konsumieren eines Kunstwerkes ist der Prozess folglich meist ziemlich demokratisch. Geht es jedoch um Besitztum, tauchen die kapitalistischen Hierarchien schnell wieder auf: Ein Buch, eine Schallplatte oder einen Datenträger (CD oder Blu-ray) können sich viele leisten, ein Gemälde jedoch nicht. Weswegen der Kunstbetrieb oftmals im Bereich der hohen Finanz verkehrt – man erinnere sich an den Aufruf, die Kandidaturen für die Besetzung der Nachfolge von Enrico Lunghi an Deloitte & Touche zu schicken.
Um diese Hierarchisierung zu erklären, bedarf es eines (kurzen, versprochen!) kunstästhetischen Exkurses. In seinem wegweisenden Essay «Sprachen der Kunst» unterscheidet Nelson Goodman zwischen autographer und allographer Kunst. Bei einem autographen Werk kann man zwischen Original und Fälschung unterscheiden, bei einem allographen Werk ist diese Differenzierung unmöglich. Reproduziert man ein (autographes) Werk von Picasso, erhält man eine Fälschung. Druckt man ein Buch 5.000-mal, gibt es weder Original noch Fälschung, sondern lediglich 5.000 Exemplare eines Buches, von denen jedes einzelne denselben Authentizitätsstatus hat.
Banksys Schredder-Aktion zeigt die Absurdität, Werke eines Künstlers, die sich der Vergänglichkeit verschrieben haben und die das Verhältnis zu Begriffen wie Original und Fälschung auf den Kopf stellen, in die neoliberale Werthierarchie einzugliedern: Banksy war der erste Künstler, dessen nicht signierte «Prints» für 20.000 oder 30.000 Euro verkauft wurden zu einem Zeitpunkt, an dem die signierten Werke für 100.000 Euro abgesetzt wurden. Walter Benjamin schrieb 1935 den Essay «Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit». Banksy liefert mit seiner Aktion den Begleitzettel zum Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Widerrufbarkeit.
Leider wird der rebellische Akt, der die Nutzlosigkeit einer kapitalistischen Wiederaneignung einer Kunst zeigt, die per se vergänglich sein will und sich von hierarchischen Begriffen wie «Original» und «Fälschung» entfernt, wohl schnell wieder dem neoliberalen Imperativ unterworfen: Bereits jetzt wird spekuliert, dass der Marktwert des Werkes durch den Sabotageakt verdoppelt wird. Und einige Experten werfen dem sozialkritischen Banksy (man erinnere sich an «Dismaland») nicht etwa Sabotage, sondern Gefälligkeit gegenüber dem Markt vor – vielleicht hat der gerissene Künstler diese Werterhöhung ja mit einberechnet.
Sowas nennt man dann Kunst. Der dafür 1,2 Mio ausgibt, bei dem muss das Geld locker sitzen. Der grösste Witz: der Marktwert des zerschredderten Werkes verdoppelt sich womöglich. Banksy hat demnach genau das Gegenteil mit seiner Aktion erreicht. Absurdität pur ! Und gleichzeitig sterben hunderttausend Kinder weltweit den Hungertod.