Was ist richtig, was ist falsch? Historiker können es erforschen. Aber erst Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte „danach“. Entscheidungen werden zumeist aufgrund subjektiver Interessenlagen getroffen; wie sonst wären, beispielsweise, Mussolini, Stalin und Hitler oder Roosevelt, Churchill und de Gaulle an die Macht gekommen?
Wir beginnen zu ahnen, dass in Europa nach den zwei verheerenden Kriegen des 20. Jahrhunderts allerhand schiefgelaufen ist. Die Union ist zu einem ungeliebten bürokratischen, der ökonomischen Perversion namens Profitsucht dienenden Gebilde entartet – warum?
Weil die Grundidee des menschlichen Zusammenlebens, die Idee der Solidarität (nicht als ein Ideal, sondern als eine Notwendigkeit!), von den dafür streitenden Eliten nicht durchgesetzt werden konnte.
Im europäischen Großraum ist der Kampf gegen den Wohlfahrtsstaat voll im Gang. Europa erlebt, wie die staatlichen Umverteilungen, insbesondere im sozialen Bereich (Renten, Krankenkassen, öffentliche Dienste), zurückgedrängt werden, wie der Konkurrenzdruck und die grassierende Arbeitslosigkeit benutzt werden, um das Arbeitsrecht auszuhöhlen und die Lohnkosten zu senken.
Immer mehr Menschen in Europa fühlen sich als Opfer einer hemmungslosen Geldwirtschaft; die Bereitschaft zur radikalen Gewalt wächst auch in den Kernländern der EU, namentlich in Deutschland und in Frankreich.
Luxemburg, das kleine Luxemburg, hat sich bisher nicht auf den Irrweg der Entsolidarisierung ziehen lassen. Wenn es nach der großen Stahlkrise (1976-1990) heute als ein attraktiver, zukunftsfähiger Standort für modernste Dienstleistungen gilt, Hightech einbegriffen, dann, weil es sich sehr zügig im politischen und sozialen Konsens umstellte, ohne seine Eigenarten aufzugeben. Es ist jetzt an der Regierung, dafür zu sorgen, dass diese erfolgreiche Konsensstrategie weitergeführt werden kann.
Dafür ist die Ausgangslage bestens. Gesunde Staatsfinanzen, die Wirtschaft wächst dreimal so schnell wie die deutsche und sechsmal so schnell wie die französische, es stehen gut und höchst qualifizierte Fachkräfte aus dem Inland, den Nachbarländern, Europa und der ganzen Welt zur Verfügung, was wollen wir noch?
Wir wollen – das „wir“ steht für alle, die hart arbeiten – einen Staat, der nicht ab-, sondern aufbaut, im Geiste einer wohlverstandenen Solidarität. Wir wollen eine spürbare steuerliche Entlastung und ein reformiertes Arbeitsrecht, das uns nicht der Willkür und der Rücksichtslosigkeit ausliefert. Wir vertragen das Gefühl der latenten Gefährdung unserer Einkommen nicht; wir wollen, dass den heranwachsenden Generationen maximale Bildungschancen geboten werden.
Kann die Bettel/Schneider-Regierung das?
Sie muss es können.
Man verzeiht ihren Ministern gerne die anfänglichen Stil- und Kommunikationsfehler (was haben wir Juncker nicht alles verziehen!!!), aber die Probezeit ist um. Das verdeutlichten zuletzt die Tageblatt-Ilres-Umfragen.
Später, wenn die Historiker sich mit dem Schlüsseljahr 2016 der Luxemburger Politik beschäftigen, werden sie erkennen: Damals traf die Dreierkoalition die richtigen Entscheidungen für ihre Wiederwahl. Oder: Damals traf sie die Entscheidungen, die 2018 dazu führten, dass sie weggefegt wurde.
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