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Alle gegen Wowa

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Die aktuelle Anti-Russland-Politik ist kontraproduktiv

Unangenehme Momente für Moskau dieser Tage. Das US-Justizministerium ermittelt wegen systematischen Dopings in Russland, so als hätte man es mit einer beliebigen US-Kolonie zu tun. Sogar vom Ausschluss der russischen Sportler von den Olympischen Spielen in Rio geht derweil die Rede. Beim Eurovision Song Contest fühlt man sich des Sieges beraubt. Die nationalen Jurys der NATO-Länder hätten sich gegen Russland verbündet, so der Vorwurf. Damit sollte der ukrainischen Vertreterin mit ihrem antirussischen Song zum Sieg verholfen werden.

Am Dienstag kritisierten in Luxemburg Menschenrechtler die diskriminierende Politik Russlands gegenüber Schwulen und Lesben. Am Mittwoch dann hieß es aus Kiew, in der Ostukraine werde massiv gefoltert, hauptsächlich auf „Russland-höriger“ Seite, versteht sich. Verschwiegen wird, dass auch zwei Jahre nach dem Brand im Gewerkschaftshaus in Odessa, bei dem 42 Personen auf grausamste Weise zu Tode kamen, noch immer kein Ermittlungsbericht vorliegt. Und dann am Donnerstag eine neue Erweiterungsphase der NATO, durch die Aufnahme von Montenegro, was Moskau in seiner Einkreisungsphobie noch bestärkt.

Eine geballte Ladung von Negativschlagzeilen demnach, der sich „Wowa“ (Wladimir) Putins Moskau gegenübersieht. Nur das offizielle Moskau? Das wäre eine gewagte Behauptung, denn die Schläge werden von vielen als persönlicher Affront interpretiert. Patriotismus feiert im Russland Putins derzeit fröhliche Urstände.

Die oben geschilderten Ereignisse gekoppelt an die fortwährenden Sanktionen des Westens kratzen sicherlich am russischen Selbstwertgefühl. Doch statt den gewünschten Wandel zu fördern, passiert wohl genau das Gegenteil.
Die europäische Politik ist geschichtsvergessen. Tatsächlich fügte sich das Riesenland nie äußerem Druck. Im Gegenteil provozierte dieser einen Zusammenschluss von Bevölkerung und ihrer politischen Elite, ungeachtet der Widerwärtigkeiten, die dasselbe Volk vonseiten seiner Führung erdulden musste. Schließlich musste „Mütterchen Russland“ gerettet werden. Das war so während des napoleonischen Krieges im 19. Jahrhundert, das war der Fall vor 70 Jahren, als die deutschen Eindringlinge zurückgeschlagen werden mussten.

Der außenpolitische Kurs des Westens, vorgezeichnet in Washington, soll Russland weiter isolieren. Wie stets in der Vergangenheit – Beispiele liefern die letzten Jahrhunderte, nicht nur Jahrzehnte, zur Genüge – wird versucht, den internationalen Einfluss Moskaus einzudämmen und das Land zu destabilisieren. Im Kalten Krieg bezeichnete man das US-Ansinnen, den sowjetischen Einfluss zurückzudrängen, den westlichen hingegen massiv zu fördern, als Rollback-Politik.

Die rezente europäische Vergangenheit zeigt jedoch, dass nicht eine Politik der Konfrontation, sondern des Aufeinander-Zugehens erfolgreicher ist. Doch die Ostpolitik eines Willy Brandt und seiner Nachfolger, auf den Wandel durch Annäherung ausgerichtet, ist in vielen EU-Amtsstuben definitiv als Geschichte klassiert und damit entsorgt worden.

Dass Europa sich damit selbst schadet, spüren nicht zuletzt seine Landwirte, denen der russische Markt durch die Sanktionen wegbrach. Die Russland-Krise habe Europa bisher 100 Milliarden Euro gekostet, hatte das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) bereits vor einem Jahr errechnet. Aber glücklicherweise werden wir bald CETA und TTIP bekommen. Und Russland wird sich verstärkt dem Osten zuwenden. Wer dabei den Kürzeren ziehen wird? Russland und die USA wohl kaum.

lmontebrusco@tageblatt.lu