Die historische Wirklichkeit entpuppt sich bei näherer Betrachtung als mit tausend Lücken durchsetzt. Diese Schlupflöcher durch praktische Forschung oder extrapolative Fantasie auszuheben, bedeutet oft, unvermuteten Zusammenhängen und verblüffenden Möglichkeiten auf die Spur zu kommen. Den Sherlock-Holmes-Touch am Geschichtlichen vorzuexerzieren, bringt eine Loslösung aus dem Sog der petrifizierten historischen Lehrmeinungen mit sich, indem man nicht an den Kompetenzen der wissenschaftlichen Spektabilitäten kleben bleibt, sondern sich mit detektivischer Akribie an die Fersen längst vergangener Wirklichkeiten heftet, ohne dafür aber das Blaue vom Himmel in die Geschichte einzugemeinden.
„OOPArts“ – „Out Of Place Artifacts“
Im letzten Jahrzehnt haben zwei faszinierende, wenn auch kontroverse Sachbücher, „Dinge, die es nicht geben dürfte – Mysteriöse Museumsstücke aus aller Welt“ (1) von Reinhard Habeck und „Nicht von dieser Welt – Dinge, die es nicht geben dürfte“ (2) von Hartwig Hausdorf, die traditionelle Archäologie in Erklärungsnöte gebracht. Sie beschäftigen sich mit einer offenbar sehr aktuellen Thematik, die noch immer im Schwange sein muss, ist doch gerade ein aufmerksamkeitsstarkes Werk zu diesem Stoff erschienen: „Liegt die Antwort in den Sternen? Wie Astrophysik die Rätsel der Archäologie löst“ (3).
Darin setzen sich die durch zahlreiche Bücher zur Archäologie bekannte Fernsehautorin Gisela Graichen und der Professor für Astrophysik Harald Lesch mit der bestechenden Frage auseinander, woher die plötzlichen Wissensexplosionen vergangener Zivilisationen kamen, ob sie Überlieferungen einer früheren, vergessenen Menschheit oder dem Besuch von außerirdischen Intelligenzlern geschuldet sind oder ob wir ganz einfach das Können unserer Vor-Vorfahren unterschätzen.
Wider eingefahrene Erklärungsmuster
Im Fahrwasser von Habeck und Hausdorf haben Gisela Graichen und Harald Lesch in ihrem beeindruckendem Band geheimnisvolle Artefakte zusammengetragen, Funde und Befunde, die fehl am Platze sind und dem gegenwärtigen Weltbild widersprechen: aztekische Goldamulette im Spaceshuttle-Design, prähistorische Hightechgeräte wie der aus Holz geschnitzte und als Modell eines Segelflugzeugs gedeutete Vogel aus einem altägyptischen Grab bei Sakkara, das Schädelfossil eines Neandertalers mit einem kleinen, runden Einschussloch, menschliche Fußabdrücke direkt neben Dinosaurierfußstapfen, die etwa 2.300 Jahre alte „Bagdad-Batterie“ zur angeblichen Erzeugung von Strom, die 1.600 Jahre alte handgeschmiedete Säule in Delhi aus besonders reinem Eisen, das nicht rostet, und andere rätselhafte Funde, die den gesunden Menschenverstand strapazieren und die es eigentlich der vorherrschenden Lehrmeinung zufolge nicht geben dürfte.
Bezüglich des unglaublichen astronomischen Wissens der afrikanischen Dogon über das komplexe System des 8,6 Lichtjahre entfernten Sterns Sirius und dessen unsichtbaren Begleiters, des Weißen Zwergs Sirius B, warten Graichen und Lesch mit einer lächerlichen Erklärung auf: „Heute wird vermutet, dass die angebliche Sirius-Astronomie in der Mythologie der Dogon dem insistierenden französischen Ethnologen Marcel Griaule wahlweise durch einen Übersetzungsfehler nahegebracht wurde oder durch eine Kontamination mittels Suggestivfragen durch den Wissenschaftler selbst.“ Und auch mit anderen Erklärungsversuchen kann man hadern. Über den erschossenen Neandertaler, der in einem Zwischentitel erwähnt wird, schweigen die beiden Co-Autoren sich aus.
War Perry Rhodan hier?
Aufgrund der astrophysikalischen Grundlagen, die für alle Lebewesen im Universum gültig sind, sprechen Graichen und Lesch sich prinzipiell gegen die Existenz einer funktionierenden interstellaren Raumfahrt aus und damit auch gegen die Möglichkeit, dass Aliens die Erde in grauer Vorzeit besucht und die Entwicklung der Menschheit maßgeblich beschleunigt haben könnten. Ob wir aber heute alle kosmischen Gesetzmäßigkeiten kennen und auf der Basis dieses wahrscheinlich unvollkommenen Wissens Flüge mit beinahe Licht- oder sogar Überlichtgeschwindigkeit als reine Fantasterei und Träumerei abtun können, kann man infrage stellen.
Bei Habeck und Hausdorf kommt es nicht weniger knüppeldick – aber aus der gegensätzlichen Richtung: Sie bemühen neben dem altgriechischen „Sternencomputer“ von Antikythera zudem einen uralten indischen Ritualdolch, dessen Legierung mit einem Anteil von mehr als vierzehn Prozent Sauerstoff sich als eine technische Unmöglichkeit herausstellt, des Weiteren in den Anden Perus ein „Sternentor“, das laut den ältesten Indiomythen wie das „Stargate“ der gleichnamigen Fernsehreihe den Sprung durch Raum und Zeit ermöglichen soll, sowie in den Uranminen von Gabun die Reste von vierzehn angeblichen urzeitlichen Atomreaktoren, die laut ihnen vor nahezu zwei Milliarden Jahren durch eine ausgeklügelte Hochtechnologie fremder Wesen auf dem noch jungen Planeten Erde errichtet wurden …
Bei ihnen drängt sich der gegenteilige Vorwurf auf, dass sich die Außerirdischen als ein ständig überstrapazierter „deus ex machina“ erweisen, der viel zu oft unnötig heraufbeschworen wird.
Wer hat schließlich recht? Was ist zu guter Letzt die Wahrheit? Diese Fragen sind berechtigt. Denn wie viele Wissenschaftler ist auch der Rezensent von der Existenz außerirdischer Zivilisationen in den unermesslichen Tiefen des Kosmos überzeugt, hegt allerdings Zweifel daran, dass diese uns in der Vergangenheit jemals haben aufsuchen und beeinflussen können. Müssen im Fahrwasser von Erich von Däniken immer wieder außerirdische Intelligenzler als letztendliche Ausdeutung für unser vermeintliches Nichtwissen oder Nichtverstehen herhalten?
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