„Peter Buck war der Gitarrist von R.E.M., der größten Band der Welt. Luke Haines war der Gitarrist von The Auteurs, die nicht die größte Band der Welt, aber auch ziemlich gut waren. Peter Buck war ein Fan.“ So oder so ähnlich bewarb die Plattenfirma das erste gemeinsame Album des unter Vertrag genommenen Duos vor zwei Jahren, nun liegt die zweite Zusammenarbeit „All the Kids are Super Bummed out“ vor und die ist noch sonderlicher und skurriler ausgefallen als das Debüt.
Die beiden müssen sich im Studio köstlich amüsiert haben, die psychedelischen Tracks mit spacigen Sounds, aufregenden Gitarrenparts z.B. mit E-Bow und herrlich absurden Texten zu versehen. Das Resultat ist ziemlich originell und man kann nicht umhin, an manchen Stellen herzhaft loszulachen. Auch in einer Playlist zum All Hallows’ Eve machten sich einige Schnipsel dieses bizarren Hörerlebnisses zwischen „Bat out of Hell“, Zappas „Happy Halloween“-Show und „Thriller“ sehr gut.
Das neue Album der Britin Beth Orton hätte da weniger gut reingepasst. Obwohl die Synthesizer an Stellen aufziehen wie Nebel, dann wieder ein Klavier wie aus der Ferne hallt, erinnert das gesamte Klangbild von „Weather alive“ dank der subtilen Beats von Sons-Of-Kemet-Schlagzeuger Tom Skinner, den klaren Tönen von Gastsaxofonist Alabaster DePlume und vor allem der brüchigen Stimme Ortons an einen einzigen, langen spirituellen Trip à la „Astral Weeks“ von Van Morrison oder „Spirit of Eden“ von Talk Talk. Mal barmt die Sängerin ihre Bekenntnisse mit ihrer charismatisch schwachen, aber zugleich unerhört ausdrucksstarken Stimme wie eine moderne Billie Holiday, mal führt sie in diesem Stream-of-Consciousness-Flow einen musikalischen Dialog mit sich selbst. Betörend!
Ganz ohne Gesang kommt das Brüderpaar Hermanos Gutiérrez aus, dessen neues Album „El Bueno y el Malo“ nicht nur vom Titel, sondern auch vom Sound her an Ennio Morricone erinnert. Alejandro und Stephan Gutiérrez haben einen Schweizer Vater und eine ecuadorianische Mutter, was bei ihrer instrumentalen Gitarrenmusik selbstredend zu einer kulturellen und musikalischen Verschmelzung von westlicher und lateinamerikanischer Musik führt. Ihr mittlerweile fünftes Album haben sie in Nashville im Tonstudio von Dan Auerbach eingespielt. Auerbach, hauptberuflich Sänger und Gitarrist der Black Keys, ließ sich nicht lang bitten, bei „Tres Hermanos“ („drei Brüder“) selbst zur Gitarre zu greifen, um einen der Sehnsuchtsorte des Duos mitzuerkunden. Die passende Musik für Menschen, die nach Entschleunigung suchen bzw. eine kurzweilige Auszeit benötigen von den alltäglichen Hiobsbotschaften sowie der allgegenwärtigen Überkommunikation.
Wenn es gegen Ende des Albums dann doch etwas repetitiv wird und man wieder etwas Beschleunigung und Groove nötig hat, könnte man „In these Times“ von Makaya McCraven auflegen, obwohl auch die neueste Produktion des Franko-Amerikaners aus Chicago sehr verhalten beginnt. Im Gegensatz zu anderen Schlagzeugern klöppelt uns der talentierte Komponist, Produzent und Bandleader erneut nicht mit Synkopen und Breaks zu, sondern stellt seine raffinierte Cut-&-Paste-Technik in den Dienst sehr lässiger und tanzbarer Electro-Jazz-Grooves. Wie Miles Davis zusammen mit seinen Tontechnikern Ende der 60er Jahre oder später auch Frank Zappa sammelt McCraven jeden Schnipsel seiner talentierten Musiker, um im Studio daran herumzubasteln und völlig neue Songs entstehen zu lassen, die nach allem anderen als nach Stückwerk klingen; hier ist alles im Fluss und völlig schwerelos – verblüffend!
Nach zwei Instrumental-Alben lassen wir gegen Ende unser Listening-Session noch einige tolle Stimmen auf uns wirken. Die erste gehört dem 72-jährigen Lee Fields, den man früher „Little JB“ nannte, da neben seinem Äußeren auch Stimmfarbe und Gesangsart sehr stark an den „Godfather auf Soul“ erinnerten. Mit zunehmendem Alter nähert er sich, was die beiden letzten Aspekte angeht, jedoch eher Sam Cooke. Das könnte damit zusammenhängen, dass Produzent Gabriel Roth, der bereits auf „Back to Black“ als Tontechniker die Stimme von Amy Winehouse glänzen ließ, bei „Sentimental Fool“ – diesmal ohne die langjährige Begleitband The Expressions – zu 100% auf Fields’ stimmliche Fähigkeiten gesetzt und den Gesang demnach schön nach vorne gemischt hat. Ein zeitloses „Feel good“-Soul-Album!
Fields hat häufig an Projekten einer anderen Blues- und Soullegende mitgewirkt, nämlich seiner knapp zwölf Jahre älteren Landsfrau Mavis Staples, die erst vor kurzem ein hervorragendes, von Ben Harper produziertes Album einspielte. Nun singt sie „If it be your will“ und beteiligt sich damit an „Here it is: A Tribute to Leonard Cohen», einer neuen Sammlung von Cohen-Coversongs, die nach Produktionen wie „I’m your Fan“ und „Tower of Song“, die bereits vor über 20 Jahren erschienen sind, diesmal etwas jazziger ausgefallen ist.
Produzent Larry Klein hat eine kompetente Band zusammengestellt, mit u.a. Gitarrist Bill Frisell, Saxofonist Immanuel Wilkins und Organist Larry Goldings, die mal kraftvoll-intensiv, mal melancholisch-zart die Atmosphäre der schönsten Cohen-Songs einfangen. Neben Staples nutzen die am eindrucksvollsten Peter Gabriel, Sarah McLachlan und David Gray. Und weil das alles so schön ist, wird einem schmerzlich bewusst, wie sehr einem der vor sechs Jahren verstorbene Kanadier fehlt.
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