Seit 1999 kennt man sie an der Seite von Will Gregory als die Stimme des Electropop-Duos Goldfrapp. Jetzt hat sich Alison Elizabeth Margaret Goldfrapp, kurz Alison Goldfrapp genannt, durchgerungen, es endlich mal solo zu versuchen. Dieser Schritt reifte in ihr, nachdem sie in 2021 mit dem norwegischen Duo Röyksopp an den Songs „Impossible“ und „The Night“ gearbeitet hatte, die auf dessen 2022er-Album-Trilogie „Profound Mysteries I-III“ erschienen sind. Dadurch und aufgrund der vielen Zeit zum Nachdenken während der Coronapandemie kam es, dass sich Goldfrapp ganz ihrer Vorliebe für Discopop hingeben konnte.
Das klingt entfernt wie die wohl beste Kylie Minogue Anfang der Nullerjahre, als sie Hits wie „Spinning Around“, „Your Disco Needs You“ oder „Can’t Get You Out Of My Head“ veröffentlichte. Goldfrapp schlägt auf ihrem Solodebüt „The Love Invention“ (7 Punkte) in eine ähnliche Kerbe, offenbart obendrein Einflüsse aus dem Synthiepop und House. Ihre Songs sind im direkten Vergleich zu Minogue nicht ganz so forsch und wild, eher verhalten. Sie schrieb und produzierte diese u.a. in Kooperation mit Richard X (Sugababes, Kelis) und James Greenwood.
Die gebürtige US-Musikerin und -Sängerin Nina Grollman, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Softee, lebt in Berlin und musste in der Pandemie zusätzlich zu all den offensichtlichen Belastungen noch nach fünfjähriger Beziehung eine Trennung durchmachen. Allerdings fand sie überraschend schnell eine neue Partnerin, mit der sie mittlerweile verlobt ist und die ihr den Glauben an die Liebe zurückgab. Softee erkannte dabei, wie wichtig es ist, den eigenen Instinkten zu folgen. Genau darum geht es auf ihrem zweiten Album „Natural“ (7 Punkte), das im Sommer 2021 in Berlin in Zusammenarbeit mit sweetbbyj entstanden ist. Sie sagt, sie spüre zwar immer die Angst, tanze aber wie wild durchs Leben. Das beschreibt nicht nur ihre Methode, mit dem alltäglichen Wahnsinn umzugehen, sondern auch ganz gut ihre Musik. Wie Alison Goldfrapp mag Softee Disco- und Synthiepop-Sounds, hat zudem noch ein Faible für Folk. Von „Queer Bedroom Pop“ war in diesem Zusammenhang bereits die Rede. Mal präsentiert sie schwelgerisch-melancholischen Pop wie im Albumauftakt „Floor“, mal eine moderne Synthiepop-Hymne namens „Isn’t Enough“, eine minimalistische R&B-Ballade („Grief“) oder einen beschwingten Discosong („Red Light Green Light“).
Die norwegische Künstlerin Ane Brun hat in diesem Jahr bereits zwei Alben veröffentlicht. Im März erschien zum 20-jährigen Jubiläum ihrer Karriere eine Sammlung Coversongs. Schon in ihren Anfangstagen hatte sie Songs anderer etwa auf den Straßen Barcelonas vorgetragen. Auf „Portayals“ (9 Punkte) versammelt sie nun ganz unterschiedliche Einflüsse. So hat sie „Halo“ von Beyoncé mit einem Cello-Arrangement von Linnea Olsson versehen. Ihre Einflüsse reichen aber noch weiter zurück: etwa ins Jahr 1986, als Cyndi Lauper „True Colors“ veröffentlichte, oder ins Jahr 1984, als Foreigners Ohrwurm „I Want To Know What Love Is“ herauskam, oder 1997, als Bob Dylans bereits zigfach gecoverter Evergreen „Make You Feel My Love“ das Licht der Welt erblickte. Nick Cave And The Bad Seeds („Into My Arms“) stehen bei ihr ebenso in der Gunst wie die deutschen 80s-Synthipopper Alphaville, deren „Big In Japan“ Brun in eine großartige Akustikballade verwandelt hat. Sie zeigt keine Scheu, die großen Künstler der letzten Dekaden zu covern, und hat sogar eine eigenwillige Version von Radioheads „How To Disappear Completely“ aufgenommen.
Und in diesem Monat erscheint nach „Songs 2003–2013“ aus dem Jahr 2013 ihre zweite Retrospektive „Songs 2013-2023“ (8 Punkte). Die eröffnet sie mit dem brandneuen Song „Hand In The Fire“, einer melancholischen Popballade mit Streicherbegleitung und orientalischen Einflüssen. Danach blickt Brun, die schon drei norwegische und zwei schwedische Grammys überreicht bekam, auf die vergangenen zehn Jahre zurück und zugleich voraus auf ihre Jubiläumstournee im Herbst (etwa am 20. Oktober im belgischen Borgerhout). Sie kann stolz auf das sein, was sie bereits erreicht hat. Ihre musikalische Bandbreite ist groß und sie braucht sich vor den Stars, deren Songs sie bis dato gecovert hat, nicht zu verstecken. Sie ist längst selbst ein Star.
(Kai Florian Becker)
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