Karin, die Tochter einer Freundin, war ein munteres Mädchen. Die Fünfjährige war aufgeweckt und freute sich auf die Schule. Sie konnte bereits „bis zur Zehn“ rechnen und erste Wörter lesen, ihren Namen schreiben. Eines Morgens ging sie fröhlich mit ihrer Mutter in den Kindergarten. Stunden später der Anruf: Karin klagt über Kopfschmerz und Übelkeit. Schon beim Transport ins Krankenhaus fiel sie in ein Koma, aus dem sie nicht mehr erwachen sollte. Die Diagnose der Todesursache lautete später: Aneurysma im Hirn.
Etwa zwei Prozent der Bevölkerung, so sagen es Schweizer Studien, leiden an diesen pathologischen Gefäßveränderungen. Doch die meisten Menschen wissen von der Existenz eines Aneurysmas in ihrem Körper nicht, leben ein Leben lang ohne Beschwerden. Diagnostiziert werden die Gefäßveränderungen häufig als Zufallsbefunde bei anderen Untersuchungen. So stellen die Mediziner Aneurysmen im Kopfbereich unter anderem bei bildgebenden Untersuchungen (z.B. Magnetresonanztomografie, MRT), um eventuell die Ursachen für eine sich verstärkende Sehschwäche oder aber einen Tinnitus, ein unangenehmes Ohrensausen, zu erforschen, als unerwartetes Nebenresultat fest.
Dass ein Aneurysma bei sehr jungen Menschen auftritt und reißt, ist ein eher seltenes Phänomen. Die meisten Patienten, die an einer Gefäßaussackung leiden, sind bereits fortgeschrittenen Alters. Erweiterungen der blutführenden Gefäße können dabei in allen Bereichen des Körpers vorkommen. Einhergehend mit allgemeinen degenerativen Prozessen verändert sich auch die Gefäßstruktur der Arterien im Hirn, der Hauptschlagader (Aorta) sowie der peripheren Arterien in Armen und Beinen. Fett- oder Kalkanlagerungen fördern die Veränderungen der Gefäßstruktur, um dieselbe Menge Blut transportieren zu können, erweitern sich die Arterien. Doch erst, wenn sich der Durchmesser um das Eineinhalbfache vergrößert, spricht man von einem Aneurysma. Bezeichnend ist dabei auch, dass die inneren der drei Gefäßgewebe ihre Spannung aufgeben und somit die Möglichkeit einer Aussackung eröffnen. Bildlich lässt sich dies mit einem Fahrradschlauch vergleichen, dessen Gummischichten an einer Stelle morbide geworden sind – es bildet sich eine Blase, die bei weiterer Luftzufuhr platzen kann.
Genetische Disposition möglich
Mit zunehmendem Alter sind vor allem Bluthochdruck-Patienten sowie solche, die mit ihrer Lebensweise Raubbau an der Gesundheit betreiben – Raucher, Adipöse oder auch Alkoholmissbräuchler – gefährdet, ein Aneurysma auszubilden und in der Folge lebensgefährlich zu erkranken.
Schweizer Untersuchungen zeigten, dass bei etwa zwei Prozent der Bevölkerung ein Aneurysma auftritt. Die Frage nach einer Weitervererbung konnte bislang nicht eindeutig geklärt werden. Patienten, bei denen von einem Elternteil ein Aneurysma bekannt war, waren nicht weniger anfällig als solche, die keine genetische Vorbelastung hatten. Allerdings stellten dieselben Untersuchungen fest, dass ein erhöhtes Risiko bei den Menschen vorlag, bei denen beide Elternteile von einem Aneurysma betroffen waren.
Bei dieser Patientengruppe lag ein Aneurysmarisiko von etwa acht Prozent vor. Noch ausgeprägter ist die Gefahr einer Ruptur, eines Risses der Gefäßaussackung bei dieser Menschengruppe. Sie liegt bei diesem Personenkreis bei etwa 20,6 Prozent, folgt man den Schweizer Angaben. Auch liegt die Gruppe der Hypertoniker und Raucher an der Spitze der gefährdeten Gruppe.
Familien an der Belastungsgrenze
Moderne, bildgebende Diagnoseverfahren wie MRT erleichtern heutzutage deutlich das Auffinden einer Gefäßaussackung im menschlichen Körper. Moderne Therapiemaßnahmen erhöhen dabei gleichzeitig die Heilungschancen eines von einem Aneurysma betroffenen Menschen. Periphere Aneurysmen in Armen und Beinen oder auch interzerebrale (Hirnaneurysma) können über einen Katheterzugang überbrückt (Stent) oder aber mittels Medikamentengabe verödet werden. In der Regel werden die Operationen der Gefäßchirurgie und auch der Mikroneurochirugie mit einer begleitenden Bildgebung überwacht. Während eines Eingriffes beobachten die Mediziner auf Bildschirmen das Sich-Annähern und -Schließen des Aneurysmas. Ungeachtet der modernen Methoden ist jedoch das gesundheitliche Risiko bei einer Aneurysmenruptur sehr hoch. Im Notfall wird es wichtig, ein auf entsprechende Eingriffe spezialisiertes Zentrum unmittelbar aufzusuchen.
Laut Statistiken des Nachbarlandes Deutschland werden jährlich um die 30.000 Menschen wegen eines spontanen Risses eines Aortenaneurysmas akut behandelt. Etwa 9,5 Prozent der Fälle überleben eine Ruptur oder den nachfolgenden Eingriff nicht. Nicht nur, dass die Betroffenen meist ungeahnt aus einem erfüllten und aktiven Leben gerissen werden, auch für die Familienangehörigen ist der Fall ein Schock und eine enorme psychische Belastung.
Doch die meisten Patienten sterben still und unerwartet von ihren Angehörigen, lassen sie in Trauer und oft auch Ratlosigkeit zurück. So konnte die Familie meiner Freundin den Tod der Tochter nicht verwinden. Die Ehe scheiterte und beide ehemals enge Partner gingen von nun ab getrennte Wege.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können