Die klassische fünfzehnteilige und labelübergreifende CD-Reihe „Sweet Soul Music“ (*) deckt die Entstehungsjahre der schwarzen Popmusik ab (1961-1975), führt in den weit gespannten Bereich der amerikanischen Seelenmusik ein, spiegelt die sozialkritische Geschichte jener Protestjahre, vereint alle Mega-Hits und die einflussreichsten Songs aus der faszinierenden Zeitspanne, als der Rhythm and Blues sich zur Soul Music entwickelte, wobei jede CD ein umfangreiches, detailliertes Booklet mit außergewöhnlichen Fotos und Erinnerungsstücken enthält.
Wie aus dem tiefsten Harlem
Was Arthur Conley von den Vätern ererbt, den Blues und den Gospel der schwarzen Kirchen, hat er in seine heißblütige Rhythm-and-Blues-Musik einbezogen, die trotz Vergröberung und marktgerechter Verpackung bluesnah bleibt. Denn trotz allem trägt die Tradition den Vokalisten, der mit dem stampfenden Rhythmus seines größten Hits „Sweet Soul Music“ vehement und swingend der vorliegenden Bear-Family-Reihe den Namen gegeben hat.
Auf der Suche nach den größten Soul-Knallern der Sechziger- und Siebzigerjahre ist Bear Family Records, die sich auf die Wiederveröffentlichung vergangener musikalischer Schätze spezialisiert hat, bei kleinen und großen Firmen fündig geworden, deren Material in bestmöglicher Qualität neu ersteht, wie z. B. die rhythmischen Renner aus dem Notenlabor Tamla-Motown in Detroit und die urwüchsigen Klangeruptionen des Stax-Sounds aus Memphis.
Show, Shake and Shout
Tamla, Motown und Gordy heißen die legendären, vom schwarzen Fließbandarbeiter Berry Gordy im Sommer des Jahres 1957 in Detroit gegründeten Musiklabels, die die Geschichte der modernen Popmusik zutiefst geprägt haben. Natürliche Begeisterungsfähigkeit, Auftritte mit Step und Ton und „Showmanship“ mit Überzeugungskraft erklären den durchschlagenden Erfolg der Detroiter Tamla-Motown-Seelengemeinde, die ihr Publikum wirklich am schnippenden Finger hatte.
Die starken Stimmen der dunkelhäutigen Vokalisten aus der „Motortown“ (wovon Motown eine Abkürzung ist) stricken an einer unverkennbar ins Ohr gehenden Masche, deren Wandlungsfähigkeit die Interpreten dem Sog des immer Gleichbleibenden entrückt. Sie synchronisieren „Show, Shake and Shout“ auf ihren rhythmusbeflissenen und gesangbesessenen Hits, von denen die besten auf den „Sweet Soul Music“-CDs prangen, wie z. B. „The Tracks of My Tears“ der Miracles, „Please Mr. Postman“ der Marvelettes „Do You Love Me“ der Contours, „My Guy“ von Mary Wells, „Dancing in the Street“ von Martha & the Vandellas, „Where Did Our Love Go“ der Supremes, „I Can’t Help Myself” der Four Tops, „Shot Gun“ von Jr. Walker & the All Stars, „My Girl“ der Temptations …
Als die beste Tamla-Motown-Produktion schlechthin gilt die schönste Harlem-Atmosphäre ausdünstende Klangwand von „This Old Heart of Mine“ der Soul-Ekstatiker The Isley Brothers.
Bewegender „Southern Soul“
Weniger poppig als Tamla-Motown, rau, ländlich und ungeschliffen kam in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts der „Southern Soul“ des Labels Stax aus Memphis daher. Weit war der Weg vom archaisierenden und volkskundlichen Blues über entfesselte und virtuos sich verzehrende Rhythm-and-Blues-Schnitte bis zur sturmerprobten und von Atmosphäre knisternden Soul Music aus südlichen, erdigen Gefilden.
Expressive Textaussagen entströmen beispielsweise dem allzu früh dahingegangenen Otis Redding, dem „King of Soul“, der auf der CD-Reihe „Sweet Soul Music“ mit „These Arms of Mine“, „Security“ und „I’ve Been Loving You Too Long“ gebührend vertreten ist.
Der Stax-Sound zeichnet sich durch bohrende rhythmische Figuren aus, die riffartig unermüdlich wiederholt und brodelnd vorangetrieben werden, sich dabei ständig verfestigen, sich zu einer kochenden Brühe aus zischender Lava verwandeln und smarte Modernität ausstrahlen, wobei die Gesangseinlagen zündend und hitzig über die Rillen kommen. Durch ihren wuchtigen Kraftgesang verstärken Vokalisten wie Arthur Conley („Sweet Soul Music“), Rufus Thomas („Walking the Dog“), Sam & Dave („Soul Man“) und Wilson Pickett („In the Midnight Hour“) die Bannkraft der eingängigen Melodien des Stax-Sounds, der zusätzlich auf den „Sweet Soul Music“-CDs mit den berühmten Instrumentalhits „Last Night“ der Markeys, „Green Onions“ von Booker T. & the M.G.’s und „Mercy, Mercy“ von Don Covay & the Goodtimers markant hervorsticht.
Ursprünglichkeit und Urwüchsigkeit
Auch viele kleine Labels mit bekannten Stars kommen im Rahmen der „Sweet Soul Music“-Reihe ausgiebig zum Zug. Grantige und kantige Rhythm-and-Blues-Nummern, die aus Trägheit und Trauer hochscheuchen, folgen im Wechselbad mit anheimelnden Melodien, deren Interpreten sich als liebenswerte und fingerschnippende Rattenfänger erweisen, wie die Bluesbarden Slim Harpo („Rainin’ In My Heart“), Joe Tex („Hold What You’ve Got“) und Lee Dorsey („Ride Your Pony“), die Powerdamen Etta James („Pushover“), Doris Troy („Just One Look“) und Inez Foxx („Mockingbird“) sowie die poperfahrenen Rhythm-and-Blues-Veteranen Ernie K. Doe („Mother-in-Law“), Bobby Lewis („Tossin’ and Turnin’“), Chris Kenner („I Like it Like That“), Clyde McPhatter („Lover Please“), Jackie Wilson („Higher and Higher“) …
Musiktipps
(*) Various Artists: „Sweet Soul Music – 15 CDs with Scorching Classics From 1961-1975“
(Bear Family Records, Grenzweg 1, D-27729 Holste-Oldendorf, www.bear-family.de, 15 CD digipacs with booklets between 72 and 96 pages, BCD 16867 – BCD 16875, BCD 16881 – BCD 16885, each CD 16,95 Euro, 28-31 tracks on each CD, playing time of about 80 Minutes on each CD)
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