Die Eröffnungssequenz zeigt drei Menschen am Tresen einer Bar. Die Fragen, die sich der Beobachter – also wir – unweigerlich stellt, sind dann auch vielleicht etwas offensichtlich im Off zu hören: Sind das Freunde? Ein Paar? Und falls ja – wer ist mit wem zusammen? Und wer das dritte Rad am Wagen?
Um zu erläutern, wer diese drei Menschen sind und wieso sich die drei in einer Bar spätnachts in Manhattan zusammenfinden, holt Céline Songs Film weit aus – und beginnt mit der Kindheit seiner Hauptfigur Na-young, deren Eltern – ein Filmregisseur und eine Künstlerin – sich entscheiden, nach Nordamerika auszuwandern.
Weil die Mutter ihrer Tochter noch ein paar schöne Erinnerungen aus Korea schenken möchte, arrangiert sie ein Date für die 12-jährige mit ihrem Klassenkameraden Hae-sung, auf den sie als ambitionierte Klassenerste, auch wenn (oder gerade weil) er sie vor kurzem in einer Schularbeit übertrumpft hat, steht. Als dieser sie fragt, wieso sie nach Nordamerika auswandert, antwortet die ehrgeizige Na-young, in Korea wären die Chancen auf einen Literaturnobelpreis zu gering.
Zwölf Jahre verstreichen, Young Na heißt nun Nora, wird von Greta Lee gespielt und ist dabei, sich einen Namen als Theaterschriftstellerin zu machen, als sie durch Zufall, während sie auf Facebook nach alten Bekanntschaften sucht – wie wir das damals, als Facebook neu und spannend war, fast alle gemacht haben –, auf der Profilseite ihres Vaters sieht, dass Hae-sung (Teo Yoo) sie verzweifelt sucht.
Zwischen den beiden beginnt ein intensiver Austausch via Skype, den Nora abrupt beendet, weil beide sich eh nicht in absehbarer Zeit sehen können und sie Hae-sung erklärt, wegen des intensiven Kontakts zu ihm gelänge es ihr nicht, sich in New York eine Existenz aufzubauen, da sie ständig nur Flüge nach Seoul auf dem Internet suche. Die Schriftstellerin verspricht jedoch, die Funkstille sei nur temporär. Das bis zum nächsten Treffen erneut zwölf Jahre verstreichen, hat weniger mit Noras schlechtem Willen zu tun als damit, dass das Leben eben unvorhersehbar ist.
Songs Film, der seine Figuren in drei Lebensabschnitten in einem Abstand von jeweils zwölf Jahren zeigt, stellt wesentliche Fragen darüber, wie sehr der Zufall bestimmt, mit wem wir unser Leben verbringen. Als Nora in einer Schreibresidenz den jüdischen Autor Arthur (John Magaro) kennenlernt, weiht sie ihn in das koreanische Konzept des „in-yun“ ein – eine Mischung von Karma und Schicksal, laut dem Menschen sich in diesem, aber auch in vorigen Leben immer wieder streifen, begegnen und dieses vielschichtige Aufeinandertreffen zu tiefgründigen Vernetzungen führen kann.
Zwölf Jahre später sind beide verheiratet, Hae-sung hat sich von seiner Freundin getrennt und kommt nach New York – zum Entspannen, behauptet er, um Nora wiederzusehen, meint Arthur, der seine (nachvollziehbare) Eifersucht und Sorge um seine Beziehung kaum versteckt. So kommt es 24 Jahre nach dem letzten Offline-Treffen zwischen Hae-sung und Nora endlich zum Wiedersehen.
„Past Lives“ hätte sehr leicht in den Kitsch einer Rom-Com abdriften können. Doch dank der überzeugenden Charakterzeichnung, einem guten Drehbuch (in der New Yorker Bar meint Hae-sung: „Ich hätte nicht gedacht, dass es so wehtun würde, deinen Mann zu mögen“) und einer Inszenierung, die jede Spur von Pathos durch Humor und Ehrlichkeit im Keim erstickt, ist der bisherige Kritikerliebling des Wettbewerbs ein ergreifender, wenn auch erzählerisch sehr konventioneller Film.
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