Über 50 Jahre nach seiner Uraufführung hat Becketts Godot immer noch äußerst viel über die Nichtigkeit menschlichen Schicksals zu sagen: Die Geschichte von Vladimir (Jean-Paul Maes) und Estragon (Marc Baum), zweier Freunde, die jeden Tag damit verbringen, umsonst auf Godot zu warten und diese Wartezeit mit absurden Gesprächsfetzen, halbgaren Suizidgedanken und absurden Begegnungen mit Pozzo (Neven Nöthig) und dessen humanem Sklaven Lucky (Frédérique Colling) füllen, ist gerade deswegen so zeitlos, weil es Beckett gelang, die depressive Nachkriegsstimmung in einen metaphysischen Nihilismus einzubetten, der so radikal ist, dass er immer wieder in unglaublich lustige Momente mündet. Selten war der Tonfall eines Theaterstücks so klamaukig und verzweifelt zugleich, selten hatte man den Eindruck, ein Stück wäre gleichermaßen so inhaltlos wie Flauberts Traum von einem „livre sur rien“ (regelmäßig kommentiert Estragon gelangweilt, wie wenig hier passiert) und so tiefgründig wie eine metaphysische Abhandlung.
Für die erneute Zusammenarbeit von Claire Wagener (Regie) und Jacques Schiltz (Dramaturgie), die sich bereits für den ersten Agitateurs-Zyklus im Théâtre du Centaure oder die ILL-Produktion „Amadeus“ zusammentaten, wurden Vladimir und Estragon von der staubigen Landstraße des Originalstücks in eine ebenso verwüstete Büroinsel versetzt.
Mit Retrodesign und minimalistischem, hauptsächlich aus einem Topfbaum bestehendem Dekor, auf beiden Seiten von rot-weißem Tatortband abgegrenzt, deutet das Bühnenbild an, was die Kostüme bestätigen: In übergroßem Sakko sind Vladimir und Estragon nun Opfer des neoliberalen Arbeitscredos – denn nicht nur langweilen sich Büroangestellte eben genauso viel (wenn auch anders) wie Becketts Landstreicher unter einem entlaubten Baum, die kapitalistische Arbeitswelt ist vor allem ähnlich brutal und gewalttätig wie das Leben unter freiem Himmel.
Denke, du Schwein!
So wirkt Wageners Godot weniger politisch als metaphysisch – der Nachkriegskontext von 1952 wurde hier nicht durch plakative Ukraine-Krieg-Parallelen angepasst –, was es der Regisseurin erlaubt, den Ton zwischen pechschwarzem Humor und philosophischem Pessimismus auszubalancieren: Dass man in einem Stück, dessen Posterität durch Sätze wie „Sie gebären rittlings über dem Grab“ oder „Wir alle werden verrückt geboren. Einige bleiben es“ gewährleistet wurde, so viel und oft lacht, sagt eigentlich bereits genug über die Qualität des Stücks und seiner Inszenierung.
Klar ist Godot aufgrund des auch heute noch überwältigenden Textes ein Selbstläufer, nichtsdestotrotz gelingt es Wagener und Schiltz an vielen Stellen, Becketts verbale Einfälle mit ausgezeichneten, von einem überzeugenden Ensemble getragenen Regieeinfällen zu ergänzen: Auch wenn man sich vielleicht deutlichere Verweise auf die Arbeitswelt gewünscht hätte, gibt es immer wieder Momente, in denen die Inszenierung zu überraschen vermag, indem anthologische Szenen in ein anderes Licht gerückt werden – allen voran erwähnt sei Luckys Monolog, hier von Colling grandios in einer mehrsprachigen Variation vorgetragen, während Baum und Maes sich im Hintergrund wie in Zeitlupe über die Bühne quälen.
Streckenweise wirkt es allerdings, als hätte der Respekt vor dem Originaltext Wagener und Schiltz dazu verleitet, rigoroser oder geradliniger als sonst vorzugehen – ganz so, als hätte man befürchtet, dass die oftmals ulkigen Einfälle des Duos in Kombination mit Becketts Gespür für das Absurde ein bisschen too much gewesen wären. Vielleicht liegt das aber auch am KulTourhaus Huncherange, dessen Mehrzweckraum eher an einen Konferenzsaal als an ein Theater erinnert – aber auch diese Einöde hätte man vielleicht noch etwas einfallsreicher bespielen können.
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