Irgendwie will man sie gar nicht so schlimm finden, Rebecca Millers Berlinale-Eröffnung. Weil das Casting überzeugt, erstmals: So gut war Marisa Tomei (zumindest in ihrer ersten Szene) nicht mehr seit „The Wrestler“ – und Peter Dinklage als neurotischer Komponist ist auch ziemlich toll.
Weil „She Came to Me“ ein bisschen wie ein Abenteuerfilm für Jugendliche daherkommt: Die bunt zusammengewürfelte Menschengruppe, die gegen alle Konventionen und Hass einer Utopie nachläuft, vermittelt irgendwann das Gefühl einer großen Patchworkgemeinschaft – als Gegenpol zu einer zynischen Welt funktioniert sogar das kitschige Finale irgendwie.
Und weil der Film Spuren einer besseren Version seiner selbst enthält – eine Version, die immer dann durchscheint, wenn eine Szene oder ein One-Liner besonders gut sitzen und für Lacher sorgen.
Das Problem des Films liegt weniger am Kitsch, an den arg überzeichneten Figuren oder an der Story, die oftmals mit den Haaren herbeigezogen wirkt: Was Miller nicht auf die Reihe kriegt, ist die Dosierung ihrer filmischen Zutaten.
Aber erst mal zur Story: Steven Lauddem (Peter Dinklage) ist ein erfolgreicher, begnadeter und natürlich überaus neurotischer Opernkomponist. Seine letzte Depression hat er überstanden, indem er seine Psychoanalytikerin Patricia (Anne Hathaway) geheiratet hat.
Sein Alltag zwischen der vom Putzfimmel besessenen Patricia und deren pubertierenden Weltverbesserungssohn Julian (Evan Ellison) ist wenig inspirierend, weswegen er sich eines Tages auf Ratschlag seiner Gattin, die seinen Wunsch nach Sex mit „Ach weißt du, diese Donnerstage“ abschlägt, auf die Suche nach Inspiration in der Außenwelt macht, in der Hoffnung, so seine Schreibblockade zu lösen.
Dort trifft er die Schleppbootkapitänin Katrina (Marisa Tomei), die sich selbst als süchtig nach Romanzen definiert, schon mal wegen Stalkens im Knast saß und in der Absteige, in der sie auf Steven und dessen französische Bulldogge Levi trifft, regelmäßig Männer abschleppt – in die sie sich natürlich jedes Mal schwer verliebt. Ein surrealer Besuch auf ihrem Kahn später – und Stevens nächste Oper schreibt sich wie von selbst.
Schlupflöcher der Ungerechtigkeit
Gleichzeitig erzählt Miller die Geschichte von Sohn Julian, der sich in Tereza (Harlow Jane) verliebt. Deren Mutter Magdalena (Joanna Kullig) ist aber ausgerechnet Patricias Putzdame. Doch damit nicht genug: Terezas Stiefvater ist nicht nur ein Rassist, der wie Ben Horn aus „Twin Peaks“ eine Vorliebe für die fiktionale Neuschreibung amerikanischer Geschichte mitsamt Kostümpartys hat – als Gerichtsstenograf kennt er das amerikanische Gesetz und seine möglichen Schlupflöcher auf den Fingerspitzen und will so die Beziehung zwischen seiner minderjährigen Stieftochter und dem 18-jährigen Julian mittels einer Klage sabotieren.
Millers Komödie will neurotisch und durchgeknallt sein wie ein Woody-Allen-Film – Dinklage wirkt fast wie einer dieser Allen-Alter-Egos –, ihr fehlt aber leider das Gespür für einen wohldosierten Ausgleich zwischen durchgeknallt flippiger Komödie und glaubwürdigem Gesellschaftsporträt.
So sind einfach alle Erwachsenen total plemplem, Anne Hathaways Psychoanalytikerin natürlich am meisten, deren Figur letztlich, trotz einer ziemlich interessanten Striptease-Szene mitsamt Rabbiner-Anekdote, wie man sie von den Coen-Brüdern aus „A Serious Man“ kennt, platt, klischeehaft und überzeichnet ist.
Dasselbe gilt streckenweise für Marisa Tomeis Katrina – ihre überzeugende Leistung ändert nichts daran, dass ihre Figur nach einem ersten überzeugenden Auftritt arg karikaturhaft wirkt.
Schade ist auch, dass an sich ernste Themen irgendwann nur noch nebensächlich aufgegriffen oder ins Lächerliche gezogen werden: Dass Rassisten wie Stiefvater Trey lachhaft sind, ist klar, nichtsdestotrotz ist ihr Schädlichkeitspotenzial erschreckend hoch. Die ernstzunehmende Gefahr, die in der Mitte des Films plötzlich von ihm ausgeht, verbleicht zugunsten eines Happy-Endes, bei dem man sich fragt, wie sicher sich Miller selbst ist, ob dieses nun ernst oder ironisch gemeint ist.
So bestätigt „She Came to Me“ leider, was (der letztjährige „Peter von Kant“ von François Ozon mal ausgenommen, der jedoch zugleich Eröffnungs- und Wettbewerbsfilm war) 2020 bereits für den seichten „My Salinger Year“ galt: Die Berlinale verschießt ihr Pulver sehr selten gleich zu Beginn. Toll daran ist: So kann man sich umso mehr auf das, was noch kommt, freuen. Schade ist das nur für alle, die sich auf eine starke Ouvertüre gefreut hatten.
Berlinale-Rating: 2/5
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