Tageblatt: Kelvin, Sheldon, Sie sind gebürtige Südafrikaner, leben aber seit einigen Jahren gemeinsam in Kempten (D). Wie funktioniert das Zusammenleben im Zusammenhang mit der Konkurrenz auf der Strecke?
Kelvin van der Linde: Ja, wir wohnen seit nunmehr vier Jahren zusammen in Deutschland. Dies ist schon praktisch, da wir somit die Autofahrten zu den Rennen unter uns aufteilen können, was dann natürlich für uns beide weniger anstrengend ist. Wenn wir auf der Rennstrecke sind, ist es ganz einfach ein Privileg, dass wir beide unseren Traum zusammenleben können. Das Ganze geschieht in einer Spitzenserie (DTM), für zwei verschiedene Hersteller (Audi und BMW), die uns die Möglichkeit bieten, wenn alles gut läuft, immer in den Top fünf zu landen.
Im August letzten Jahres erzielten Sie beim DTM-Rennen am Nürburgring Ihren ersten Doppelsieg (Sheldon 1., Kelvin 2.). Das war sicherlich sehr emotional?
Sheldon van der Linde: Das war zweifelsohne das Highlight des letzten Jahres. Die Nürburgring-Rennen der vergangenen Jahre waren für uns immer sehr speziell. Ob das nun das 24-Stunden-Rennen war, das Kelvin ja schon zweimal gewonnen hat und wo wir beide auf dem Podium standen, oder der DTM-Doppelsieg. Einen solchen Doppelsieg zu erreichen, ist sicher nicht einfach, da muss an einem Tag einfach alles perfekt zusammenpassen.
Sie fahren beide sowohl in der DTM kurze Sprint-Rennen allein im Auto als auch Endurance-Rennen zusammen mit Teamkollegen (24h Nürburgring, 24h Spa usw.). Bevorzugt Sie eine der beiden Rennarten?
K.v.d.L.: Ich fahre am liebsten alleine, da habe ich meinen eigenen Sitz im Auto und kann das Auto genauso abstimmen, wie ich es haben möchte. Beide Rennarten haben aber ihre Vor- und Nachteile. Bei den Endurance-Rennen ist die Stimmung mit den Teamkollegen ganz cool und es lastet vielleicht etwas weniger Druck auf den eigenen Schultern. Mit seinen Teamkollegen pusht man zusammen für ein Ziel und das macht viel Spaß, sowohl auf als auch neben der Strecke. Am meisten gefällt es mir aber, in der DTM individuell mit meinem Renningenieur zu arbeiten.
S.v.d.L.: Für mich gilt in etwa das Gleiche. Ich fahre jetzt seit einigen Jahren DTM. Bei solchen Sprint-Rennen ist alles auf dich fokussiert und dies gibt dir einfach ein besseres Gefühl, da du zum Schluss weißt, dass du deinen Job gut gemacht hast.
Sie hatten beide dieses Jahr erste Erfahrungen mit der Formel E. Kelvin, Sie haben einige Rennen bei Abt-Cupra, als Ersatz für den verletzten Robin Frijns, absolviert. Sheldon, Sie hatten zwei Tests mit Jaguar. Was können Sie hierzu sagen?
S.v.d.L.: Für mich war es mega, das neue Formel-E-Generation-3-Auto zu fahren, nachdem ich 2021 schon einmal das BMW-Generation-2-Auto testen konnte. Ich bin dieses Jahr neben der DTM schon Prototypen und GT3 gefahren, aber das Formel-E-Auto ist etwas komplett anderes: die Sitzposition, das Windgeräusch … Es ist einfach ein komplett anderes Fahren. Es ist eine große Herausforderung und es macht sehr viel Spaß. Vielleicht ist dies etwas für die Zukunft – mal sehen.
K.v.d.L.: Es ist auf jeden Fall eine ganz andere Herangehensweise als bei anderen Rennen. Man ist auf ganz andere Sachen fokussiert. Man muss viel mehr mit „Naturgefühl“ fahren, anstatt nur intensiv in die Daten reinzugehen, denn an einem Formel-E-Wochenende gibt es nur sehr wenig Fahrzeit. Ich hoffe, dass es in Zukunft für mich eine Möglichkeit geben wird, in der Formel E zu fahren.
Sheldon, Sie sind in der DTM sowohl Class 1 als auch GT3 gefahren: Was haben Sie bevorzugt?
S.v.d.L.: Diese Antwort kennt wohl jeder (grinst). Für mich war das Class-1-Auto das beste Auto, das ich je gefahren bin, einfach weil der Abtrieb extrem groß und die Leistung phänomenal war. In der Class 1 ohne ABS und ESP zu fahren, war wirklich eine Challenge für die Fahrer – da kann man wirklich einen großen Unterschied machen. Die Class-1-Zeit war für mich einfach das Beste.
BMW hat ein LMDh-Hypercar, das Sie auch schon gefahren sind. Wie hat Ihnen das gefallen?
S.v.d.L.: Das Auto fühlt sich an sich sehr ähnlich wie ein Class-1-DTM-Auto an. Und diese Erfahrung hat mir beim Fahren mit dem LMDh auch geholfen. Am Anfang war es schon ein bisschen schwierig, aber unser LMDh-Auto geht von Test zu Test immer besser. Inzwischen haben wir auch schon einen Sieg und einige Podiumsplätze in der IMSA in Amerika erzielt. Beim Petit Le Mans in Road Atlanta im Oktober werde ich als Nächstes wieder im Auto sitzen – das wird ein Highlight.
Sheldon, 2023 starten Sie für nicht weniger als vier verschiedene BMW-Teams: DTM mit Schubert, 24h Ring mit Rowe, GTWC mit WRT und IMSA mit RLL. Muss man sich da immer wieder auf die neuen Begebenheiten einstellen?
S.v.d.L.: Ja, das stimmt wirklich: vier Teams. Es ist natürlich eine Herausforderung. Die meiste Zeit bin ich mit Schubert bei der DTM. Bei jedem Team ist der Arbeitsstil verschieden und so muss ich mich, zum Beispiel mit der Verständigung, jeweils etwas anpassen. Es ist nicht immer einfach, aber es macht Spaß. Als Fahrer lernst du so viel, da du von jedem Team etwas mitnimmst, und somit wirst du durch die gesammelte Erfahrung immer stärker.
Sie liegen momentan auf Platz vier der DTM-Gesamtwertung. Wie sehen Sie Ihre Chancen, den DTM-Titel zu verteidigen?
S.v.d.L.: Mal schauen. Der Auftakt in Oschersleben war nicht so gut, aber danach hatten wir drei Podiumsplatzierungen. Die Saison ist noch lang, es kann also noch viel passieren.
Kelvin, Sie sind ein treuer Audi-R8-LMS-Pilot und haben all Ihre Erfolge mit diesem Fabrikat erzielt. Viele behaupten dass dieses Auto nicht einfach zu fahren ist – stimmt das?
K.v.d.L.: Ja, der R8 ist schon schwierig zu fahren, da man das gesamte Gewicht auf dem Heck hat, ähnlich wie beim Porsche 911. Dies macht das Auto in schnellen Kurven viel unruhiger, im Vergleich zu einem Auto mit Frontmotor wie der BMW oder der Mercedes. Jedes Auto hat aber seine Vor- und Nachteile und ich habe mich inzwischen ganz gut an den R8 gewöhnt.
Bei den 24 h Ring sind sie den Abt-Lambo Hurakan gefahren. Wie vergleicht sich dieser mit dem DTM Abt-R8 – ist nicht vieles identisch?
K.v.d.L.: Auf jeden Fall, es gibt aber schon verschiedene Konzepte vom deutschen zum italienischen Hersteller. Der Lambo hat ohne Zweifel viel Potenzial. Die Herangehensweise bei den Italienern ist etwas anders, da gibt es diese Leidenschaft. Sie brennen auf einen Sieg in einem 24-Stunden-Rennen und geben einfach alles. Audi hat in der Vergangenheit so viel erreicht, sodass sie dies vielleicht in Zukunft nicht mehr unbedingt müssen und das merkt man auch (Audi zieht sich Ende 2023 ganz aus dem Kundensport zurück, um sich nur noch auf das Formel-1-Projekt 2026 zu konzentrieren; Anm. d. Red.).
Kelvin, Sie haben zweimal die ADAC GT Masters und zweimal die 24h Nürburgring gewonnen – welche anderen 24h-Rennen stehen noch ganz oben auf Ihrer Sieges-Wunschliste und welche anderen Serien, außer GT3, möchten Sie noch unbedingt bestreiten?
K.v.d.L.: Ich möchte unbedingt noch die 24h Spa gewinnen und dann auch noch den GT-Weltcup in Macao. Bathurst zu gewinnen, wäre auch schön. Dort waren wir oft schon vorne mit dabei, aber ganz hat es bislang noch nie geklappt. Ganz klar würde ich auch gerne DTM-Champion werden. Gewinnt man ein großes 24-Stunden-Rennen, dann fühlt sich das fast so an, wie wenn man eine Meisterschaft gewonnen hat.
Bei der Formel E waren sie ein paar Mal beim offiziellen Formula-E-Kommentatoren-Team dabei. Wird man Sie jetzt öfter in solchen Medien-Funktionen sehen, wenn Sie nicht gerade selbst fahren?
K.v.d.L.: Das Kommentieren hat wohl viel Spaß gemacht, aber ich will noch eine ganz lange Rennfahrerkarriere vor mir haben. Danach können wir eventuell schauen, ob es mit dem Fernsehen weitergeht.
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