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GesundheitWie viel Vitamine braucht der Mensch?

Gesundheit / Wie viel Vitamine braucht der Mensch?
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Vitamine halten unseren Körper gesund, so lernen wir es bereits in der Schule. Vitamin C stärkt die Abwehr gegen Erkältungen, Vitamin B das Nervensystem. Vitamin D sorgt für stabile Knochen und eine schöne Haut. Dies alles und mehr gibt es in Apotheken, Drogerien und Supermärkten als Nahrungszusatzmittel. Doch brauchen wir diese auch? Das wollte unsere Korrespondentin Elke Bunge vom Ernährungswissenschaftler Torsten Bohn wissen.

Die Winterzeit naht und damit verringert sich in unseren Breiten das Angebot in den Obst- und Gemüseregalen deutlich. Zwar gibt es viele Importe aus fernen Ländern, doch einheimische reife Salate oder Früchte werden rar. Die Drogerie- und Lebensmittelindustrie ist längst auf diese Situation eingegangen und bietet eine Vielzahl von Vitaminpräparaten und Nahrungsergänzungsmitteln an. Doch können diese unseren Bedarf an gesunder Ernährung decken? Und gibt es vielleicht unerwünschte Nebenfolgen? Dr. Torsten Bohn, Ernährungswissenschaftler, Lebensmittelchemiker und Leiter des Departments „Nutrition and Health Research“ am Luxembourg Institute of Health (LIH) gibt unseren Lesern in einem Gespräch Auskunft.

Tageblatt: Sind bei einer ausgewogenen Ernährung Vitaminpräparate als Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?

Torsten Bohn: Bei einer ausgewogenen Ernährung benötigt der Mensch in der Regel keinerlei Supplemente, um bei voller Gesundheit zu sein. Der Vitaminbedarf wird über die Nahrung hinreichend abgedeckt. Ein Zuviel kann sogar schädlich sein. Es gibt allerdings spezielle Erkrankungen oder Situationen, die mit einem erhöhten Bedarf einhergehen können, etwa wenn eine entzündliche Darmerkrankung vorliegt oder Verdauungsenzyme fehlen – aber diese Personen werden ja normalerweise medizinisch betreut und wissen über mögliche Mängel Bescheid.

Der rechtliche Name „Nahrungsergänzungsmittel“ für Vitaminsupplemente deutet auch schon an, dass diese die normale Ernährung im besten Falle ergänzen können, aber nicht die Norm sein sollten.

Welche Bevölkerungsgruppen sollten diese Präparate zu sich nehmen?

Einige Gruppen der Bevölkerung können in der Tat von ausgewählten Vitaminpräparaten profitieren. Hierzu gehören: Vegetarier und insbesondere Veganer, letztere sollten auf jeden Fall Vitamin B12 ergänzen – hierbei kann auch kaum überdosiert werden. Schwangere Frauen oder solche, die es werden möchten, sollten Folsäure (Vitamin B9) einnehmen, um beim Neugeboren einer sogenannten „spina bifida“ (etwa: offener Rücken) vorzubeugen.

Auf Reisen und bei unausgeglichener Ernährung ist womöglich eine Multivitaminkapsel, die oft auch mit Mineralstoffen kombiniert sein kann, keine schlechte Idee, in diesem Falle ist eine zu hohe Dosierung auch unwahrscheinlicher, da eine breite Mischung an verschiedenen Mikronährstoffen vorliegt.

Zurzeit wird auch diskutiert, ob in unseren geografischen Breiten eine Vitamin-D-Supplementierung sinnvoll sein kann. Viele Personen haben im Winter niedrige Vitamin-D-Serumspiegel, da es über normale Ernährung kaum möglich ist, genug aufzunehmen. Der Hauptteil unseres Vitamin-D-Speichers wird im Sommer unter der Haut gebildet.

Kann ein Zuviel an diesen Präparaten auch schädlich sein? Ich denke da vor allem an lipophile (fettlösliche) Vitamine, die der Körper im Fettgewebe und auch in der Leber speichert.

Auf jeden Fall. Bei allem gilt eine ausgewogene Mischung. Alle Vitamine haben eine empfohlene Zufuhrmenge. In Europa empfiehlt die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) sogenannte PRIs – „population reference intakes“. Dies ist die Menge eines Stoffes, der den Bedarf von über 97 Prozent einer Bevölkerungsgruppe (unterteilt nach Alter und Geschlecht) abdeckt. Außerdem haben die meisten Vitamine auch einen sogenannten „UL“ – tolerable upper intake level. Dies ist die Obergrenze einer Menge, die ein Leben lang eingenommen werden kann, ohne dass negative Effekte zu befürchten sind. Jede Menge darüber hinaus steigert das Risiko von ungewünschten Nebeneffekten. In der Tat trifft dies insbesondere für fettlösliche Vitamine (A, D, E, K) zu, da der Körper diese schlechter ausscheiden kann. Es sind schon arktische Forscher durch den Verzehr von Eisbärleber gestorben, aufgrund einer Überdosis an Vitamin A. Zu viel Vitamin D kann zu Kalzifizierung von Weichteilen und auch zu Nierensteinen führen. Aber auch ein Überdosieren wasserlöslicher Vitamine, etwa von B6, kann zum Beispiel Probleme neurologischer Art nach sich führen.

Die Wintermonate stehen bevor, die Sonnenscheinstunden nehmen rapide ab. Sollten Menschen, die durch ihre Arbeit oder eine Erkrankung nicht an das natürliche Sonnenlicht kommen, ein Vitamin-D-Präparat einnehmen? Und wenn ja, in welcher Dosierung?

Dies wird in der Tat „heiß“ diskutiert. Von der Sonne bekommen wir in unseren Breiten nur zwischen etwa April bis September genug intensives Licht, um Vitamin D in ausreichender Menge unter der Haut zu bilden. Zwischen Oktober und April würde selbst bei langem Aufenthalt im Freien und bei Sonnenschein nicht genug Vitamin D gebildet. Vitamin D ist wichtig für den Calciumhaushalt und somit für den Knochenaufbau. Das Problem ist, dass selbst jemand, der viel Fisch – neben Fleisch eine Hauptquelle von Vitamin D – und auch sonst ausgewogen isst, nicht genug Vitamin D zu sich nehmen kann. Entsprechend gehen die Vitamin-D-Vorräte im Winter zurück. In vielen Studien wurde das Vitamin mit zahlreichen Erkrankungen in Zusammenhang gebracht – sogar mit einer höheren Anfälligkeit für Covid-19. Auch Osteoporose, eine generell höhere Infektanfälligkeit sowie Depressionen, Demenz und Diabetes werden genannt. Oft ist allerdings nicht ganz klar, ob die Krankheit zu Vitaminmangel führt, oder Vitaminmangel zur Krankheit. Gegen die regelmäßige Einnahme von kleineren Mengen an Vitamin D im Winter, also in Mengen etwa bis 25 µg pro Tag (die empfohlene Menge ist 15 µg), ist vermutlich nichts einzuwenden – die empfohlene Höchstmenge liegt bei 100 µg pro Tag für einen Erwachsenen, also einem Zehntel von einem mg.

Unterscheidet der Körper zwischen natürlichen und synthetisch hergestellten Vitaminen?

Ganz klar – nein. Die synthetischen Vitamine sind naturidentisch. Sofern bei der Produktion keine Verunreinigungen anfallen (die aber auch bei der Extraktion von natürlich-gewonnenen Vitaminen auftreten können) gibt es keine Unterschiede. Es gibt aber Unterschiede in der Darreichungsform. So werden fettlösliche Vitamine besser von einer Ölkapsel aufgenommen als in Pulverform. Die sogenannte „Bioverfügbarkeit“ ist dann wesentlich besser.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Supplemente in der Regel Nahrungsergänzungsmittel sind. Dabei kann die auf der Verpackung angegebene Menge durchaus davon abweichen, was wirklich in einer bestimmten Kapsel enthalten ist. Denn hier gibt es keine Überprüfungen wie bei Arzneimitteln.

In Vitaminpräparaten sind häufig Zusatzstoffe, wie Farbstoffe, Süßstoffe, Antioxidantien, Aromen, Konservierungsmittel enthalten. Können diese Zusatzstoffe dem Körper auch eher schaden, als ihm zu helfen?

Die zugelassenen Stoffe sind EU-weit geregelt, und die erlaubten Stoffe werden relativ streng von unabhängigen wissenschaftlichen Gremien wie durch die EFSA beurteilt. Aber regelmäßige Kontrollen wie bei Arzneistoffen sind nicht die Norm. Es schleichen sich auch öfter Verunreinigungen ein, die nicht vorhanden sein sollten. So können produktionsbedingt Schwermetalle enthalten sein, die möglicherweise krebsfördernd sind. Einige Zusatzstoffe werden mit Allergien oder Unverträglichkeitsreaktionen in Verbindung gebracht. In der Regel gelten die zugelassenen Stoffe als sicher – es werden ja auch verhältnismäßig kleine Mengen über Nahrungsergänzungsmittel konsumiert.

Worauf sollte man achten, wenn man (dennoch) Vitaminpräparate zu sich nehmen möchte/muss?

Am geeignetsten sind vielleicht noch Multivitaminpräparate – hier ist die Gefahr der Überdosierung eher gering. Außerdem – wer sich eher ungünstig ernährt, hat wohl eher einen relativen Mangel an mehreren Vitaminen, nicht nur von einem. Auf der Packung werden ja die Prozente der Tagesdosis pro Kapsel – oder Brausetablette etc. – angegeben. Und man sollte diese Präparate nicht „blind“ einwerfen, sondern sich an die Vorschläge zur Einnahme halten. Dann gibt es wie gesagt die Ausnahmen für Veganer (B12) und für schwangere Frauen (Folsäure). Wer nicht sicher ist, ob er unter Vitaminmangel leidet, kann einen Bluttest machen lassen.

Und nochmals – ein Mehr über die empfohlene Menge hilft in der Regel nicht – weder hilft ein Mehr an Vitamin C gegen Infektionen noch andere Vitamine gegen Erkrankungen, wenn der Körper bereits ausreichend gut versorgt ist. Bestenfalls werden die Vitamine ausgeschieden, schlimmstenfalls treten Nebeneffekte auf. Es gilt immer noch, was Paracelsus sagte – es ist die Dosis, die das Gift macht.