Die Wahlen im Oktober versprechen vor allem eins: Spannung pur. Laut jüngsten Polit-Umfragen liefern sich DP, LSAP und CSV derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Gunst der Wähler. Wie aber gehen die Parteien die Wahl am 8. Oktober an – und auf welche Pferde setzen die Parteileitungen im Rennen um die 60 Chamber-Sitze? Nachdem alle Parteien ihre Kandidatenlisten vorgestellt haben, hat das Tageblatt sich diese etwas genauer angesehen.
Durchaus interessant ist, dass zahlreiche Gesundheitsberufler auf den Listen auftauchen. Mit Romain Nati, Jean-Marc Cloos, Jean-Claude Schmit und Gérard Schockmel finden sich nicht weniger als vier hochrangige Gesundheitsberufler auf den Listen der Parteien wieder. Der HRS-Infektiologe Gérard Schockmel hatte bereits im Mai des vergangenen Jahres angekündigt, sich politisch engagieren zu wollen. Wo seine politische Heimat liege, konnte er zu dem Zeitpunkt noch nicht sagen. Nun steht fest, dass die DP den Überzeugungen des Infektiologen wohl am ehesten entspricht – oder aus Sicht des Mediziners die besten Erfolgsaussichten bei der Wahl bietet. Schockmel war ein für die Medien beliebter Ansprechpartner während der Corona-Pandemie. Er hatte die Politik von Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) während der Pandemie mehrfach kritisiert – weswegen vieles darauf hindeutete, dass er sein politisches Engagement nicht bei den Sozialisten einbringen würde. Mit dem Gutachten zur Impfpflicht stützte die Expertengruppe, der auch Schockmel angehörte, jedoch die anfangs als zögerlich kritisierte Haltung der LSAP-Gesundheitsministerin.
Ein zweiter prominenter Kopf der sanitären Krise findet sich in Jean-Claude Schmit auf der LSAP-Liste. Nachdem Gesundheitsministerin und Spitzenkandidatin Paulette Lenert sowie Santé-Direktor Jean-Claude Schmit während der Pandemie zusammengearbeitet haben, sei Parteikollegen zufolge auch nicht wirklich viel Überzeugungsarbeit nötig gewesen, um den Santé-Direktor von einer Kandidatur auf der LSAP-Liste zu überzeugen. Schmit befindet sich auf der Zentrum-Liste der LSAP zumindest in guter Gesellschaft, tritt doch auch der Direktor des „Centre Hospitalier du Luxembourg“ (CHL), Romain Nati, dem Ambitionen für das Amt des Gesundheitsministers nachgesagt werden, am 8. Oktober für die Sozialisten an. Das Phänomen beschränkt sich übrigens nicht nur auf LSAP und DP. So tritt bei den Grünen mit Jean-Marc Cloos der medizinische Direktor des „Centre Hospitalier du Nord“ (CHdN) an. Sieben Gesundheitsberufler finden sich auf der Liste der LSAP wieder, deren acht stehen sogar bei den Grünen zur Wahl. Bei der CSV finden sich fünf Gesundheitsberufler auf der Liste, bei der DP immerhin noch vier Kandidaten.
Gesundheitsberufler bei den vier großen Parteien
LSAP: Claude Besenius, Direktionsbeauftragte Therapiezentrum Useldingen; Tina Koch, Krankenschwester; Jean-Claude Schmit, Santé-Direktor; Romain Nati, CHL-Direktor; Claude Thill, Anästhesiepfleger; Zenia Charlé, Physiotherapeutin; Carlo Feiereisen, Anästhesiepfleger
déi gréng: Jean-Marc Cloos, CHdN-Direktor; Marc Hansen, Apotheker; Katja Battin, Hebamme; Michel Clees, Gynäkologe; Fabienne Erpelding, Krankenschwester; Gaby Damjanovic, Psychologin; Christiane Bach-Thommes, Chirurgie-Assistentin i.R.; Carole Zeimetz, Physiotherapeutin
DP: Gérard Schockmel, Infektiologe und Pandemie-Experte; Edy Mertens, Arzt; Sheila Schmit, freiberufliche Hebamme; Stéphanie Obertin, Ärztin
CSV: Emilie Constantini, Augenärztin; Alain de Bourcy, Apotheker; Ricardo Marques, Psychologe; Raphael Schmitz, Ergotherapeut; Nadine Schmid, Chirurgin
Umbruch oder doch alles gleich?
Bei der CSV wurde nach den Chamberwahlen 2018 und erneut nach der Freundeskreis-Affäre ein großer Umbruch versprochen. Mit der Ernennung des Spitzenkandidaten Luc Frieden musste sich die Partei bereits eingestehen, dass innerhalb ihrer Reihen kein Politiker das Format eines nationalen Spitzenkandidaten hat. Einzige Überraschung auf der Liste, die keine mehr war: Der Polizeigewerkschafter Pascal Ricquier. Nachdem Ricquier anfangs noch ein politisches Engagement bei der CSV dementiert hatte, gefiel ihm der „Law and Order“-Kurs der Christsozialen doch so gut, dass er sich wohl kurzerhand anders entschloss.
Doch nicht nur beim Spitzenkandidaten, auch bei den restlichen Kandidaten scheint keine Umbruchstimmung aufzukommen. 33 der 60 CSV-Kandidaten sind bereits 2018 zur Wahl angetreten. Dass bei der Vergabe der Kandidatenplätze vielleicht doch eher die alten Reflexe bei der CSV greifen, verdeutlicht folgender Vergleich: Die CSV verzeichnet die kleinste Anzahl an „neuen“ Kandidaten auf ihren Kandidatenlisten – und als einzige Partei sogar einen „Kandidaten-Neuling“-Prozentsatz von unter 50 Prozent. 45 Prozent der CSV-Kandidaten schnuppern erstmals auf nationaler Ebene politische Luft. Bei der LSAP (32 neue Kandidaten) liegt der Prozentsatz bei 53 Prozent, bei der DP (33 neue Kandidaten) bei 55 Prozent und bei den Grünen (35 neue Kandidaten) bei 58,3 Prozent. Bei den kleineren Parteien fällt die Kandidaten-Fluktuation deutlich höher aus: Die ADR und die Piraten gehen mit 47 neuen Kandidaten in die Wahl, „déi Lénk“ mit 43.
Die CSV setzt demnach komplett auf die Strahlkraft ihres Spitzenkandidaten Luc Frieden. Dass die PR-Kampagne der vergangenen Monate Wirkung gezeigt hat, zeigt Friedens Einstand bei der letzten Politmonitor-Umfrage, auf der der CSV-Kandidat auf Platz fünf des Politiker-Rankings einsteigen konnte. Seitdem aber hat der ehemalige Finanz- und Justizminister der CSV einige Rückschläge hinnehmen müssen. Als kompetenter Finanzfachmann dargestellt, musste Frieden mittlerweile eingestehen, dass er in Sachen Steuern vielleicht doch nicht so ganz sattelfest ist. So kündigte Frieden Steuersenkungen für jedermann an – die im Staatssäckel fehlenden Millionen sollen anhand des daraus resultierenden Wachstums generiert werden. Dass Luxemburg aber gerade in der Wachstumsfrage konzeptionell neue Wege gehen muss, um nicht endgültig am „Logement“- und Wohnungsbauproblem kapitulieren zu müssen, wurde dabei wohl außer Acht gelassen. Zudem forderte der CSV-Spitzenkandidat einen Drei-Prozent-Steuersatz für den gesamten „Logement“-Sektor. Eine Forderung, die jedoch aufgrund europäischer Regelungen nicht umgesetzt werden kann.
Sportpromis bei der DP
Bei der Analyse der Kandidatenlisten der DP springen zwei Namen direkt ins Auge. Die Demokratische Partei rund um Premierminister Xavier Bettel ist mittlerweile die einzige Partei, die noch auf den Promibonus setzt. Mit zwei bekannten Gesichtern des Luxemburger Sports, Mandy Minella und Raphaël Stacchiotti, betreten zwei Kandidaten auf der DP-Liste im Zentrum die nationale Politik-Bühne, die sonst eher auf dem Tennisplatz oder im Schwimmbecken für Aufsehen gesorgt haben. Auch Journalisten finden sich keine auf den Wahllisten der Parteien wieder – ein Umstand, der bei vergangenen Wahlen noch gang und gäbe war. Oder wie ein RTL-Journalist es kürzlich erst mit einem Augenzwinkern in einem Beitrag vermeldete: „Von RTL geht kein Journalist mit in die Wahlen.“ Corinne Cahen (DP), Francine Closener (LSAP) oder auch Felix Eischen (CSV) waren vor ihrem politischen Engagement bei RTL tätig.
Wie die CSV nimmt es auch die DP nicht so genau mit der Geschlechterparität bei der Besetzung der Spitzenkandidaten-Posten. Im Süden besetzen Claude Meisch und Max Hahn die beiden Spitzenkandidaten-Posten – mit Gusty Graas oder auch Pim Knaff ist die Auswahl an politischen Schwergewichten jedoch sehr „Y-Chromosomen“-lastig. Einzig Barabra Agostino, die erst kürzlich für Max Hahn in die Chamber nachgerückt ist, hat auf nationaler Ebene schon politische Erfahrung gesammelt. Mit Daliah Scholl, Mireille Roemer oder auch Maryse Frantzen hat die DP jedoch mehrere Frauen, die zumindest auf lokaler Ebene schon Politikerfahrung gesammelt haben, jedoch nicht für die Spitzenkandidatur berücksichtigt wurden. Ähnlich sieht die Lage bei der CSV im Süden aus, wo Gilles Roth und Georges Mischo als Spitzenkandidaten ins Rennen gehen. Ohne Problem hätten hier jedoch die politisch erfahrene Nancy Kemp Arendt, Anne Logelin oder auch Nathalie Morgenthaler in den Rang einer Spitzenkandidatin erhoben werden können – wenn denn einer der beiden anderen auf die Spitzenkandidatur verzichtet hätte oder die Parteileitung es so gewollt hätte.
Lokal soll auch national wirken
Wie keine andere Partei setzte die LSAP bei der Auswahl ihrer Kandidaten auf die Resultate bei den Gemeindewahlen. Wer bei den Gemeindewahlen schlecht abschnitt, konnte sich keine Hoffnungen auf eine Kandidatur auf den nationalen Wahllisten machen. Das sorgte für einige Überraschungen – der Drittgewählte im Norden bei den vergangenen Chamberwahlen, Amir Vesali, musste seinen Platz nach einem durchschnittlichen Ergebnis bei den Gemeindewahlen räumen – und Unmut. Für Christine Schweich, ehemals Kassenwartin der Partei, war nach zwei verlorenen Gemeindewahlen 2017 und 2023 in Monnerich ebenfalls kein Platz auf der traditionell sehr stark besetzten Südliste der LSAP. Das veranlasste sie prompt dazu, die Partei zu wechseln und bei der DP anzuheuern. Offiziell lautete der Grund, dass Schweich sich nicht mehr mit den Werten der Partei identifiziere. Es ist jedoch wohl kein Zufall, dass ihr Rücktritt mit dem Zeitpunkt zusammenfällt, als in der Parteileitung der LSAP erste Entwürfe für die Kandidatenlisten kursierten, auf der ihr Name nicht draufstand. Sacha Pulli wird Christine Schweich als Kassenwart der LSAP ersetzen, musste aber den in Esch besser gewählten Liz Braz und Enesa Agovic auf der Südliste den Vortritt lassen. Auch das ist gewagt, ist Sacha Pulli doch ähnlich wie Minella und Stacchiotti durch seine sportliche Karriere über die Escher Grenzen hinaus ein bekannter Name.
Der Plan der LSAP ist so nachvollziehbar wie gewagt. Nach dem Sieg der CSV bei den Gemeindewahlen 2017 war man sich sicher, dass man auch national den Weg aus der Opposition finden würde. Die Ernüchterung folgte dann im darauffolgenden Jahr, als sich die CSV eingestehen musste, dass lokale Erfolge sich nicht einfach auf die nationale Bühne hochdeklinieren lassen. Genau das aber versucht jetzt auch die LSAP – in der Hoffnung, dass die Erfolge bei den Gemeindewahlen auch noch einige Monate danach bei den Nationalwahlen nachhallen werden.
Zersplitterung
Die ADR steuert schon seit längerem Richtung „völkischer Diskurs“, wie es ihr ehemaliger Abgeordneter Roy Reding nach seinem Austritt bezeichnete. Mit den Kandidaturen von Fred Keup, Tom Weidig, Fernand Kartheiser, Sylvie Michel scheint der Kurs Richtung „Alternative für Luxemburg“ gesetzt. Apropos Roy Reding: Der „Liberté-Chérie“-Abgeordnete will mit eigenen Listen bei der Wahl antreten und rekrutiert quasi im Sekundentakt neue Kandidaten, um seine Listen zu füllen. Auffällig ist, dass viele Impfskeptiker bis hin zu Corona-Schwurblern, deren Held im Parlament er während der Pandemie vorgab zu sein, sich auf seinen Listen wiederfinden. Inwiefern die ADR und Liberté-Chérie um die gleiche Wählerschaft konkurrieren werden, ist derzeit noch nicht ersichtlich. Fest steht jedoch, dass die Zersplitterung am rechten Rand die Chancen keiner der zwei Parteien erhöht, einen Platz in der Chamber zu ergattern. „Mir d’Vollék“, der politische Arm der Organisatoren der Corona-Proteste Peter Freitag und Jean-Marie Jacoby, hat derweil angekündigt, nicht mehr antreten zu wollen. Sympathisanten sollen ihr Kreuz derweil unter Roy Redings Liste setzen, so der Aufruf in den sozialen Medien.
Fokus inszeniert sich derweil als die einzige Alternative in Luxemburgs Parteienlandschaft. Mit dem ehemaligen CSV-Präsidenten Frank Engel als Spitzenkandidat gelingt das nur mit Abstrichen glaubhaft – auch weil die selbsternannte Alternative sich aus vielen ehemaligen Politikern von DP, CSV, ADR oder auch der LSAP konstituiert. Mit Marc Ruppert und Gary Kneipp (beide ehemals DP) gibt sich Fokus als post-ideologisch aus – tatsächlich ist von einem sozial gestaffelten Index bis hin zu eher reaktionären gesellschaftspolitischen Ansichten vieles anders bei der neuen Partei. Fokus schnürt somit ein Gesamtpaket, das es in der Luxemburger Parteienlandschaft so noch nicht gegeben hat. Einzig die Piraten könnte man noch in die Kategorie der Post-Ideologen einordnen – was aber wie bei Fokus dazu führt, dass keiner so recht weiß, wie die Parteibasis unterhalb der beiden Abgeordneten Sven Clement und Marc Goergen einzuordnen ist. Das aber tat dem Siegeszug der Partei bei den Gemeindewahlen jedoch keinen Abbruch.
Bei den Linken ist nach den Gemeindewahlen erst mal Ernüchterung eingekehrt. Bei den Chamberwahlen setzt man deswegen wieder auf altbekannte Erfolgsrezepte. Marc Baum und David Wagner sollen bei den Chamberwahlen die nötigen Stimmen einheimsen, damit „déi Lénk“ ihre zwei Sitze am „Krautmaart“ verteidigen können. Nicht mit dabei ist die Abgeordnete Nathalie Oberweis, die sich aus der nationalen Politik zurückziehen will. Ob aber nun mit Wagner, Baum oder Cecchetti: Bei den Linken sorgen weniger die Kandidaten als deren bisweilen hilflos wirkende Positionierung im Ukraine-Konflikt für Aufsehen und mehrheitlich Kopfschütteln. Jüngste Panne: Poster von Putin und Biden im rosa Barbie-Style, auf denen steht: „make love, not war“.
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